© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Vorstoß ins Weltalter der Mutterstaaten
Die Frau als Kulturstifterin: Vor125 Jahren starb der Schweizer Rechtshistoriker und Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen
Lars Plöger

Als Johann Jakob Bachofen am 25. November 1887 einem Schlaganfall erlag, nahmen davon selbst in seiner Vaterstadt Basel nur wenige Notiz. Der Kirchenhistoriker Franz Overbeck, Freund Nietzsches, als Agnostiker berüchtigt unter den Professoren der kleinen Universität, an der auch Bachofen einst Römisches Recht gelehrt hatte, verband die Todesnachricht lediglich mit der lapidaren Frage: Wer erbe jetzt die 14 Millionen Franken, die der Abkömmling eines der vornehmsten Patriziergeschlechter hinterlassen habe?

Kein Zeitgenosse schien die Bedeutung des mit 71 Jahren Verstorbenen zu ahnen, der in einem prächtigen Palais im Herzen der helvetischen Stadtrepublik ein durch zahllose Reisen sowie ein spätes Eheglück mit der dreißig Jahre jüngeren Louise Elisabeth Burckhardt verschöntes Dasein als Privatgelehrter geführt hatte. Aber selbst heute, ungeachtet inzwischen aufgehäufter Forschungsliteratur, dürfte biographische Neugier bei vielen, die erstmals von Bachofen hören und dann bei Wikipedia lesen, der Mann habe Schriften über antike Gräbersymbolik und römische Grablampen verfaßt, schlagartig erlöschen. Und jenseits solcher Ignoranz reduziert sich Bachofens Ruhm außerhalb von Expertenkreisen ohnehin penetrant auf die Assoziation „Mutterrecht“, so daß dieser tief im Christentum wurzelnde, erzkonservative Jurist sich wie ein Pionier der modernen Frauenbewegung und Vordenker einfältiger Gender-Ideologinnen ausnimmt.

Tatsächlich ist der Wälzer „Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur“, der 1861 erschien, das Lebenswerk des Autors, so untrennbar mit Bachofens Namen verbunden wie der Goethes mit dem „Faust“. Nur mit Feminismus und Gender hat dieser kühne, oft spekulative Vorstoß ins mythische Weltalter der Mutterstaaten nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Es ist ein geschichtsphilosophisch fundierter Hymnus auf Mutterschaft und Monogamie.

Das von Bachofen rekonstruierte Matriarchat, das er der als „klassisch“ kanonisierten griechisch-römischen Antike vorausgehen läßt, rehabilitiert mit der archaischen Religion die Frau als Kulturstifterin. Die mutterrechtliche Epoche, die Bachofen gleichsetzt mit dem Übergang von der Jäger- und Sammler- zur Ackerbaugesellschaft, in der die Mutter irdische Repräsentantin der Gottheit gewesen sei, in der die Geschlechterbeziehung fixiert, die Institution der Ehe etabliert und die Völker auf eine höhere Stufe der „Gesittung“ gehoben worden seien, habe die primitive „Sumpfvegetation“ der Regellosigkeit „hetaerischer Zeugung“ abgelöst.

Das war auf Bachofens Werteskala ein gewaltiger Kulturfortschritt gegenüber der auf tiefster Stufe stehenden pansexuellen Ära der Promiskuität, des enthemmten, Homosexualität und Inzest einschließenden „Hetaerismus“, die er in etwa so konzipierte wie Sigmund Freud später sich die vielgestaltige Libido des Kindes dachte, bevor sie der genital-zentrierten Sexualität Erwachsener wich. Und so wie bei dem Rationalisten Freud aus dem unbewußten Es ein bewußtes Ich werden sollte, so schritt bei Bachofen die Menschheit vom Stamm zum Staat, fand der Kulturprozeß nach dem Zwischenstadium der Maternität seine Krönung in der durch Triebverzicht disziplinierten, die Natur dem Geist unterordnenden Paternität.

Was an antimoderner wie antikapitalistischer, der „Entfremdungskritik“ seiner Altersgenossen Richard Wagner und Karl Marx vergleichbarer Radikalität im „Mutterrecht“ wie in den anderen kaum beachteten Studien Bachofens steckte, erkannten linke, seit Friedrich Engels vom „Urkommunismus“ der Gynäkokratie faszinierte, wie rechte Verächter des demokratischen Massenzeitalters erst nach der Jahrhundertwende. Ludwig Klages und Alfred Baeumler (JF 47/12) profilierten sich als Wiederentdecker des romantischen Gegenaufklärers und Apologeten des „Alten, Gewachsenen und Angestammten“. Befreit von den ideologischen Umarmungen dieser „Bachofen-Renaissance“ des totalitären Zeitalters, findet sich heute die klügste Deutung, die Freilegung ursprünglicher Intentionen des „Muttersohnes“ in Lionel Gossmans Porträt vier unzeitgemäßer Baseler Professoren: Nietzsche und Overbeck, Jacob Burckhardt und Bachofen (Basel 2005). Gossman erfaßt hier den Kern von Bachofens Weltbild, wenn er ihn als Antipoden des zwei Jahre jüngeren Theodor Mommsen (1817–1903) porträtiert, der für seine „Römische Geschichte“ als erster Deutscher den Literaturnobelpreis erhielt.

Mommsen und seine „Clique moderner Berliner Hohlköpfe“ hätten die Antike als ideologische Stütze des „flachsten modernen preußischen Kammer-Liberalismus“ funktionalisiert und die Vergangenheit zur Dienerin tagespolitischer Interessen erniedrigt. Überall in Mommsens Geschichte Roms treffe man auf das „Handels- und Capitalistengewäsch“, das den Ökonomismus des 19. Jahrhunderts Senatoren und Cäsaren unterschiebe. Eine Gegenwart, die Vergangenheit derart vergewaltige, finde keinen Zugang zur Kultur der Maternität, zu ihrer Rechtlichkeit, Frömmigkeit, Friedlichkeit und Bildung, zum harmonischen Dasein jenseits arbeitsteiliger Entfremdung.

Aus Bachofens Perspektive bildete Mommsens mythenfeindliche Altertumskunde, als „Großbetrieb der Wissenschaft“ dem egalisierenden „Großstaat“ und seiner „Großindustrie“ adäquat, daher eine Speerspitze im Kampf gegen die humane Kultur Alteuropas, die der „Grand Seigneur der Wissenschaft“ (Walter Benjamin) wieder auf die „Sumpfvegetation“ zutreiben sah.

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