© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Blick in die Medien
„Stern“: Enthüllter Enthüllungsbericht
Toni Roidl

Normalerweise klagt ein Interviewter gegen ein Medium, wenn er sich falsch wiedergegeben sieht. Jetzt klagt ein Medium gegen den Interviewten, der die Fragen selbst veröffentlicht hatte! Der kuriose Fall: Der Stern hatte der FDP einen Fragenkatalog zugeschickt. Die Reporter wollten unter anderem wissen, ob die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung den Liberalen eine durch Firmengeschäfte verdeckte Spende zukommen ließ.

Die FDP beantwortete die Fragen und stellte das Interview auf die parteieigene Netzseite – vor Erscheinen des Stern. Grund: „Uns ging es um weitestgehende Transparenz. Die FDP hat nichts zu verheimlichen.“

Der Stern war sauer! Eine Justitiarin des Verlags Gruner + Jahr teilte der FDP mit: „Ich gehe davon aus, daß Sie den Fragenkatalog samt Antworten wieder entfernen lassen. Sollte dies nicht der Fall sein, werden wir unseren Anwalt bemühen.“ So geschah es.

Chefredakteur Thomas Osterkorn beschwerte sich etwas verschwurbelt darüber, daß Interviewpartner damit eine gängige Praxis aushebelten. Sie dürfen seiner Meinung nach nur zu den Bedingungen, die der Stern bestimmt, etwas sagen.

Und der Reporter Hans-Martin Tillack meint: „Wenn wir Journalisten nicht mehr selbst entscheiden, wann wir unsere Erkenntnisse veröffentlichen, können wir uns aufwendige Recherchen kaum noch leisten.“ Tillack ruderte später auf seinem Blog zurück: Die FDP dürfe natürlich jederzeit ihre Antworten veröffentlichen – nur ohne die Fragen des Stern. Diese unterlägen dem Urheberrecht. So ist es inzwischen geschehen.

Was für ein groteskes Theater! Ausgerechnet die FDP, die dem Leistungsschutzrecht zugestimmt hat, veröffentlicht ein Presseerzeugnis ohne Genehmigung, und die selbsternannten „Enthüllungsjournalisten“ sind beleidigt, wenn die Objekte ihrer Enthüllungen selbst etwas enthüllen. Kann es sein, daß hier ein Schaukampf aufgeführt wird?

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