© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Das Internetforum stirbt
Trend: Unzensierte Kommunikation war gestern / Vor allem die Parteien sind nicht mehr interessiert
Sverre Schacht

Irgendwann ist dem Chef des Magazins Eigentümlich frei, André F. Lichtschlag, der Kragen geplatzt. Immer wieder war im Kommentarbereich seiner Netzseite Abseitiges zu lesen, Beschimpfungen, Lügen oder Verschwörungstheorien. Einhellig hatten ihm Leser und Freunde zu verstehen gegeben, der Kommentarbereich habe stark an Niveau verloren.

Also wurde die Funktion zum Jahresende 2010 kurzerhand abgeschaltet. In einem Artikel schimpfte er über die nach dem „Prinzip der öffentlichen Toiletten“ verbreiteten Ungehörigkeiten, die die wertvollen Kommentarbeiträge leider in den Schatten stellten: „Unmoderierte Kommentarbereiche, in denen hinter Pseudonymen versteckte Querulanten die Diskussion übernehmen, werden nach unserer Auffassung keine Zukunft haben.“ Dort sei eine anonyme „Rüpel-Kultur“ entstanden.

Knapp zwei Jahre später ist der Verleger mit seiner Entscheidung von damals zufrieden. „Das würde ich wieder so machen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Zwar sei die Zahl der Besucher von ef-online.de leicht gesunken, andererseits erhalte er heute noch zustimmende Post für seine damalige Entscheidung.

Einige der Kommentatoren seiner Seite sind zu Facebook abgewandert. Aber der Verlust an Klicks stehe in keinem Verhältnis zur Qualitätsverbesserung. Damit liegt Eigentümlich frei im Trend. Dieser geht weg von anonymen Kommentarfunktionen. Die Debatte verlagert sich in Sozialnetzwerke wie Facebook oder Twitter, wo sich dreißig Millionen Deutsche tummeln – und zwar meistens mit ihrem richtigen Namen. Das zwingt zu mehr Disziplin bei der Diskussion.

Auch die Netzseiten der meinungsbildenden Presse wie die Süddeutsche, Spiegel oder Welt suchen nach Auswegen oder haben bereits Wege gefunden, den Zugang zum Kommentarbereich einzuschränken oder Kommentare zu filtern. So wie den Kommentarbereichen ergeht es auch Internetforen, in denen jeder über alles mitreden konnte. Die Informatiker der Universität Oldenburg sagen sozialen Netzwerken einen Siegeszug über klassische Foren voraus. Jetzt machen die Parteien, lange Spätzünder im Netz, ihre Foren zu. Sie schränken so die politische Auseinandersetzung in Zeiten des Web 2.0 ein. So vertröstet die CDU die „lieben Forum-User“ von „CDU Interaktiv“, das die Volkspartei zum 22. März dichtmachte: „Mit dem Einzug von Facebook, Twitter und Co. hat sich auch in der politischen Kommunikation viel verändert. Eine der zentralen Neuerungen ist es, daß sich auch die Kommunikation und der Dialog über politische Themen weitgehend auf die sozialen Netzwerke verlagert haben. Dieser Entwicklung gilt es nun Rechnung zu tragen.“

Jeder Diskussionsteilnehmer muß sich nun vor der Äußerung registrieren, denn das neue „CDUplus“ vereint Mitgliedernetz und „interaktive Homepage“. Spontane Rückmeldungen vom Bürger bleiben so eher draußen. Die Schwesterpartei CSU ist ebenfalls von ihrer „Nettikette“ zur großen Leere übergegangen. Die neuesten Forum-Aktivitäten sind vom Sommer 2011 und auch nur von einer Untergliederung der Partei. Offiziell ist Funkstille.

Auch die Grünen gingen im März „neue Wege“, legten ihren Mitgliedern nahe, sich anderweitig zu äußern, statt im Forum ihrer Bundestagsfraktion. Ein Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz begründete das mit personellem Aufwand. Abgeschaltet ist die Kommentarfunktion jedoch nicht.

Alle Parteien taten sich schwer mit Kritik von ihrer Basis. Schon 2008 hatte meineSPD.net eine Nutzer-Debatte „Keine Zukunft mit Kurt Beck“ wegen „Diffamierung“ kurzerhand geschlossen. Später wurde Beck tatsächlich von seinen Parteifreunden gestürzt, aber nicht von ein paar Bloggern oder Forumschreibern der Basis, sondern vom Vorstand. Das SPD-Forum dümpelt seitdem in eingedampfter Form als Blog weiter, Aktuelles findet auch dort nur noch im Fenster des sozialen Netzwerks Twitter statt – durchweg Einweglob.

Twitter und Facebook, monieren bisherige Forennutzer der Grünen, sind die „perfekte Selbstdarstellungsplattform“. Dort sammeln Parteien jetzt „Follower“, Gefolgsleute. Die FDP betreibt noch ein aktuelles Forum, moderiert und ebenfalls nicht ohne Registrierung. Allein bei den Piraten kann jeder unangemeldet mitreden, übersichtlich ist das nicht. Chaos und Ausfallendes, die Kehrseite der Forenfreiheit, finden sich dort.

Das frustriert nicht nur Politiker. Markus Beckedahl, Blogger und Aktivist von Netzpolitik.org, schrieb einen Abgesang auf das typische Internetforum: „Ich hab keine Lust mehr, morgens aufzustehen und Kommentare zu lesen und abends schlafen zu gehen und vorher nochmal Kommentare zu checken, weil ich einerseits rechtlich verantwortlich dafür bin und andererseits keine Lust auf gruppendynamische Rituale habe.“

So droht die Meinungsvielfalt im Netz weiträumig abgewürgt zu werden. Gerade Parteien sollten es sich als Forenbetreiber nicht zu einfach machen, Meinungen mit Verweis auf die Fortentwicklung zum Web 3.0 abzuwürgen: Neueste Daten zeigen, daß auch soziale Netzwerke Grenzen haben und vor allem Junge erreichen – schlecht für „Volksparteien“.

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