© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Mann & Frau
„Es ist kompliziert“
Birgit Kelle

Ja, wir Frauen haben es nicht anders gewollt. Jahre, Jahrzehnte haben wir gefordert, die Männer sollen sich endlich ändern. Sie sollen mehr Verständnis aufbringen, mehr reden, uns verstehen, einfühlsam sein. Ja, sie sollen endlich ihre weibliche Seite herauskehren! Natürlich sollen sie uns ernst nehmen und nicht nur auf unsere äußeren Geschlechtsmerkmale starren, auch wenn wir diese mehr denn je gut in Szene setzen. Wir wollen immer noch zu ihnen aufsehen können, sie dürfen aber nicht auf uns herabblicken. Wir wollen gleichberechtigt sein, auf Augenhöhe kommunizieren. Alles partnerschaftlich teilen. Und dann kommt die Realität.

Die Feuilletons sind voll mit der immer neu gestellten Frage von Frauen, wo eigentlich die richtigen Männer hin seien? Da sind die metrosexuellen, immer schick gekleidet, mit dunkler Horn-Brille und Jogi-Löw-Hemd. Da sind die verständnisvollen, mit denen man neuerdings sogar übers Kochen diskutieren kann. Da sind die jungen, ungebundenen, die nicht im Traum daran denken, schon mit dreißig Verantwortung für Kinder und Familie zu übernehmen. Sie sind gutaussehend, gebildet, haben gute Umgangsformen und ein Einkommen. Sie wollen sich bloß nicht festlegen. Wir haben den alten Macho verbal in die Wüste geschickt. Er hat keinen Platz mehr in der modernen Geschlechterwelt. Das Familienoberhaupt, das sagt, wo es langgeht, die starke Schulter zum Anlehnen, der Mann, der allein die Verantwortung trägt, ist verpönt. Biedermeierzeit, würde Peer Steinbrück unisono mit Alice Schwarzer laut rufen. Das haben wir nun davon: Jetzt übernehmen viele eben keine Verantwortung mehr. Geht es uns Frauen aber damit besser?

Und obwohl genauso viele Männer erfolglos nach einer Frau suchen, wird seltsamerweise die Frage andersherum in den Medien jedenfalls kaum gestellt. Wie soll die Frau heute sein? Kein Gesprächsbedarf, denn es herrscht Einigkeit, daß die neue moderne Frau zwischen Küche, Karriere und Kindern, mit Topmodelmaßen und stets ausgeglichenem Gemüt das Nonplusultra unserer Zeit sei. Wenn Mann damit nicht zurechtkommt, hängt er zu sehr an der „Biedermeierzeit“, wenn Frau an den Ansprüchen scheitert, ist sie selbst schuld, andere schaffen das doch auch mit links, nicht wahr, Frau von der Leyen?

Wenn das sprichwörtliche „Gesagt, getan“ eines Gegenbeweises bedürfte, dann würde man es im Miteinander der Geschlechter heute plakativ finden. Nirgendwo gehen geäußerter Anspruch und tatsächliches Handeln weiter auseinander als bei der Frage, wie der Topf den passenden Deckel findet. Niemals war es anscheinend schwerer, den Partner fürs Leben zu finden als heute. Obwohl die einzig wahre Liebe immer noch hoch im Kurs steht, sowohl bei Mann als auch bei Frau, ist sie offenbar immer schwerer zu finden. Die Zahl der Singlehaushalte steigt kontinuierlich. Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert.“

Paarforscher erklären dies mit den deutlich gesteigerten Ansprüchen der Frauen. Männer müßten heute mehr bieten als noch vor 20 oder 30 Jahren, um als gute Partie zu gelten. Nur was sie genau bieten sollen, kann auch die Wissenschaft nicht sagen. Können wir Frauen das überhaupt?

Die Emanzipationsbewegung hat ohne Zweifel Spuren hinterlassen in unserer Gesellschaft. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern. Zum einen haben sich die Frauen geändert. Mit großer Selbstverständlichkeit hat Frau heute eine gute Ausbildung, einen Beruf. Die Töchter der Emanzipation sind groß geworden mit dem Selbstbewußtsein, alles schaffen zu können. Die Kehrseite der Medaille ist, daß eine zunehmende Zahl von Frauen ihre Energie zunächst in die Karriere steckt, um dann jenseits der Dreißig erschrocken festzustellen, daß noch keine Familie in Sicht ist. In der ZDF-Dokumentation „Menschen hautnah“ wurden solche Frauen einmal vorgestellt und begleitet. Ein bedrückender Bericht. Intelligente, gutaussehende Frauen mit guten Jobs, die aber einfach nicht den Richtigen finden. Die über Online-Börsen und Speed-Dating schon alles durch haben.

Denn auch wenn wir immer von Gleichberechtigung reden: davon, daß wir Männer haben wollen, die weinen können und sich um die Kinder kümmern, so spielt uns die Natur dabei ein Schnippchen. Frauen heiraten immer noch gesellschaftlich nach oben.

Wenn Frau jedoch selbst zunehmend oben angelangt ist, bleiben nicht mehr viele Männer zur Auswahl. Zu allem Überfluß heiraten diese statistisch betrachtet immer noch gesellschaftlich nach unten. Sie fühlen sich also von den starken, erfolgreichen Frauen, von denen sie neuerdings umgeben sind, gar nicht so sehr angezogen.

Und da hilft es auch nichts, wenn Männer in Umfragen angeben, es mache ihnen nichts aus, wenn die Frau mehr verdiene als sie, oder wenn sie den besseren Job hat. Faktisch handeln sie anders. Und da hilft es auch nichts, wenn Frauen sagen, die Ernährerrolle des Mannes sei ihnen nicht so wichtig. Faktisch handeln auch sie anders.

Geht es um die Paarung, sind wir nämlich trotz Gleichstellungsbeauftragten immer noch Primaten. Und so ergibt sich das Dilemma, daß Frau zwar glaubt, nach dem „neuen Mann“ zu suchen, die alten Haudegen, die sie an ihren eigenen Vater erinnern, aber eine deutlich höhere Anziehungskraft auf sie besitzen, als ihr klar oder gar lieb ist. Willkommen in der Biologie. Die neuen Rollen sind noch nicht gefunden, weder bei der Frau noch beim Mann. Das eine bedingt aber das andere.

Ganze Verlagsgruppen verdienen immer noch prächtig mit der ewig neu diskutierten Frage, wie Frau den einen „Richtigen“ fürs Leben aus dem breiten Angebot fischt. Ja, unsere Ansprüche als Frauen sind gestiegen, wir sind kompromißloser geworden. Im Gegenzug binden sich Männer aber auch nicht mehr so schnell, sie ziehen immer später aus dem Hotel Mama aus – deutlich später als die jungen Frauen – und lassen sich Zeit mit der Familiengründung. Ihnen läuft ja auch nicht die biologische Uhr weg.

Es ist die schleichende Angleichung der Geschlechter, die nicht nur den Mann verändert hat, sondern auch die Frau. Die Männer werden weiblicher und die Frauen männlicher. Angefeuert durch das Mantra des Gender Mainstreaming, wonach wir alle gleich sind und uns unser Geschlecht nur anerzogen wurde, sind die Beziehungen zwischen Frauen und Männern dadurch nicht einfacher und gleicher, sondern verwirrender geworden.

Das Aufbrechen von Rollenmustern bedeutet ja nicht, daß sich automatisch ein alternatives Pendant findet. Wir scheinen mehr im luftleeren Raum zu hängen, wo es je nach Frauentyp mal falsch und mal richtig ist, die Tür aufzuhalten, in den Mantel zu helfen und die Rechnung zu bezahlen. Und als Frau können Sie mindestens genauso viel falsch machen, weil Sie gar nicht wissen, ob Ihr guter Job und Ihr Erfolg Bewunderung oder eher Beklemmung auslöst. Wo männliche und weibliche Lebensläufe sich in allen Lebensbereichen angleichen, ist die Bipolarität der Geschlechter abhanden gekommen. Die Reibungs-, aber auch Anziehungskraft des Andersseins von Mann und Frau wird systematisch vernichtet, und das fängt schon bei den Kleinsten an.

Eltern mit Jungs in Kindergarten und Schule können ein Lied davon singen. Gruppenkonformes Verhalten ist dort inzwischen weibliches Verhalten. Ein guter Junge muß sich wie ein besseres Mädchen verhalten. Alles, was dominierend und aggressiv erscheint, ist männlich schlecht. Alles was empathisch und verständnisvoll wirkt, ist weiblich gut. Ein Junge, der schlägt, zeigt Dominanzgehabe, ein Mädchen, das schlägt, setzt sich durch. Bravo! Und wenn man könnte, würde man vermutlich auch das Gebären von Kindern politisch auf Mann und Frau aufteilen. Gut, daß die Natur da schlauer ist.

Auch in der Wirtschaft sind diese Tendenzen der Angleichung erkennbar. Es ist schon abstrus, wenn in Coachings für Business-Frauen Tips verteilt werden, wie Frau sich im männlich geprägten Umfeld am besten durchsetzt. Da kommen dann Ratschläge wie Hosenanzüge tragen und mit tieferer Stimme sprechen, damit Frau nicht „piepsig“ rüberkommt. Und um Himmels willen nicht sanft-weiblich. Manchmal vergißt man dann gar, daß man es mit einer Frau zu tun hat. Erinnern Sie sich noch an das Raunen, das durch die Republik ging, als Angela Merkel vor Jahren bei der Eröffnung der Osloer Nationaloper in tief dekolletiertem Abendkleid auftrat? Man hätte meinen können, so mancher hatte da erst begriffen, daß sie eine Frau ist. Weil man sie so nicht wahrnahm. Hart, strategisch, machtbewußt – diese Attribute stufen wir nach wie vor als männlich ein. Kein Wunder, daß Mann dahinter nicht zwangsläufig eine Frau vermutet – oder gar noch die eine fürs Leben.

Offensichtlich wird Gleichberechtigung oft mit Gleichmacherei verwechselt, anstatt sich mit dem Respekt für die Andersartigkeit zufriedenzugeben; weil wir typisch weibliches und typisch männliches Verhalten verteufeln und negieren, anstatt es als Ergänzung zu betrachten. Weil wir uns zwar im Comedy-Programm von Mario Barth in der Regel alle wiederfinden, es aber politisch höchst unkorrekt ist, im Geschlechterkampf mit der unterschiedlichen Biologie von Mann und Frau zu argumentieren.

Der Marlboro-Mann am Lagerfeuer ist aus der Werbung schon lange verschwunden. Statt dessen dominiert der Typ Mann mit Augenringen, der jetzt neue Cremes aus der „For-Men“-Produktlinie besitzt und taillierte, pinkfarbene Hemden trägt. Ja sicher, er darf sich noch mit seinen Kumpels beim Fußballgucken vergnügen, wenn anschließend auch die Küche brav aufgeräumt wird. Und manchmal schlägt das Pendel sogar ein bißchen zu weit aus. Da haben wir dann den Tolpatsch, mit Allround-Frau an der Seite. Der sich bei der Hausfinanzierung in der Bank an den Kindermaltisch setzen darf, weil Mutti das jetzt alleine regelt. Der nichts versteht, während sie den Durchblick hat. Ja, ja, wie lustig und emanzipiert, daß Frau das jetzt alles alleine kann und Mann dabei blöd aus der Wäsche schaut. Es erstickt einem das Lachen im Hals.

In der Werbung haben diese schwungvollen Alleskönner-Frauen diese treudoofen Nichtskönner-Männer tatsächlich geehelicht. In der Realität kommen sie aber nicht zusammen. Denn in der Realität würden sich dieselben Frauen niemals mit diesem Typ Mann einlassen, dem sie nichts zutrauen. Den sie für schwächer, dümmer oder gar blöder als sich selbst halten. Das biologische Schema läßt sich nur schwer durchbrechen. Wir wollen als Frauen immer noch aufschauen, respektieren, bewundern. Es ist also eine kurzfristige Freude, sich als Frau so weit zu erhöhen, daß man den Mann dabei erniedrigt. Die daraus resultierenden Männer gefallen uns dann in der Regel gar nicht mehr. Und vermutlich wir Frauen ihnen auch nicht.

Was ist eigentlich so schwer daran, Männer Männer sein zu lassen und Frauen ihre Weiblichkeit zu gönnen? Insofern wird es wohl erst dann wieder mehr echte Männer geben, wenn wir ihnen wieder mehr richtige Frauen bieten.

 

Birgit Kelle, Jahrgang 1975, arbeitet als Journalistin und Publizistin. Die Mutter von vier Kindern ist Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus sowie Vizepräsidentin der „New Women for Europe“.

 

Mann und Frau

Frauenemanzipation und Feminismus haben in der westlichen Welt das Verhältnis der Geschlechter zueinander verändert. Alte Rollenmuster haben sich längst überlebt, neue tragfähige sind noch im Werden. Die Zahl der Singlehaushalte nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich zu, die der Scheidungen und Trennungen ebenso, die Institution Familie ist fragil geworden. Tobt zwischen den Geschlechtern Krieg? Wo wären seine Ursachen zu suchen? Eine neue JF-Serie will die Polarität und das Miteinander von Mann und Frau unter verschiedenen Aspekten beleuchten und Perspektiven aufzeigen. Die Publizistin Birgit Kelle macht den Auftakt. (JF)

Foto: Männlein und Weiblein ziehen an einem Strang: An die Stelle von Respekt und Wertschätzung für die Andersartigkeit des anderen ist die Einebnung der Unterschiede getreten. Auf der Strecke bleibt der Eros.

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