© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

„Des Volkes Wohl ist meiner Arbeit Ziel“
Letzte Ruheorte vergessener Größen: Ein Gräberbummel zu Berühmtheiten, die in den zwanziger Jahren jedes Kind kannte
Egon W. Scherer

Hindenburg – die Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schloßplatz brachte den Namen zuletzt wieder ins Gespräch (JF 38/12). Wenn der Name sonst noch fällt, dann nahezu immer im Zusammenhang mit seiner so ziemlich letzten Amtshandlung als vermeintlicher „Steigbügelhalter“ des Diktators: „Ach der, der Hitler zum Kanzler gemacht hat ...“

Der „Held von Tannenberg“ aber, der 1914 Ostpreußen vor dem Russenansturm rettete, der Generalfeldmarschall des Ersten Weltkrieges und Chef der Obersten Heeresleitung (1916–1918), in dessen hölzerne Standbilder als Symbol der Standhaftigkeit im Kriege überall im Reich Abertausende Spenden-Nägel eingeschlagen wurden, der Reichspräsident der Weimarer Republik (1925–1934), der einmal Ehrenbürger von insgesamt 3.824 Städten und Gemeinden in Deutschland war und seine Wiederwahl zum Staatsoberhaupt 1932 sogar mit den Stimmen der Sozialdemokraten gewann – der ist im kollektiven Gedächtnis der Nation kaum noch präsent. Nur die wenigsten werden gar wissen, wo er denn wohl begraben liege.

Das Schicksal des Vergessenseins teilt der einstige Nationalheld, der übrigens 1933 Hitler als Führer der stärksten Partei im Parlament durchaus verfassungskonform zum Kanzler ernannte, mit vielen anderen einstigen Größen, die einmal im Rampenlicht des öffentlichen Interesses standen. So gilt auch für ihre Gräber, die immerhin noch durch ihre Erhaltung und Gestaltung die historische Bedeutung der hier bestatteten Persönlichkeiten erkennen lassen, daß sie „Gräber vergessener Größen“ sind.

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg und seine Frau Gertrud Wilhelmine haben eine würdige letzte Ruhestätte im „Marburger Dom“, der evangelischen Elisabethkirche in Marburg an der Lahn, in stattlichen Sarkophagen im Untergeschoß des Nordturms gefunden, aber bei den Führungen durch die Kirche wird diese Grablage meist schamhaft verschwiegen. Schließlich hat die Kirche diese prominenten Toten höchst unfreiwillig hier bestatten lassen. In den Wirren des Kriegsendes 1945 gelangten die Särge des Präsidentenpaares, aus dem Tannenberg-Ehrenmal in Ostpreußen vor der Roten Armee in Sicherheit gebracht, auf vielerlei Umwegen bis nach Marburg, wohin sie die Amerikaner auf ihrem Abzug aus Thüringen mitgenommen hatten. Und auf beharrliches Drängen der Besatzungsmacht übernahm die Kirche, zuständig für Totenruhe, schließlich das brisante Erbe.

Hindenburgs Vorgänger im Präsidentenamt, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert (1871–1925), liegt auf dem Bergfriedhof in seiner Heimatstadt Heidelberg begraben. Seine beeindruckende Ruhestätte besteht aus einem großen Granitblock, dessen Ecken stilisierte Reichsadler bilden. Der Stein trägt unter dem Namen die Inschrift: „Des Volkes Wohl ist meiner Arbeit Ziel“, ein Motto, das wohl zu Recht für Leben und Werk dieses redlichen Mannes steht. Hinter dem Stein erhebt sich ein Hochkreuz mit Corpus. Neben dem Steinblock befindet sich eine Grabplatte, die an die beiden im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne des Politikers erinnert: Georg Ebert und Heinrich Ebert, die neunzehn- und zwanzigjährig beide im Kriegsjahr 1917 den Soldatentod starben und in Frankreich begraben sind.

Auch Ebert gehört trotz einstiger Prominenz heute zu den eher vergessenen Größen der deutschen Geschichte. Der SPD-Vorsitzende kam durch die Revolution von 1918 an die Macht, als ihm der letzte Kanzler des untergehenden Kaiserreiches, Prinz Max von Baden, die Regierungsgeschäfte übertrug. Vorsitzender im revolutionären „Rat der Volksbeauftragten“, lenkte er das im Gewoge des Aufruhrs schwankende Staatsschiff in ruhiges Fahrwasser und begründete mit der verfassunggebenden Nationalversammlung, die ihn zum ersten Reichspräsidenten (1919–1925) wählte, die Weimarer Republik.

Gedankt wurde ihm das wenig. Die Linke verzieh ihm sein Bündnis mit den Militärs nicht, mit dem er die linksradikale Spartakisten-Revolution niederschlug, schimpfte ihn deswegen „Arbeiter-Verräter“; die Rechte aber trieb den ungeliebten „Sattlergesellen“ mit ehrenrührigen Prozessen in den frühen Tod. Noch heute tun sich manche Genossen schwer mit diesem umstrittenen Ahnherrn.

Das sind nur zwei prominente Beispiele von vielen. Was weiß man noch von Erich Ludendorff, der im bayerischen Tutzing begraben liegt, in einer mit Büste und Schwert geschmückten Grabstätte, die unschwer erkennen läßt, daß hier ein Feldherr ruht. Der große Stratege des Ersten Weltkrieges, der im Schatten Hindenburgs als wahrer Lenker der Kriegsführung nach 1916 gilt, hat sich in den Augen der Nachwelt durch seine Teilnahme am Hitlerputsch von 1923 disqualifiziert und ist weithin vergessen.

Walther Rathenau, prominenter Politiker in der frühen Weimarer Republik, der mit dem Rapallo-Vertrag von 1922 die außenpolitische Isolation des Reiches beendete, liegt bestattet in der beeindruckend gestalteten Familiengruft auf dem Berliner Waldfriedhof Oberschöneweide. Rathenau, ein patriotisch gesinnter deutscher Jude, wurde gleichwohl noch im Jahr seines größten Erfolges von Rechtsradikalen ermordet. Auf einem anderen Friedhof der Hauptstadt, in Zehlendorf, findet man das Grab des einstigen Staatsschauspielers Heinrich George. Der große Mime, der in den zwanziger Jahren und im Dritten Reich seine großen schauspielerischen Triumphe feierte, starb 1946 in einem sowjetischen Internierungslager. Sein Sohn Götz George, der einstige TV-Kommissar Schimanski, dürfte heute bekannter sein als sein Vater.

Selbst im Ausland finden sich Grabstätten oder Gedenkstätten einstmals berühmter Persönlichkeiten im deutschen Sprachraum. So etwa die Gedenkstätte für Walter Flex, der 1917 auf der Ostsee-Insel Ösel den Soldatentod starb, bei Pöide in Estland. Mit seinem Buch „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ (1916), einer idealistischen Schilderung der Kriegskameradschaft, beeinflußte der Dichter stark die Jugendbewegung der Nachkriegszeit. Bekannt dürfte vielleicht einigen sein Lied „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ sein.

Ebenfalls große Breitenwirkung erzielte mit einem Buch der Seemannsdichter Gorch Fock (eigentlich Johann Kinau), dessen Werk „Seefahrt ist not“ (1913) den Nerv der Zeit traf. Seine Grabstätte liegt auf der schwedischen Schäreninsel Stensholmen, auf der sein Leichnam nach der Skagerrak-Schlacht 1916 angeschwemmt wurde, nachdem er beim Untergang des Kreuzers „Wiesbaden“ den Seemannstod fand. Auch sein Ruhm ist längst verblaßt.

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