© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Von „Abschmelzen“ bis „Zurückerstatten“
Nonsensformulierungen aufgespießt: Ein Zeitungsreporter betreibt eine Sprachmülldeponie für Blähworte
Toni Roidl

Weil immer weniger Leute Zeitung lesen, wird immer mehr Qualität gespart – weil immer mehr Qualität gespart wird, lesen immer weniger Leute Zeitung. Bei diesem gerafften Redaktionssystem wird die Zeitung von den Ressortleitern produziert. Die Beiträge liefern freie Mitarbeiter. Bei diesen ist oft ein eklatanter Mangel an Allgemeinbildung zu beklagen.

Was Google nicht kennt, existiert für sie nicht. Darum schreibt einer vom anderen ab. Kein Zufall, daß häufig in verschiedenen Medien dieselbe Pressemeldung im selben Wortlaut zu finden ist. Auf diese Weise kommen Formulierungen in die Welt, die völliger Nonsens sind. Da nehmen eingesetzte Polizeibeamte (also Polizisten) zwei Tatverdächtige (statt Verdächtige) fest, weil sie in der historischen Altstadt (also der Altstadt) die Außenfassade (welche sonst?) eines Hauses besprüht haben. Und im Radio wird berichtet, zwei Fußballmannschaften hätten 1:1 unentschieden gespielt. Und dann fordert auch noch die amtierende (sonst wäre sie’s ja nicht) Bundeskanzlerin Demonstranten auf, sich an geltende (welche sonst?) Gesetze zu halten ... Schön beobachten ließ sich das während der Fußball-EM. Ständig kam es zu „Situationen“, nämlich der Freistoß-Situation (statt Freistoß) oder Eckball-Situation (statt Ecke).

Der Bielefelder Zeitungsreporter Christian Althoff (50) will diesen Sprachmüll entsorgen. Seine Internet­seite www.aussenfassade.net soll zum Endlager für blödsinnige Blähworte werden. Er sagt: „Diese Seite ist aber auch für kritische Konsumenten gedacht, denen das Mediendeutsch gelegentlich stinkt.“ Darum fordert er seine Leser auf: „Wenn Sie auf Sprachmüll stoßen, der hier noch nicht deponiert ist, bitte schreiben Sie mir!“

Die Funde stammen ausnahmslos aus Zeitungen, Nachrichtenportalen, aus dem Radio und dem Fernsehen. „Viele Redakteure, Moderatoren und Korrespondenten nutzen reflexartig die immer gleichen, überflüssigen Füllwörter und Formulierungen“, erklärt der Dummsprech-Deponierer. Von A wie „Abschmelzen“ bis Z wie „Zurückerstatten“. Solche syntaktischen Unfälle liest und hört man tatsächlich oft: das „exemplarische Beispiel“, die „mündliche Absprache“ oder die „therapeutische Behandlung“.

Es wird „heruntergekühlt“ (kann man auch heraufkühlen?), das „Bauchgefühl“ beschworen (gibt’s ein Arm- oder Beingefühl?) oder vor „steigenden Einnahmeausfällen“ gewarnt, statt vor weniger Einnahmen. Viel zitiert wird der „Bundesverteidigungsminister“. Ja, hat man schon mal vom bayerischen oder hessischen Verteidigungsminister gehört? Häufige Erwähnung finden auch „studierte Wissenschaftler“. Von einem Wissenschaftler darf man wohl annehmen, daß er irgendwas studiert hat. Obwohl, wenn man an die vielen „Extremismusforscher“ denkt ...

Apropos: Eine gute Ergänzung für Althoffs Sprachmülldeponie wäre das politisch korrekte Neusprech, mit dem die Medien brisante Gesellschaftsthemen vernebeln. Von den „Migranten“ (eigentlich: Wanderer) bis zu den dubiosen „Jugendlichen“, die ständig Gewalttaten begehen. Auf den Müll mit gestanzten Worthülsen wie dem „Aufmarsch“ (wenn irgendwo Rechte demonstrieren) und dem „breiten Bündnis“ (wenn irgendwo Linke demonstrieren)!

Einen eigenen Bereich hat der Bielefelder für „schlechte Werbung“ reserviert. Hier liegt das ganze Denglisch-Gerümpel der Reklame wie „Come in and find out“ (Was die Mehrheit der Konsumenten mit „Komm ’rein und find’ wieder raus“ übersetzt) oder „Powered by emotion“ (Für die meisten Befragten „Kraft durch Freude“).

Manchmal ist das unfreiwillig komisch: In Berlin hat ein „Bündnis gegen Homophobie“ eine Plakatkampagne mit einer lesbischen Ärztin und einem schwulen Mechaniker gestartet. Grammatisch stimmt alles, aber hat sich der Texter überlegt, was der Automechaniker noch vor sich hat? „Ich bin schwul. Und Berlin steht hinter mir!“ Dieser Schuß ging nach hinten los!

Da sieht man, daß sich in der Werbewirtschaft die gleichen „Irgendwas mit Medien“-Pfeifen tummeln wie im sogenannten Qualitätsjournalismus.

www.aussenfassade.net

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