© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

„Familien haben keine Lobby“
Der Angriff auf die Elternzeit abgewehrt, Betreuungsgeld und Kita-Ausbau beschlossen – wird nun für Familien alles gut? „Nein“, warnt Maria Steuer vom „Familiennetzwerk“: Das Kindswohl spielt in der Politik keine Rolle.
Henning Hoffgaard

Frau Steuer, drei Jahre Elternzeit – ist das zu viel, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beklagt (siehe Seite 7)?

Steuer: Das glaube ich ihm aufs Wort. Seine Interessen vertragen sich nicht mit dem, was Kinder brauchen. Ihn interessiert die Arbeitsmarktverwertbarkeit von Müttern. Wenn aber dann die Gesellschaft in Zukunft mit den Folgen solcher Vorschläge leben muß, ist er bestimmt nicht mehr BDA-Chef, um sich seiner Verantwortung zu stellen.

Warum traut sich Hundt, so etwas zu fordern?

Steuer: Das zeigt, wie sehr die Pro-Kita-Kampagnen der letzten Jahre gewirkt haben. Die Lügen, Kitas würden für die Kinder gebaut, obwohl sie für Wirtschaft und Politik gebaut werden, haben gefruchtet. Es ist der Irrglaube entstanden, in Kitas könne Bildung für unter Dreijährige stattfinden – Mütter seien zu Hause ersetzbar, aber nicht am Arbeitsplatz!

Allerdings, Sigmar Gabriel sagt: „Wir reden in Deutschland über Fachkräftemangel und schicken Hunderttausende gut ausgebildete Frauen in die Arbeitslosigkeit, weil sie keine Betreuungsplätze für die Kinder finden und zu Hause bleiben müssen.“ Also hat Hundt schon insofern recht, als wir doch etwa einen Fachkräftemangel haben?

Steuer: Wo herrscht denn der Fachkräftemangel, den das Gros der Mütter ausgleichen soll? Wären die Politiker ehrlich, würden sie zugeben, daß diese ihre Kleinsten allein lassen sollen, um in der Pflege und in Tagesstätten zu arbeiten. Somit herrscht eigentlich der größte Mangel in den Elternhäusern. Dieser Mangel wird aber nur von den Babys empfunden – die aber können keinen Einfluß nehmen. In den Köpfen von Politikern und Wirtschaftsleuten ist dafür kein Platz!

Hannelore Kraft meint, jedes Kind müsse in die Kita, weil es sich für unsere Volkswirtschaft lohnt, wenn Mütter in sozialversicherungspflichtiger Arbeit seien.

Steuer: Das ist richtig ...

Wie bitte?

Steuer: Lassen Sie mich ausreden. Der Staat subventioniert eine Betreuungsform, aus der er unter dem Strich kurzfristig durch Steuereinnahmen Kapital zieht. Wenn wir allerdings das Schicksal der Kinder der Arbeitsmarktverwertbarkeit unterordnen, dann müssen wir uns überlegen, wohin wir mit unserer Gesellschaft wollen. Frau Kraft könnte natürlich auch sagen: „Okay, wir bezahlen dann eben auch Mütter.“ Oder noch mutiger: Sie würde den Eltern nicht von vornherein die Kompetenz absprechen und das Geld, das ihnen offensichtlich jedes Kind Wert ist, den Eltern geben und so ihnen die Verantwortung überlassen, welche Betreuungsform sie wählen – dann würden private Kitas dort entstehen, wo Bedarf ist oder vielleicht sogar gar keine, weil Eltern lieber andere Betreuungsformen wählen würden als die staatlichen.

Also kann man sagen, Mutter sein lohnt sich nicht für die Volkswirtschaft?

Steuer: Richtig! Weil das eine Arbeit ist, die ohne Lohn ausgeführt wird. Wir haben also ein Heer von Müttern, die sich ehrenamtlich engagieren und in der reinen Statistik nichts zum Wirtschaftswachstum beitragen, weil wir eben lieber auf Arbeitsmarktverwertbarkeit schauen, anstatt auf Werte und Zukunft für die Gesellschaft zu achten. Untersuchungen aus Amerika, weisen nach, daß Mütter von ihrer Arbeitsbelastung her, eigentlich das Gehalt eines Richters bekommen müßten. Aber da wir solche Dinge ja nicht schätzen und Mütter die Gruppe in der Gesellschaft sind, die gerade weil sie Kinder hat, in der Regel bereit ist, alles hinzunehmen, können wir diese ja weiter ausbeuten. Ich weiß nicht, was wir noch alles mit den Frauen machen wollen, die sich entscheiden, Mütter zu werden. Selbst kinderlose Frauen und sogar Mütter sprechen mittlerweile schlecht über Mütter.

Und doch sprechen sich laut Infratest dimap 69 Prozent der Deutschen gegen das Betreuungsgeld aus, wollen stattdessen, daß Frauen mit Kindern im Alter mehr Rente bekommen. Eigentlich ein guter Kompromiß, oder?

Steuer: Ich weiß nicht, warum das eine das andere ausschließen soll. Und daß Mütter in der Rentenberechnung benachteiligt werden, ist ja eine lange bestehende Ungerechtigkeit und viel älter als die Diskussion um das Betreuungsgeld. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung bereits kritisiert, ohne daß bisher etwas passiert ist. Und wenn dann etwa Sigmar Gabriel kommt und fordert, das Verfassungsgericht müsse prüfen, ob das Betreuungsgeld überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dann sage ich: Daß Verfassungsgericht hätte vielmehr zu prüfen, ob die Subventionierung von Krippen überhaupt zulässig ist! Der Staat bevorzugt nämlich damit zu Unrecht einseitig eine bestimmte Betreuungsform, während Familien, die andere Betreuungsformen wählen, leer ausgehen.

Also eine Diskriminierung der Familien?

Steuer: Das müssen sie sich mal vorstellen: Ein Krippenplatz kostet im Durchschnitt 1.500 Euro pro Monat und Kind, die der Staat ausgibt, aber nur für diese – für Kinder gefährlichste – Betreuungsform. Alle anderen Betreuungsformen werden nicht subventioniert. Das ist ganz klar verfassungswidrig.

Familien werden doch zwischen Betreuungsgeld und Krippe wählen können. Das ist doch immerhin etwas, oder?

Steuer: Es ist keine Wahlfreiheit, wenn ich Müttern hundertfünfzig Euro gebe, Krippenplätze aber mit dem Zehnfachen subventioniere. Das ist ein Ungleichgewicht, es gibt keine Frau, die sich mit hundertfünfzig Euro im Monat leisten könnte, zu hause zu bleiben. Das ist eine Lachnummer, keine Freiheit in der persönlichen Entscheidung!

Was haben Mütter denn, was Krippenerzieherinnen nicht haben?

Steuer: Liebe!

Können Erzieherinnen nicht lieben?

Steuer: Zehn fremde Kinder? Nein! Sie haben – wenn überhaupt – liebevolle Zuwendung für die Kinder, aber keine Liebe, wie Eltern sie haben. Wenn man eine Erzieherin nimmt, die dreißig Jahre lang alle drei Jahre zehn neue Kinder betreut, hat sie hundert Kinder zu lieben. Wie soll ein Mensch das schaffen?

Die Grünen würden Ihnen wohl ein „überholtes Rollenbild“ vorwerfen.

Steuer: Das ist doch Quatsch. Es kann jede Familie entscheiden, ob Vater oder Mutter daheim bleiben oder ob beide in Teilzeit gehen oder ob sie eine Kinderfrau wollen. Wenn die Grünen als Partei den Menschen ihr Rollenbild überstülpen wollen, ist das alles, nur keine Wahlfreiheit. Das ist Zwang! Wenn ich von dem Geld, das ich den Familien nehme, am Ende Krippen finanziere, ist das doch schizophren.

Glaubt man den Medien, ist den Frauen der berufliche Erfolg heute viel wichtiger als Familie. Stoßen Sie da nicht ins Leere?

Steuer: Viele Umfragen, die ich kenne, sagen anderes. Eltern wünschen sich vor allem mehr Anerkennung ihrer Erziehungsleistung und mehr finanzielle Unterstützung – wenn sie natürlich Singles, Jugendliche oder Rentner fragen, sehen die Ergebnisse sicher anders aus.

Schön und gut – und doch gibt es eine Medienkampagne gegen das Betreuungsgeld.

Steuer: Genau den Leuten werfe ich vor, daß sie sich nicht über die Lebenswirklichkeit von Familien informieren. Selbst Kindern aus sozial schwachen und armen Familien geht es in der Kita schlechter als bei den Eltern. Die Kita kann das Elternhaus also gar nicht korrigieren. Wenn wir folglich wirklich etwas für die Kinder tun wollen, wenn das der edle Grund dieser Menschen ist, so laut gegen das Betreuungsgeld zu schreien, dann müssen wir die Familien individuell und nachhaltig unterstützen und begleiten, aber nicht das Kind für ein paar Stunden aus der Familie nehmen und es dann in das Chaos zurückschicken.

Was ist mit den Studien, die besagen, je früher Kinder in die Kita kommen, desto intelligenter werden sie?

Steuer: Es gibt keine seriöse wissenschaftliche Untersuchung, die einen solchen Effekt nachweisen kann.

Die Debatte um das Betreuungsgeld ist also ...

Steuer: ... unzureichend. Wenn die Politik beschließt, daß die Bedürftigkeit der Kinder nach ihren Eltern mit einem Jahr endet und sie ohne Probleme acht Stunden Bindungsleck in der Kita ertragen können, ist das so, als ob man politisch beschließen würde, für die Arbeitsmarktverwertbarkeit der Mütter wäre es besser, wenn Schwangerschaften nur noch sieben Monate dauern sollten. In der Übertreibung wird der Unsinn deutlich. Also: Die Bedürfnisse der Kinder spielen politisch leider keine Rolle.

Tatsache ist, daß 25 Prozent der unter Dreijährigen bereits jetzt in frühkindlicher Betreuung sind, und der Anteil steigt. Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Steuer: Katastrophale, jedenfalls langfristig betrachtet. Da brauchen wir uns doch nur die Krippenländer anzuschauen. Dort ist lange nicht alles so gut, wie es uns hier immer verkauft wird. Da beobachten wir in der Tat eine zunehmende Zahl seelischer Probleme der Menschen. Manchmal würde ich mir wünschen, daß wir wie die Hühner wären: Die rupfen sich in der Massentierhaltung die Federn aus, wenn es ihnen schlecht geht. Aber Familien sind resistent. Ich hoffe daher, daß sich die Familien diesen staatlichen Lenkungen verweigern werden. Das Traurige ist, daß sich viele der ärmeren Familien diese heroische Haltung kaum leisten werden. So gesehen kann man den Familien nur raten: Schließt euch zusammen, macht Parteipolitik, ändert die sittenwidrigen Gesetze! Oder wandert aus, denn der Staat nimmt euch aus wie eine Weihnachtsgans und will obendrein euer Lebensmodell bestimmen.

Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer hat sich über einen Mangel an Familienpolitikern selbst in der Union beklagt. Hat sie recht?

Steuer: Ja, hat sie. Selbst Familienministerin Kristina Schröder ist ja nicht konsequent. Eigentlich müßte sie aus ihrer persönlichen Erfahrung als Mutter wissen, daß die Bedürfnisse der Kleinen andere sind, als uns die Politik einzureden versucht.

Warum erkennen die Deutschen das nicht? Wo bleiben die Demonstrationen aufgebrachter Familien?

Steuer: Die schweigende Mehrheit steht hinter unseren Forderungen. Ich kenne Professoren, die mir hinter vorgehaltener Hand sagen: „Wenn wir die Wissenschaft ernst nehmen würden, müßten wir morgen alle Kitas schließen.“

Was kann also unternommen werden?

Steuer: Familien haben keine Lobby. Auch nicht im Familienministerium. Und die Familien selbst haben schlicht keine Zeit. Die müssen sich überlegen, wie sie ihre Kinder groß bekommen und ernähren können. Wann wollen die sich da noch politisch engagieren? Wir gehen mit denen, die die Hauptlast tragen, so stiefmütterlich um, daß es zum Himmel stinkt. Es ist ein Teufelskreis! Und in den Medien findet leider auch keine sachliche Berichterstattung mehr statt.

Warum nicht?

Steuer: Weil viele Journalisten ihr eigenes Lebensmodell verteidigen, viele haben nämlich keine Kinder. Sofort kochen die Emotionen hoch, weil es um persönliche Betroffenheit und Ideologien geht.

Haben Sie deshalb das „Familiennetzwerk“ gegründet?

Steuer: Das haben wir gegründet, weil der Staat anfing, den Geldhahn für Familien zuzudrehen, und nun so tut, als täte er ihnen damit einen Gefallen, Kitas zu bauen. Die Rückmeldungen, die wir bekommen haben, waren positiv und die Menschen dankbar über die Argumentation, die wir für sie aufschlüsseln und verständlich machen. Es braucht eine ordentliche Portion Wissen, um gegen die Falschmeldungen und Lügen zu argumentieren, die sich in der öffentlichen Debatte wiederfinden. Wenn selbst Teile der Kirchen, die ja eigentlich Ehe und Familie schützen sollten, behaupten, die Kita sei der bessere Platz für Kinder, müssen wir die Eltern schulen und aufklären. Ansonsten wären sie dieser Haßkampagne völlig hilflos ausgeliefert. Als Ärztin erlebe ich jeden Tag das Leid von Kindern, deren Eltern keine Zeit für sie haben – dieses Leid spornt mich an!

 

Maria Steuer, ist Vorsitzende des „Familiennetzwerks“. Unter dem Motto „Familie ist Zukunft“ gründete der Verein Familie e.V. um die Kinderärztin und Familientherapeutin 2005 das Familliennetzwerk als Interessen- und Lobbyverband (Logo rechts). Bekannt geworden ist es vor allem durch zahlreiche Medienauftritte, wie bei „Hart aber Fair“, „Menschen bei Maischberger“ oder „Maybrit Illner“. Inzwischen kooperieren etwa 45 unabhängige Organisationen unter dem Dach des Familiennetzwerks. Maria Steuer wurde 1958 nahe Wuppertal geboren und ist selbst Mutter von drei Kindern. 2010 gab sie zusammen mit der ehemaligen Tagesschau-Moderatorin und Publizistin Eva Herman den Sammelband „Mama, Papa oder Krippe? Erziehungsexperten über die Risiken der Fremdbetreuung“ (SCM Hänssler) heraus.

Foto: Kinderfiguren im Wind: „Es ist keine Wahlfreiheit, wenn ich Müttern hundertfünfzig Euro gebe, Krippenplätze dagegen mit dem Zehnfachen subventioniere. Das ist eine Lachnummer.“

 

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