© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Begegnung, Forschung, Debatte
Bereit zur „Diskursbeflügelung“: Die Berliner Bibliothek des Konservatismus öffnet nach vier Jahren Vorbereitung ihre Tore
Nils Wegner

Alles Gute“, „viel Erfolg“ oder „beste Wünsche für Ihre Arbeit“: Lobreden waren am vergangenen Freitag in der Berliner Fasanenstraße (Charlottenburg-Wilmersdorf) zahlreich zu hören. Dort wurde im Rahmen eines Festakts die Bibliothek des Konservatismus nach knappen vier Jahren der Aufbauarbeit und ihrer feierlichen Einweihung genau ein Jahr zuvor (JF 48/11) für die Allgemeinheit eröffnet. Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske vermeldete mit Stolz, daß die Präsenzbibliothek mit ihren zur Zeit 60.000 Büchern und Zeitschriften künftig an zwei Tagen in der Woche für je fünf Stunden jedem Besucher offenstehe – wenngleich die Katalogisierungsarbeiten noch andauerten. Weitere Termine für intensivere Forschungsarbeiten könnten jederzeit mit ihm oder seinem Mitarbeiter, Marc Haessig, abgesprochen werden.

Zur Festlichkeit in den Bibliotheksräumen waren rund 60 Gäste geladen, darunter namhafte Vertreter aus Publizistik, Politik, akademischem und bibliothekarischem Leben. Ursula Popiolek von der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus sprach ein mitreißendes Grußwort. Der Berliner CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke sowie Philip Kiril Prinz von Preußen, Ururenkel Kaiser Wilhelms II., sandten Grußadressen, in denen sie die bereits jetzt bestehende Funktion der Bibliothek, wie auch der sie tragenden Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF), als Stätte wider das drohende Vergessen konservativen Kulturguts hervorhoben.

Die Festrede hielt der emeritierte Professor für Alte Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, Alexander Demandt, zum Verständnis von Konservatismus in der Geschichte. Von antiken Politikern wie Cäsar und Augustus, die zwar alte Strukturen nominell erhalten, sie aber mit gänzlich neuen und für sie vorteilhaften Bedeutungen versehen hätten, schlug sein kenntnisreicher Vortrag eine Brücke zu Oswald Spengler: Wenngleich gemeinhin zur „Konservativen Revolution“ nach Armin Mohler gezählt, und damit selbstverständlicher Bestandteil des Programms der Bibliothek des Konservatismus, so sei der wirkmächtige Geschichtsphilosoph des frühen 20. Jahrhunderts allenfalls „ein schwieriger Konservativer“. Dies zumindest insoweit, als eine konservative Haltung noch immer gemeinhin als schlichtes Festhalten am Überkommenen fehlgedeutet werde. Gerade das Beispiel Spenglers, mit seiner Bezugnahme auf sozialistische Versatzstücke, rechtfertige die von Demandt in seinem Vortrag mehrmals gestellte rhetorische Frage: „Ist das konservativ?“ Fernab partei- und tagespolitischer Auslegungsversuche sei das wahre Ziel des Konservatismus, gleichsam im Namen inbegriffen, der „wirksame Schutz überlieferter Güter“ als immanente Verantwortung gegenüber kommenden Generationen.

Ein von Demandt so charakterisierter Konservatismusbegriff löst sich aus dem Gewirr ideologischer Parolen und stellt sich als Lebensgesetzlichkeit dar; zu deren Erforschung und Vertiefung seiner Theorie und Praxis bietet die Bibliothek des Konservatismus eine in Deutschland einzigartige Möglichkeit. In ihr sind nunmehr alle herausragenden Primär- und Sekundärquellen zur Geschichte des Konservatismus in Europa und der Welt seit der Französischen Revolution, indes mit deutlichem Schwerpunkt auf Deutschland, versammelt und harren der Nutzung durch ein akademisches Publikum.

Der Leiter der Bibliothek, Wolfgang Fenske, der in Anlehnung an Umberto Eco das Projekt als „wunderbare Mission“ bezeichnete, gab einen beeindruckenden Überblick über den atemberaubenden Aufbau der Bibliothek. Den Grundstock bildete bekanntlich die 2008 aus München überführte private Forschungsbibliothek des konservativen Publizisten Caspar von Schrenck-Notzing mit 20.000 Bänden. Bis 2010 wurde in für einen Bibliotheksbetrieb ungeeigneten provisorischen Räumen mit Teilzeitkräften auf geringer Stundenbasis gearbeitet. Erst 2010 erfolgte dann der Bezug der ersten und 2011 schließlich der zweiten Etage im Haus an der Fasanenstraße. Umfangreiche Umbauarbeiten und die Anschaffung einer professionellen Bibliotheksausstattung wurden bewerkstelligt. Parallel dazu wurde die Bibliothek Mitglied im Gemeinsamen Bibliotheksverbund der Norddeutschen Länder (GBV), über dessen Datenbank mittlerweile schon 20.000 Titel der Bibliothek erfaßt und für die Öffentlichkeit erschlossen werden konnten. Zuletzt hob Fenske die bereits begonnene Vernetzung mit themenverwandten Einrichtungen wie der Stiftung „Ja zum Leben“, der Leopold-Ziegler-Stiftung und der J.-G.-Herder-Bibliothek hervor.

Die Bedeutung der Bibliothek des Konservatismus liegt darin, daß sie die wesentliche Literatur zu konservativer Politik, Philosophie und Weltanschauung, zu konservativen Impulsen auf das deutsche, europäische und internationale Kultur- und Geistesleben in all seiner Breite an einem Ort versammelt. Durch das Ermöglichen von „Intertextualität“, der thematischen Zusammenstellung der Werke in einem Regal, erschließe sich erst der Kosmos konservativer Weltsicht. Wolfgang Fenske ist sich sicher: „Wer sich in diesen ’Kosmos’ begibt, erlebt am Regal, daß etwas aufleuchtet von konservativer Geisteshaltung. Der verläßt die Bibliothek mit neuem Selbstbewußtsein und einem gewandelten Blick auf die Welt, in der wir leben.“

In seinem Abschlußvortrag wies der, in der Bibliothek verantwortliche für die Sammlung, darauf hin, daß bereits zwischen Einweihung und Eröffnung mehrere geisteswissenschaftlich orientierte Studenten und Examenskandidaten (so auch der Autor dieser Zeilen) die Bestände der Bibliothek des Konservatismus mit beachtlichem Gewinn für ihre wissenschaftlichen Arbeiten hätten nutzen können. Zusätzlich zur Unterstützung der ideengeschichtlichen Beschäftigung mit dem weiten Feld des Konservatismus wolle die Institution jedoch auch eine Plattform zur „Diskursbeflügelung“ bieten: Ihre Räumlichkeiten seien genauso für Buchvorstellungen, Vorträge und Seminare verfügbar.

Beim Sektempfang nutzten die Gäste ausgiebig die Gelegenheit, Einrichtung und Bestände der Bibliothek des Konservatismus in Augenschein zu nehmen und das Gespräch mit den Mitarbeitern und Gästen zu suchen. Darin wurde immer wieder die Bewunderung für diese außergewöhnliche Kraftanstrengung geäußert, insbesondere über das erstaunliche Tempo, mit dem von der Vision zur Realisierung des Projektes geschritten wurde.

Hervorgehoben wird von Besuchern die zentrale Lage der Bibliothek: Wenige Fußminuten vom Bahnhof Zoo entfernt, gegenüber dem Ludwig-Ehrhard-Haus, um die Ecke Technische Universität und Universität der Künste. Lob findet allgemein die klare Optik, schlichte preußische Ästhetik und Zweckmäßigkeit. Man muß die Bibliothek in ihrer räumlichen Tiefe erlebt haben, meint bewundernd ein Besucher, der staunend vor den fast vier Meter hohen Regalen im Lesesaal des ersten Stockes steht.

Der ganzheitliche Ansatz der Bibliothek wurde bereits am folgenden Samstag weiterverfolgt, als der Publizist Konrad Adam vor mehr als 60 Zuhörern im Rahmen einer Bibliothekstagung der Freunde und Förderer der Bibliothek eine angriffslustige Rede über den postmodernen „Klassenkampf“ in der Bundesrepublik hielt, der sich nicht mehr zwischen industrieller Bourgeoisie und Proletariat, sondern zwischen der politischen Klasse und dem Wahlvolk, das sie eigentlich repräsentieren solle, abspiele.

Anhand aktueller Beispiele – er nannte stellvertretend den Fall Peer Steinbrück und dessen Honoraraffäre – lasse sich zumindest in Zweifel ziehen, daß Gewissensfreiheit und Unabhängigkeit der gewählten Volksvertreter heute noch gewährleistet seien, von ihrem Stellenwert ganz zu schweigen. Gleiches gelte für ihren Repräsentanzanspruch für den gesamten Demos: „Was braucht man dazu? Was ist Voraussetzung für ein Mandat als Volksvertreter? Was verlangt ein Beruf, der vorgibt, für alle dazusein?“ fragte Adam rhetorisch und suchte die Antwort gleich selbst zu geben.

Das Wissen um die Bedingtheiten und alltäglichen Sorgen der Bürger sei essentielle Grundlage dafür, sie würdig und verantwortungsvoll repräsentieren zu können – genau darüber jedoch seien die Parlamentarier durch die mit ihrem Amt einhergehenden Vergünstigungen und Erleichterungen erhaben. Hierbei gehe es jedoch keinesfalls um eine „Neiddebatte“, sondern um eine Sensibilisierung für die „Lebensverhältnisse des Volkes“, die den Politikern derzeit völlig abgingen: „Deswegen sollten sich Politiker nicht wundern, wenn sie von anderen, von mir zum Beispiel, als Klasse beschrieben werden; sie nennen sich ja selber so. Die Sprache ist auch hier verräterisch; sie klingt, als lebten, dächten und handelten die Amtsinhaber nach der Devise: der Staat sind wir!“

Insbesondere, wenn es ums Geld ginge, zeige sich durch die Bank die Geringschätzung der Parteifunktionäre für Moral und Gesetz. „Schon deshalb ist es unaufrichtig, wenn sie sich über die Abwendung, das Mißtrauen und die Verachtung beklagen, die ihnen aus dem Volk entgegenschlägt: sie selber denken doch nicht anders, die Geringschätzung ist wechselseitig“, stellte Adam spitz die Verhältnisse klar. Gleichsam sei es an den Wählern, ein pflichtvergessenes Parlament – das sich zudem von der Bundesregierung am Gängelband führen lasse – nicht auch noch durch entsprechende Stimmvergabe zu legitimieren. Die wahre „politische Klasse“ sei das Volk selbst; es müsse sich dessen nur wieder bewußt werden.

Wenig verwunderlich, daß sich an diesen Vortrag eine intensive Diskussion über Möglichkeiten des Engagements anschloß. Darin empfahl sich gerade die Bibliothek des Konservatismus als Ausgangspunkt einer Rückgewinnung politischen Bewußtseins, ebenso wie konkreter Alternativkonzepte. Nach diesem gelungenen Start als Kulminationspunkt intellektueller Gegenbewegung kann die Bibliothek eine große Zukunft haben – als Forschungs- und Veranstaltungszentrum.

Vieles hängt jedoch an der Finanzierung: In den vergangenen vier Jahren ist kein einziger Euro, kein einziger Cent aus öffentlichen Geldern in die Bibliothek geflossen. Ein Fördererkreis aus inzwischen über 2.000 Personen hat bis heute alle Mittel aufgebracht, die notwendig waren, um die professionelle Ausstattung anzuschaffen, die Mitarbeiter zu bezahlen und die ersten Veranstaltungen durchzuführen. Wollen sich Deutschlands Konservative zukünftig eine konservative Bibliothek, die auch Denkfabrik und Veranstaltungszentrum ist, in Berlin leisten oder nicht? Werden zu den bereits bestehenden Förderern neue hinzustoßen? Von den Antworten auf diese Fragen hängt alles ab.

 

FKBF

Die gemeinnützige Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) wurde im Jahr 2000 von Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing († 2009) in München gegründet. Seine Zeitschrift Criticón galt lange Zeit als Kristallisationspunkt der konservativen Intelligenz in Deutschland. 2007 wurde JF-Chefredakteur Dieter Stein zum Vorsitzenden des Stiftungsrates gewählt. Die Stiftung vergibt einen nach Baltasar-Gracián (Stiftungs-Logo) benannten Kulturpreis und den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten.

Ein Informationsheft zur Bibliothek kann angefordert werden über: Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung, Postfach 31 05 08, 10635 Berlin,  E-Post: bibliothek@fkbf.de, FKBF-Spendenkonto: 21 25 27 50 04, BLZ 100 900 00, Berliner Volksbank

Fotos: Viel Platz für konservative Denker und Macher: In dem zentralen Raum der Bibliothek stehen 40.000 Bücher, 8 Arbeitsplätze und moderne Technik für Studien, Lesungen, Diskussionen, Vorträge mit bis zu 70 Personen bereit; Mit großer Aufgabe: Der Leiter Wolfgang Fenske stellt die Bibliothek vor; Die Bibliothek ist eröffnet: Ein guter Grund zum Anstoßen; Moderner Auftritt: Das Bibliotheksschild am Eingang weist den Weg; Hauptredner: Alexander Demandt hielt den Festvortrag über Oswald Spengler; Das Umfeld begeistert: Historiker Demandt (l.) und JF-Chefredakteur Dieter Stein ; Aus ganz Deutschland angereist: Förderer und Gäste bei der Bibliothekstagung ; Althistoriker Alexander Demandt: Kritischer Blick auf Oswald Spengler, Vordenker der Konservativen Revolution

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