© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Grüße aus Warschau
Wie bestellt
Christian Rudolf

In der Milchbar am Platz der Verfassung ist es nicht voll um diese Zeit. Den Hungrigen, die vor dem empfindlich kalten Wind hierher geflohen sind, schlagen beim Betreten Bratenschwaden entgegen. Man bestellt, was jetzt guttun wird: eine cremige Pilzsuppe, einen Hackklops mit Buchweizenkascha und „Mizeria“, ein Salat nach altpolnischem Rezept aus geschnittenen und mit Dill gewürzten Gurken, der in Schmand schwimmt. Zum Nachtisch einen süßen Pfannkuchen mit Apfelmus. Alles zum Selbstabholen an der Durchreiche zur Küche. Espresso doppio gibt’s woanders.

Ein Kilometer von hier liegen das Parlamentsgebäude, der Sejm, und die Kanzlei des Präsidenten. Die hatte ein experimentierfreudiger Chemiker von der Uni Krakau mit einer Vier-Tonnen-Bombe zu Steinstaub verarbeiten wollen. „Rechts“ soll er gewesen sein. Da er in Internetforen aus seinem Unmut gegen die Regierung keinen Hehl machte, kam ihm und seinen Kameraden der Inlandsgeheimdienst ABW bald auf die Schliche. Wenn man die Geschichte glauben darf. Stehen in den Gesichtern der hier schnell und preiswert Essenden Zweifel? Was sie wohl über die Regierung denken? Haben ihnen fünf Jahre Tusk mehr Wohlstand und Zuversicht gebracht? Und dann: Vier Tonnen? Seine Phantasien soll Brunon K. vom Dienst-PC der Uni abgesetzt und als Kontakt seine Dienst-E-Post angegeben haben?

Diejenigen, die sich hier dankbar über heiße Quarkklöße mit zerlassener Butter hermachen, werden die deutsche Debatte um die Verwicklungen des Verfassungsschutzes in den Zwickauer NSU nicht verfolgt haben. Die Sejm-Kommission für die Geheimdienste weist den Verdacht ab, der „verhinderte Attentäter“, wie er in den Medien genannt wird, sei vom ABW inspiriert oder provoziert worden. „Tee, bitte“, ruft es burschikos von der Durchreiche, das Zeichen, das Bestellte abholen zu können. Wie bestellt, irgendwie – nachdem die Dienste den K. monatelang auf dem Schirm hatten, wurde er erst Mitte November festgenommen. In welcher Phase seiner Vorbereitungen, erfuhr man nicht. Aber nicht unpraktisch, wie die Regierung Tusk mit diesem Coup die Begriffe anders besetzen kann. War kurz zuvor mit „Anschlag“ noch eine mögliche Bombe im Präsidentenflieger nach Smolensk gemeint – eine These, von der der Premier und sein Lager partout nichts wissen wollen –, so hat man nun an den „polnischen Breivik“ zu denken.

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