© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Energiewirtschaftliches Paradoxon
Strommarkt: Obwohl Windkraft- und Solaranlagen Schattenkraftwerke benötigen, will niemand investieren
Christian Schreiber

Vor zwei Wochen machte der größte Stromausfall in München seit zwei Jahrzehnten bundesweit Schlagzeilen. Weite Teile der bayerischen Hauptstadt waren lahmgelegt. Ein Drittel der 1,4 Millionen Einwohner war ohne Strom. Züge blieben stehen, Ampeln fielen aus, im Berufsverkehr kam es zu chaotischen Zuständen, die Feuerwehr mußte Eingeschlossene aus steckengebliebenen Fahrstühlen befreien. Dank der soliden Arbeit der Stadtwerke München war die Stromversorgung aber nach wenigen Stunden wiederhergestellt.

Eine Stromspitze und ihre Folgewirkungen sollen Ursache des Münchner Blackouts gewesen sein. „Nach derzeitigem Kenntnisstand besteht kein Zusammenhang des konkreten Vorfalls mit der Energiewende“, erklärte der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) vorige Woche in der Welt. Er gab aber zugleich zu bedenken: „Wenn immer mehr Strom aus stark fluktuierenden Energiequellen wie Wind und Sonne in die Netze eingespeist wird, wird die Aufgabe, die Netze stabil zu halten, immer anspruchsvoller.“ Ein nur einstündiger deutschlandweiter Stromausfall an einem Werktag im Winter könne laut Zeil aber „einen wirtschaftlichen Schaden von einer Milliarde Euro verursachen“.

Und einen solchen Mega-Blackout hätte es – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – im Februar dieses Jahres beinahe gegeben. Die Energiewende und vor allem die unsteten erneuerbaren Energien könnten auch im bevorstehenden Winter für Stromnetzprobleme sorgen. Die Politik reagiert aber bislang öffentlich nur zögerlich auf dieses brisante Thema, berührt es doch die von allen Bundestagsparteien mitgetragene Klimaschutzpolitik und das lukrative Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Doch der massive Ausbau von Windkraft, Photovoltaik & Co. erfordert einen massiven Netzausbau (JF 46/12) und zugleich Schattenkraftwerke, die die Versorgung sicherstellen, wenn kein Lüftchen weht und die Sonne nicht scheint. Diese hochflexiblen Kraftwerke werden aber nicht gebaut, weil sie durch den quasi kostenlos in den Markt eingespeisten Strom aus Wind und Sonne unwirtschaftlich werden. Für private Investoren sind diese Kraftwerke schlicht unrentabel, weil sie eben nicht permanent gebraucht werden. Die Politik fordert aber solche „systemrelevanten“ Anlagen – sonst führt das EEG geradewegs in den Blackout. Seit einigen Wochen liegt daher ein Gesetzentwurf vor, der den Umgang mit diesen Kraftwerken regeln soll. Demnach müssen Betreiber das Abschalten von konventionellen Kraftwerken in Zukunft zwölf Monate vorher ankündigen, die Stillegung kann nötigenfalls verboten werden. Zudem sollen die Betreiber der Stromnetze bis März 2013 mit der Bundesnetzagentur eine Aufstellung der in Frage kommenden Schattenkraftwerke erstellen. Laut Medienberichten handelt es sich vor allem um Gaskraftwerke in Süddeutschland.

Laut dem Gesetzentwurf könnte es um Kapazitäten von 3.900 Megawatt gehen – das entspricht etwa zehn Gaskraftwerken. Aber wer soll diesen Aufwand finanzieren? Private Investoren winken bei unrentablen „Teilzeit-Anlagen“ ab – außer sie werden mit frischem Steuergeld gelockt. Springen öffentliche Investoren ein, ist das Ganze genauso unrentabel, denn die verringerte Auslastung führt zu einem erhöhten Brennstoffverbrauch, weil die Kraftwerke, wenn sie denn produzieren, dies oftmals nur im Teillastbetrieb können. Das wiederum bedeutet erhöhten CO2-Ausstoß – doch der soll durch die EEG-Politik reduziert werden.

Die aktuellen EEG-geförderten Anlagen haben derzeit eine installierte Leistung von etwa 60.000 Megawatt, Tendenz steigend. Ihre gemeinsam gesicherte Leistung beträgt jedoch gerade einmal 0,5 Prozent davon. Dieser Wert entspricht der bisher niedrigsten Einspeisung von Wind und Sonne in diesem Jahr, die am 16. August 2012 zwischen 21 und 22 Uhr ganze 311 Megawatt betrug. Die Netzlast in diesen dunklen, windarmen Stunden muß fast vollständig vom konventionellen Kraftwerkspark getragen werden, der jedoch überaltert und teilweise unrentabel ist.

Der aktuelle Strommarkt, der maßgeblich durch das EEG beeinflußt wird, hält allerdings kaum Anreize bereit, in moderne, hocheffiziente und flexible fossile Kraftwerke zu investieren: „Es handelt sich um ein energiewirtschaftliches Paradoxon“, klagt Sven Becker, Chef des Aachener Kraftwerkebetreibers Trianel. Dessen Lösung sei eine riesengroße Herausforderung. „Wir werden ein neues Marktdesign für den Strommarkt brauchen, das Anreize schafft, in moderne, hocheffiziente und flexible fossile Kraftwerke und Stromspeicher zu investieren.“ Die Problematik wird sich noch verschärfen. Im Zuge des Atomausstiegs wurde die ausgefallene Grundlaststromversorgung bislang von Stromimporten und Kohlekraftwerken übernommen. 2011 lieferten letztere bereits 44 Prozent der Bruttostromerzeugung. Weitere Kraftwerke werden benötigt, doch „die Marktpreise stehen in keinem Verhältnis zu dieser Knappheit. Grund dafür ist, daß die erneuerbaren Energie außerhalb des Marktes finanziert werden“, erläutert Becker.

Der Gesetzgeber hat versucht, darauf zu reagieren und eine Schrittweise Absenkung der Subventionen für EEG-Anlagen beschlossen. Doch gerade dies hat zu einem wahren Ansturm der Subventionsjäger geführt. „Denn je schneller die Solarzelle installiert ist, desto mehr Fördergeld in Form der garantierten Einspeisevergütung für Solarstrom sichert sich der Betreiber noch. Der Wahnsinn hat also Methode. Deshalb wird der Ausbau nun mehr als doppelt so stark vorangetrieben wie von der Bundesregierung erwartet“, kommentierte die FAZ.

Eine Lösung der Problematik könnte das sogenannte amerikanische Modell sein – aber keine Angst, damit ist nicht das oberirdische Verlegen von Stromzuleitungen gemeint. In den USA wird nicht nur die tatsächlich abgenommene Kilowattstunde vergütet, sondern zusätzlich das Vorhalten von benötigten Reservekapazitäten, die zum Ausgleich von Engpässen und zur Stabilisierung der Stromnetze dienen. Aber das bedeutet, daß der Strom in Deutschland künftig noch teurer werden wird, denn am EEG soll prinzipell festgehalten werden – koste es, was es wolle.

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