© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Deutsche Nachwuchskrise
Unternehmernachfolge: Mittelständler stellen 70 Prozent der Arbeitsplätze / 70 Prozent dieser Firmen haben aber keinen Notfallplan
Paul Leonhard

Die Rosenheimer Kathrein-Werke werden zur Zeit nach einem Notfallplan geführt. Der Grund ist der plötzliche Tod von Anton Kathrein, dem persönlich haftenden und geschäftsführenden Gesellschafter des oberbayerischen Familienunternehmens mit über 1,3 Milliarden Euro Umsatz und weltweit knapp 7.000 Mitarbeitern. Fest steht, daß Kathreins Sohn die Geschäfte des Weltmarktführers für Spezialantennen im Sinne seines mit 61 Jahren verstorbenen Vaters fortführen wird, auch dank des Notfallplans.

Doch gerade einmal 30 Prozent der befragten Unternehmer haben die für die reibungslose Geschäftsfortführung wichtigsten Unterlagen griffbereit für eine Vertrauensperson zusammengestellt. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten Report des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zur Unternehmensnachfolge im deutschen Mittelstand hervor.

Nur 24 Prozent der über einen Notfallkoffer verfügenden Unternehmer halten diesen auch aktuell – ein Spiel mit dem Feuer. Auch anderes erweist sich als zunehmend problematisch. 39 Prozent der Senior-Unternehmer finden keinen passenden Nachfolger. Die demographische Entwicklung, Qualitätsmängel, die Unterschätzung des komplexen Nachfolgeprozesses, Finanzierungsprobleme und die neue Debatte zur Erbschaftssteuer erschweren den Generationswechsel in den Unternehmen, geht aus dem DIHK-Report hervor.

Deutschlands Mittelständler befinden sich in der Nachwuchskrise. Insbesondere in den neuen Bundesländern stehen viele Unternehmer, die die Wiedervereinigung nutzten, um DDR-Staatsfirmen oder enteignete Familienbetriebe zu reprivatisieren, kurz vor dem Ruhestand. Der Bedarf an Führungsnachwuchs in den mittelständischen Unternehmen steige dort steiler an als im Bundesdurchschnitt, so der DIHK.

Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) spricht von jährlich tausend Betrieben, für die eine Entscheidung zur Nachfolge getroffen werden muß. In den nächsten drei Jahren steht aber auch bei etwa 2.000 Mitgliedsunternehmen im IHK-Bezirk Rhein-Neckar eine Unternehmensnachfolge an. In Bayern müssen sich nach der letzten Erhebung des Arbeitsministeriums bis 2015 von rund 600.000 Familienunternehmen etwa 20.200 auf das Ausscheiden ihres Inhabers vorbereiten, in den meisten Fällen altersbedingt. Deutschlandweit wurden daher bei den IHKs und Handwerkskammern und in den Ministerien Beratungsbüros eingerichtet. In Thüringen gibt es das Beratungsnetzwerk „Gründen und Wachsen“, in Sachsen-Anhalt einen „Nachfolger-Club“, in Bayern Gründer-Agenturen.

Detailliert hat das Münchner Arbeitsministerium die Problematik der Unternehmensübergabe analysiert. In fast 70 Prozent der Fälle sei der Grund das altersbedingte Ausscheiden des Inhabers. Für diesen Normalfall kann vorgesorgt und geplant werden, wissen die Arbeitsexperten. Alle anderen Fälle gelten als riskant, da entweder das Unternehmen plötzlich in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist oder der Unternehmer wegen Unfall, Krankheit oder plötzlichem Tod die Betriebsführung aufgeben mußte. Nachfolgeberater nennen in einer Studie des Ministeriums die zu späte Planung und Übergabe, das Nicht-Loslassen-Können des bisherigen Unternehmers und dessen begrenztes Vertrauen in den Übernehmer, die Finanzierung der Unternehmensübernahme sowie die Auswahl und Vorbereitung eines geeigneten oder externen Nachfolgers als die größten Probleme beim Generationswechsel.

„Die Regelung der Nachfolge erfordert eine langfristige Planung unter vielen Aspekten“, weiß Wirtschaftsminister Morlok. Um Unternehmer zu motivieren, ihre Erfahrungen bei der Nachfolgeregelung auch für andere nachvollziehbar zu machen, verleiht Sachsen seit 2011 den „Sächsischen Meilenstein – Preis für erfolgreiche Unternehmensnachfolge“. Ausgezeichnet werden besonders gelungene und tragfähige Konzepte in den Kategorien familieninterne, unternehmensinterne und externe Nachfolge. Daß der Generationswechsel erfolgreich verlaufe, sei für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Freistaates unabdingbar, sagt Morlok: „Wir wollen bewußtes Handeln für die weitere Existenz und Fortführung eines Unternehmens würdigen.“

70 Unternehmer haben sich in diesem Jahr für den „Meilenstein“ mit ihrem Übernahmekonzept beworben. Gleichzeitig bietet die TU Chemnitz im Rahmen des Programms „Unternehmenszukunft Sachsen“ Master- und Promotionsstudenten aller Fachrichtungen eine kostenfreie Zusatzqualifikation zum Thema Unternehmensnachfolge an. Ziel ist es, einen realistischen Einblick in die Situation eines Unternehmensnachfolgers im Mittelstand zu bekommen.

„DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge – Zahlen und Einschätzungen zum Generationswechsel in deutschen Unternehmen“: www.dihk.de

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