© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Vom Sinn gemeinsamen Lebens
Geistliche Gemeinschaft: Die Evangelische St. Georgs-Bruderschaft feiert ihr 25jähriges Jubiläum
Christian Dorn

Die Evangelische Kirche muß aufpassen, den Heiligen Geist nicht mit dem Zeitgeist zu verwechseln – die Warnung, die Bundespräsident Joachim Gauck zu Pfingsten 2012 der fusionierenden Nordkirche mit auf den Weg gab, hat gute Gründe, wie die aktuelle Auseinandersetzung um den zu vereinigenden Liederkanon zeigt, etwa mit Blick auf das essentielle Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“, das – aus Sicht mancher Pfaffen – einem multikurellen Deutschland nicht mehr zuzumuten sei. Einer, der sich schon viel früher auf den Weg gemacht hat, ist der frühere Weggefährte und Freund Gaucks, der Schriftsteller Ulrich Schacht. Der im November 1976 aus der DDR-Haft in die Bundesrepublik entlassene Autor hatte das eingangs zitierte Problem des Protestantismus bereits vor über 25 Jahren verspürt.

Gewissermaßen im Exil, auf der dänischen Ostseeinsel Falster, gründete Schacht 1987 mit Gleichgesinnten, die den Kirchenalltag der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre als primär linksliberal bis linksradikal erlebt hatten, eine evangelische Bruderschaft, die es sich laut Ordensregel zur Aufgabe machte, das Christentum in der säkularen Gesellschaft „entschieden und streitbar“ zu leben – in einer Zeit, da die Sozialismus-Hoffnung als diesseitige Heilslehre weitgehend akzeptiert wurde.

Nicht zufällig kam die Mehrheit der sich um Schacht scharenden Mitstreiter ebenfalls aus der DDR-Diktatur. Alle von ihnen hatten im Widerstand zu den politischen Verhältnissen des SED-Staates gestanden, in unterschiedlichster Weise waren sie politischer Verfolgung und Haft ausgesetzt gewesen, wie etwa die Schriftsteller Siegmar Faust und Jürgen K. Hultenreich.

Ziel der jungen Bruderschaft war es, christliche Gemeinschaftsformen zu entwickeln, die an diese widerständige Erfahrung anknüpfen und zugleich ältere Traditionen streitbarer christlicher Gemeinschaft wie des trikonfessionellen Deutschen Ordens aufgreifen. Als „geistiggeistliche Gemeinschaft ritterlicher Tradition“ kehrte die Bruderschaft nach dem Mauerfall nach Deutschland zurück und verständigte sich auf ihre Namensgebung als St. Georgs-Orden – unter Berufung auf die Figur des christlichen Märtyrers, der auch als Drachentöter und Jungfrauenretter reüssierte.

Inzwischen hat die Bruderschaft ihren festen Sitz in der Georgenburse nahe dem Augustinerkloster zu Erfurt. Hier verwaltet sie eine ökumenische Pilgerherberge sowie die öffentliche Begehung der in der Burse errichteten Luther-Gedenkstätte, dem einstigen Aufenthaltsort des Reformators in seiner Erfurter Studentenzeit. Dort wirkt auch der Ordenskanzler der Bruderschaft, der 1966 geborene Axel Große. Seine Vita steht zugleich beispielhaft für das missionarische Wirken des Ordens. Große, der in der DDR in einem christlichen Elternhaus groß geworden war, brach nach dem Mauerfall – aufgrund der vornehmlich linken Einstellung in der Studentengemeinde – mit dem Glauben. Über die Bruderschaft fand er zurück in die Kirche. Letztere hat die Evangelische Bruderschaft St. Georgs-Orden heute vollständig anerkannt: 2010 wurde sie in die Liste der geistlichen Gemeinschaften und Kommunitäten der EKD aufgenommen.

Leitmotivisch für den Orden ist neben dem Vermächtnis Martin Luthers das Vorbild Dietrich Bonhoeffers, dem zufolge „die Restauration der Kirche gewiß aus einer Art neuen Mönchtums“ komme, „das mit dem alten nur die Kompromißlosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat“. Das Zitat aus einem Brief im Januar 1935 schloß mit dem Bekenntnis, daß es an der Zeit sei, „hierfür die Menschen zu sammeln“.

Der Orden der Evangelischen St. Georgs-Bruderschaft veranstaltet in diesem Sinn seit Herbst 2006 regelmäßig Klausurkonvente und lädt zu öffentlichen Tagungen in das Evangelische Augustinerkloster zu Erfurt ein – mit Blick auf die Feierlichkeiten zum Luther-Jubiläumsjahr 2017 dürfte der Ort bald schon ungleich größere Aufmerksamkeit erfahren.

Anläßlich des 25jährigen Jubiläums hatte der Orden der Evangelischen St. Georgs-Bruderschaft jetzt – unter dem Titel „Vom Sinn gemeinsamen Lebens“ – erneut nach Erfurt geladen. In seinem facettenreichen Eröffnungsvortrag beschrieb der Politikwissenschaftler Klaus Dicke, Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die historische Figur des Heiligen Georg als einen der zwar bekanntesten, zugleich aber geheimnisvollsten Heiligen, der in seinem „spirituellen Ritt durch die Geschichte“ als „Imagination, Nothelfer und Patron“ in die Welt getreten sei.

Der Oberkirchenrat und Ordensspiritual Thomas A. Seidel versuchte indes darzustellen, was es heute heißt, „mit Ernst Christ sein“ zu wollen.

Am vielleicht deutlichsten sichtbar – jedenfalls für die Welt außerhalb des Ordens, dessen Mitglieder über Deutschland verteilt leben – sind die Publikationen der Bruderschaft. Nach dem 2005 herausgegebenen Tagungsband „Gott mehr gehorchen als den Menschen: Christliche Wurzeln, Zeitgeschichte und Gegenwart des Widerstands“ (Vandenhoeck & Ruprecht) folgte dieses Jahr der Titel „Maria. Evangelisch“, der – damit den ökumenischen Anspruch des Werkes untermauernd – als Gemeinschaftsausgabe des katholischen Bonifatius-Verlages und der Evangelischen Verlagsanstalt erschien.

Die bemerkenswerte Resonanz hierauf reichte bis zu einigen deutschen Kardinälen und dem Ratsvorsitzenden der EKD, die sämtlichst auf die ökumenische Bedeutung Mariens im Kontext geistlicher Gemeinschaften hinwiesen. Bewußt rekurrieren die Herausgeber Thomas A. Seidel und Ulrich Schacht, Großkomtur des Ordens, in ihrem Vorwort auch auf den evangelischen Theologen Paul Tillich, der bereits 1941 vor der spezifischen Schwäche des Protestantismus als einer Kirche des „prohetischen Protests“ gewarnt hatte. Ausdruck dessen sei die Unterbewertung des sakramentalen Elements, wodurch das Heilige entschwinde. Daher, so Tillich, benötige der Protestantismus „das ständige Korrektiv des Katholizismus und den immerwährenden Zustrom seiner sakramentalen Elemente.“ Dergestalt stimmt der Gedanke der Ökumene, wie ihn die Bruderschaft aus konservativer Warte wiederbelebt, hoffnungsfroh: Viva Maria!

Kontakt: Evangelische Bruderschaft St. Georgs-Orden, Georgenburse Erfurt, Augustinerstraße 27, 99084 Erfurt, Telefon: 03 61 / 2 12 64 23

www.georgsbruderschaft.de

Thomas A. Seidel / Ulrich Schacht (Hrsg.): Maria. Evangelisch. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2011, broschiert, 256 Seiten, 19,80 Euro

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