© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Das Wunschbild im Kopf
Kino: „Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin“ von Jonathan Dayton und Valerie Faris
Claus-M. Wolfschlag

Die Sehnsucht nach einem Liebespartner ist bekanntlich auch von Wunschbildern geprägt. Sei es das Bild der Erlösung durch den auf einem Schimmel heranreitenden Prinzen oder das bipolare Ideal der heiligen Hure, sei es der lebenslange Traum von einer Rückkehr zu Vater und Mutter auf veränderter Ebene, oft sind es im Unbewußten liegende Bilder, die uns bei der Partnerwahl beeinflussen.

Dieser Thematik hat sich der ungewöhnliche Liebesfilm „Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin“ angenommen. Ungewöhnlich vor allem, weil er sich auf den ersten Blick und bei oberflächlicher Betrachtung recht gewöhnlich präsentiert. Zwar wartet der Streifen mit einem phantastischen Element auf, doch spätestens zur Hälfte des Films schleicht sich zwischenzeitliche Langeweile ein. Das war’s also, ein kleiner Gag, denkt man. Und wähnt sich in einer jener oberflächlichen Liebeskomödien nach Hollywood-Machart, in die genervte junge Männer gerne von ihren Freundinnen geschleift werden. Doch der Anschein trügt, die Geschichte nimmt Wendungen.

Der Film beginnt mit dem jungen Autor Calvin Weir-Fields (Paul Dano), der nach seinem ersten gefeierten Roman keinen Treffer mehr landen konnte. Eine Schreibblockade hat eingesetzt, die Karriere hat sich als scheinbares Strohfeuer erwiesen. Hinzu kommt die unverarbeitete Trennung von seiner Freundin.

In dieser Situation träumt Calvin von einem Mädchen, fühlt sich nach dem Erwachen inspiriert und macht sich an ein neues Manuskript. Er erfindet eine Liebesgeschichte und beschreibt in dieser seine Idealfrau. Doch die Fantasie scheint sich zu materialisieren. Zunehmend findet er weibliche Kleidungsstücke in seiner Wohnung. Und eines Tages steht sein Romangeschöpf Ruby Sparks (Zoe Kazan) leibhaftig in der Küche und brät Spiegeleier.

Nachdem auch Verwandte und Bekannte bekräftigen, Ruby sehen zu können, wird sich Calvin des Wunders bewußt. Es beginnt eine Zeit inniger Liebe zwischen ihm und der unwissenden Kreatur seines Kopfes. Doch das Bild der jederzeit verfügbaren Idealfrau zerbricht, als sich das Geschöpf zu emanzipieren beginnt, nach Freiheit sehnt. Ein Machtkampf entsteht, in dem sich Calvin als Herrscher über das Leben aufzuschwingen versucht.

Das Spiel einer Verbindung zwischen Romanfiguren und realem Leben wurde bereits gelegentlich filmisch umgesetzt, etwa 2006 in „Schräger als Fiktion“ oder 2008 in „Tintenherz“. Der nun erscheinende Streifen um „Ruby Sparks“ präsentiert sich über weite Strecken in der Ästhetik gängiger Liebesfilme und Komödien. Man muß somit die tiefere Ebene der Geschichte eigenständig dechiffrieren. Es verbirgt sich nämlich ein moderner Pygmalion-Mythos dahinter, den man auch zur „Frankenstein“-Tragödie hätte dramatisieren können. Diesen Schritt sind die Regisseure nicht gegangen, und dennoch ist es ihnen gelungen, einen stellenweise sehr nachdenklich stimmenden Film zu schaffen, der sich kritisch mit Wunschbildern, Machtstreben, Reifung und dem Weg zu wahrer Liebe beschäftigt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen