© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Gallischer Widerstand
Keltenjahr 2012: Ein Dokumentationszentrum in Burgund zur Schlacht von Alesia dient auch der Kollektiverziehung / JF-Serie – Teil fünf
Karlheinz Weissmann

Wer seinen Asterix kennt, wird sich auch an den running gag in „Asterix und der Arvernerschild“ erinnern, daß niemand weiß, wo Alesia liegt. Wie viele Leser verstanden haben, daß damit auf einen intensiven und langanhaltenden Streit – in der Archäologie wie der interessierten französischen Öffentlichkeit – angespielt wird, steht auf einem anderen Blatt.

Tatsächlich gingen die Meinungen seit dem 18. Jahrhundert darüber auseinander, wo der Ort der historischen Niederlage der Gallier im Kampf gegen Cäsar zu suchen sei. Daß sich die Waagschale schließlich zugunsten des kleinen Ortes Alise-Sainte-Reine senkte, war nicht zuletzt der Initiative Kaiser Napoleons III. zu danken. Auf seinen Befehl begann man mit systematischen Ausgrabungen in der Umgegend, die nicht nur die Überreste eines keltischen Oppidums, sondern auch die von zahlreichen römischen Befestigungen, die der Belagerung gedient hatten, und eine größer angelegte gallo-römische Siedlung der Zeit nach der Eroberung zutage förderten.

Nach Abschluß der Grabungen wurde auf dem Hügel von Alise-Sainte-Reine 1856 eine Statue für Vercingetorix, den Führer der Gallier errichtet, deren Gesichtszüge unverkennbar an die Napoleons III. erinnern und bis heute die allgemeine Vorstellung vom Aussehen des tragischen Helden bestimmen. Daran wird auch nichts ändern, daß das neue, mit außergewöhnlichem Aufwand errichtete, historische Dokumentationszentrum der Schlacht von Alesia einiges versucht, um dieses Bild zu „dekonstruieren“.

Der imposante, futuristische Bau – die Neue Zürcher Zeitung sprach von einem „Tumulus für Vercingetorix“ – mit einer Bekrönung aus jungen Bäumen hat allerdings selbst eine symbolische Funktion: Die kreisrunde Form soll an die Einschließung der Gallier durch die Römer erinnern, das Holz an ihre befestigten Lager, während die Bäume auf der Dachterrasse zwingend daran erinnern, daß die Kelten heilige Eichen verehrten (JF 14/12).

Ansonsten ist der Bau ganz dem Zweck gewidmet, dem Besucher die Ursachen, den Verlauf des Kampfes und die Folgen der gallischen Niederlage verständlich zu machen. Dabei scheut man keinen Effekt, angefangen bei dem Eingang, den man unter den überdimensionalen Figuren römischer und keltischer Krieger durchschreitet, die aufeinanderprallen, bis zum Kurzspielfilm, in dem die Ereignisse bei der Belagerung von Alesia in dramatischer Form präsentiert werden, also die Einschließung des Oppidums, in das sich Vercingetorix samt seinen Kriegern vor Cäsar zurückgezogen hatte, den Fehlschlag des Ausbruchs der gallischen Kavallerie, die Aushungerung und die immer verzweifelteren Maßnahmen, zu denen Vercingetorix gezwungen war, bis zum Endkampf und der Kapitulation, bei der er sich ergab in der Hoffnung, auf solche Weise ein glimpflicheres Schicksal für seine Leute zu erreichen, und seinem schmählichen Tod im römischen Kerker.

Tatsächlich war der Aufstand des Vercingetorix der letzte Versuch, die Freiheit Galliens zu verteidigen. Er ähnelt insofern dem des Arminius, des „Befreiers Germaniens“ (Tacitus dixit). Und auch sonst gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden, einschließlich des Streits um die Lage des Schicksalsortes Alesia hier, des Schlachtfelds im Teutoburger Wald dort.

Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, daß Arminius in Deutschland seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts so erfolgreich von den Völkischen und der Rechten reklamiert wurde, daß die Linke nichts mehr von ihm wissen wollte, während in Frankreich niemals irgendeine Seite bereit wäre, auf Vercingetorix zu verzichten. Bezeichnenderweise sahen während des Zweiten Weltkriegs die einen in ihm eine Präfiguration Pétains und die anderen eine Vorwegnahme des Widerstandskämpfers gegen die deutschen Besatzer. Später hat Mitterrand sich auf sein Beispiel der Einigung der gallischen Stämme „von unten“ berufen und Le Pen ihn in Anspruch genommen, um die Identität Frankreichs zu verteidigen.

Ohne diesen Sachverhalt zu kennen, bliebe unverständlich, welcher Aufwand in Alise-Sainte-Reine mit dem Dokumentationszentrum getrieben wurde. Die Menge der Originalfunde, die hier gezeigt werden, ist naturgemäß klein (sie sind auch rein optisch nicht immer ganz leicht zu differenzieren, da die technischen Standards von Galliern und Römern sich kaum unterschieden), um so massiver die Inszenierung, zu der auch die regelmäßigen Darbietungen von Reenactmentgruppen im Zentrum selbst beziehungsweise auf dem Vorfeld gehören.

In gewisser Weise könnte man sagen, daß Alesia als Kontrapunkt zu Bibracte (JF 39/12) entwickelt wurde. Was man im ersten Fall dem Purismus der Fachleute geopfert hat, wird hier dadurch korrigiert, daß man sich ganz dem Ziel der Kollektiverziehung widmet. Daß sich dabei, die modischen Mätzchen beiseite gelassen, ein erstaunlicher Traditionalismus in der Auffassung der eigenen Nationalgeschichte offenbart, kann nur den überraschen, der den deutschen für den Normalfall hält.

Nähere Informationen im Internet unter www.alesia.com

Foto: Vercingetorix-Denkmal (Ausschnitt) in der französischen Gemeinde Alise-Sainte-Reine: Die von Kaiser Napoleon III. 1865 in Auftrag gegebene Kolossalstatue trägt seine Gesichtszüge. Der Aufstand des Vercingetorix gegen die Römer war der letzte Versuch, die Freiheit Galliens zu verteidigen

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