© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Belagerte Familie
Häusliche Gewalt: Das Drama „Festung“ im Kino
Sebastian Hennig

In ihrem Spielfilm „Festung“ vermeidet die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen den billigsten Trick der Alptraumfabrik Kino. Nie kommt es zur kathartischen Entlastung des Zuschauers durch mimetische Darstellung brutaler Übergriffe, jener perfide Kniff, mit dem der erklärte Antikriegsfilm kriegstreiberischer wirkt als alles andere.

Der Film über häusliche Gewalt läßt ahnen: Weibliche Ohnmacht ist das Samenkorn, aus dem die weibliche Macht hervorkeimt und umgekehrt. In einer Mutter (Ursina Lardi) und ihren drei Töchtern verzweigt sich diese Wahrheit. Gewalt ist nicht nur dort, wo sie akut vollstreckt wird. Alle beteiligten Personen mästen das Ungetüm.

Die kleine Moni hat die gebieterischste Position der Familie inne. Die Bewahrerin der Familiarität trägt das sommersprossige Keksreklamegesicht der achtjährigen Antonia T. Pankow. Karoline Herfurth als ihre emanzipierte Schwester Claudia reckt ein Köpfchen, das zugleich trotzig und lieblich ist. Es drängt sie zur Vermännlichung weiblicher Tugenden. So scheitert sie mehr komisch und weniger tragisch als die anderen.

Anstoß erhält die Handlung durch die Nöte der mittleren Tochter Johanna (Elisa Essig). Das nicht nur zarte Ringen der Geschlechter ist es, woraus ein Rettendes erwächst. Die Liebesbeziehung zwischen Johanna und Christian (Ansgar Göbel), dem Sohn des Sportlehrers (Bernd Michael Lade) bahnt sich über einen Schwiegervater-Rufmord. Dieser Einmische wird Opfer seiner Weltverbesserungstaktik. „Herr Waidele hat mich angefaßt“, bekommt die Denunziationsbeauftragte der Schule zu hören.

Die vorwurfsvoll ausgestellte Wankelhaftigkeit der Weiber entspricht letztlich besser den Bedingungen des Lebens als die stabilisierte Neurose der Selbstbestimmtheit. „Du bist nichts. Deine Familie ist alles.“ Das gilt nicht zuletzt auch für den bedrückten-unterdrückten Mann (Peter Lohmeyer), der durch Wohlverhalten bei der Matriarchin glänzen muß, um den Gasthof übertragen zu bekommen. Sollen wir glauben, daß unser Leben kein anderes Ziel hat als Lustgewinn und Harmonie?

Was denn eigentlich soll die Alternative zu einer noch so leidvollen Familie darstellen? Etwa die Anteilnahme der Dorfharpyien, die durch die Rolläden spähen? Oder die zweifelhafte Fürsorge der Sozialarbeiter, die sich aus dem vermeintlichen Elend des Lebens der anderen ein gesellschaftliches Siegertreppchen zimmern?

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