© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

An Hegel geschult
Vordenker der Konservativen: der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser / JF-Serie, Teil V
Harald Seubert

Günter Rohrmoser gehörte der legendären Schule von Joachim Ritter in Münster an. Er studierte in der für ihn kennzeichnenden Bandbreite zugleich Evangelische Theologie bei Carl Heinz Ratschow und Volkswirtschaftslehre bei Alfred Müller-Armack. In einem turbulenten Promotionsverfahren, in dem Ritter und der Germanist Benno von Wiese auf die Höchstnote votierten, die Anglisten die Arbeit scheitern lassen wollten, wurde er mit einer Studie über die Shakespeare-Rezeption in der deutschen Geistesgeschichte in Münster promoviert. Sie führte die Gundolfsche Shakespeare-Deutung auf den geschichtlichen Zeitenbruch der Epoche Shakespeares zurück. Die Habilitation folgte 1961 in Köln bei Ludwig Landgrebe mit einer Arbeit über den jungen Hegel. In ihr legt Rohrmoser den Grund zu seiner lebenslangen religions- und rechtsphilosophischen Zeitdiagnostik, die auf Hegel rekurriert. Mit Ritter versteht er Hegel als Denker der Freiheit, der aber zugleich ihre drohende Selbstzerstörung reflektiert habe.

Rohrmoser lehrte zunächst als Professor an der Pädagogischen Hochschule in Münster und als Privatdozent in Köln. Dort sind seine mit großem rhetorischem Schwung und weitgehend frei gehaltenen Vorlesungen früh ein Magnet gewesen. Zeitweise hatte er an die 1.000 Hörer. Rohrmoser nahm schon in den frühen sechziger Jahren die Auseinandersetzung mit dem Marxismus und der Kritischen Theorie offensiv auf. Von Hegel her hatte er einen Maßstab, um die marxistische und neomarxistische Theoriebildung zu konterkarieren.

Zunächst eher der SPD nahestehend, wurde er, nachdem sich eine Berufung nach Köln auch durch kollegiale Intrigen des Kölner Ordinarius Volkmann-Schluck zerschlagen hatte, 1976 durch den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Hans Filbinger, als Ordinarius für Sozialphilosophie an die Universität Hohenheim berufen, wo er bis zu seinem Tode lehrte und wo ihm, nach anfänglichen Schwierigkeiten durch die verfaßte linke Studentenschaft, gerade aus dem Stuttgarter Bürgertum eine große Hörergemeinde zuwuchs. Seit 1979 war Rohrmoser Spiritus rector bei der Begründung des Studienzentrums Weikersheim durch Hans Filbinger.

Aus den zahlreichen einflußreichen Vorträgen und den Vorlesungen entstand ein beachtliches Werk, das – ohne Tendenzen zur Reaktion und in starker Abgrenzung gegenüber der Konservativen Revolution – einen christlichen Konservatismus für die Moderne begründen wollte. Hegel, später auch Luther, waren dabei Rohrmosers wichtigste Gewährsmänner.

Er nutzte das große Erbe der Geistesgeschichte und ihre Traditionen aber als einen Spiegel, um die Verwerfungen der Gegenwart besser zu erkennen. Der epochale Streit zwischen Rechts- und Linkshegelianern war ihm in der Folge von Kojève der Schlüssel für die ideologischen Frontlinien des 20. Jahrhunderts. Auch Carl Schmitts Lehre vom Katechonten und der Hegelsche Begriff eines sittlichen Staates, der die universale Freiheit der modernen Welt anerkennt, zugleich aber überpositiv die Traditionslinien der Herkunft rechtfertigt, waren für Rohrmoser zentral.

Im Sinne Hegels begriff er Philosophie als „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“. Rohrmoser war davon überzeugt, daß der Kulturrevolution von 1968 eine neue konservative Kulturrevolution entgegenzusetzen sei. Daß die „geistige und moralische Wende“, die Helmut Kohl im Vorfeld der Bundestagswahlen 1983 in Aussicht gestellt hatte, ausblieb, wurde für Rohrmoser Indiz eines Debakels und der geistigen Leere der bürgerlichen Parteien. In dieser Diagnose sollte er sich in den folgenden Jahrzehnten weiter bestätigt sehen. Nach dem Ende des Ostblocks erkannte er scharfsichtig, daß der Liberalismus nicht (wie Fukuyama glauben machen wollte) das „Ende der Geschichte“ bezeichne, sondern im Zeitalter seiner Durchsetzung in seine tiefste Krise komme. Dies war für Rohrmoser Indiz des „Ernstfalls“.

Besonderes Gewicht legte er nach 1989 auf die geistige Zwiesprache zwischen Russen und Deutschen, in seinem Sinne: den „metaphysischen Völkern“.

 

Vordenker

Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat den dritten Band seines „Staatspolitischen Handbuchs“ vorgelegt. Nach den „Leitbegriffen“ (2009) und den „Schlüsselwerken“ (2011) werden nun die konservativen „Vordenker“ präsentiert. Der von Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann herausgegebene Band versammelt in alphabetischer Reihenfolge 129 Personen, „die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben“. Die JUNGE FREIHEIT stellt einige dieser „Vordenker“-Porträts aus dem Buch vor. Bisher erschienen: Irenäus Eibl-Eibesfeldt (JF 45/12), Arthur Koestler (JF 46/12), Ludwig von Mises (JF 47/12) und Martin Mosebach (48/12).

Erik Lehnert / Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Staatspolitisches Handbuch, Band 3: Vordenker. Edition Antaios, Schnellroda 2012, gebunden, 256 Seiten, 15 Euro

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