© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Konsequent gegen die Leser
Zeitungssterben: Die „Financial Times Deutschland“ ist an ihrer eigenen politischen Linie gescheitert
Marcus Brandstetter

Die Financial Times Deutschland ist am Ende. Am 7. Dezember soll die letzte Ausgabe erscheinen. Das Blatt aus dem Verlagshaus Gruner + Jahr (Stern, Geo, Brigitte) wurde im Februar 2000 gegründet und hat seitdem 300 Millionen Euro an Verlusten angehäuft; auch im laufenden Jahr sollen es nochmals zehn Millionen Euro werden. Dem mit großen Ambitionen angetretenen Flaggschiff des Zeitungskonzerns ist es nie gelungen, auch nur eine schwarze Null zu schreiben. Auch die verkaufte Auflage sank seit 2004 von 62.000 auf jetzt gerade einmal 40.000 Exemplare. Etwa genauso viele wurden als Bordexemplare verschenkt.

Es sieht also nicht gut aus bei Europas größtem Verlagshaus, das zwar 300 Magazintitel im Programm hat und von Wirtschaft und Natur über Familien, Frauen und Kochen bis zu Männern und Autos irgendwie alles abdeckt, aber heutzutage hauptsächlich von den Erfolgen der Vergangenheit zehrt. Auch das Unternehmermagazin Impulse und das Internetportal Börse online stehen zum Verkauf. Alles, womit G+J Geld verdient, hat mit Druck und Druckereien, Anzeigen, Abonnenten, Kiosken und Postversand zu tun und wenig mit Internet und Online-Angeboten. Das alles läuft immer mehr gegen den Geist der Zeit, aber auch gegen Markt und Geld, weshalb G+J im September seinen Vorstandsvorsitzenden Bernd Buchholz geschaßt und durch Julia Jäkel ersetzt hat. Neue Besen kehren bekanntlich besser, weshalb es nun der FTD als größtem Verlustbringer zuerst an den Kragen geht.

Als die Nachricht von der Einstellung der FTD sich verbreitete, kristallisierten sich drei Theorien heraus, die das Ende irgendwie erklären sollten: Technik, demographischer Wandel und der Verfall von Moral und Bildung der Jugend. Keine dieser Erklärungen trifft den Kern der Sache, dafür lenken alle von peinlichen Fragen und unangenehmen Antworten komfortabel ab.

Theorie eins sagt, daß immer weniger Geld in die gedruckte Anzeigenwerbung geht und der ganze – ehemals sehr lukrative – Anzeigenmarkt über kurz oder lang fast komplett ins Internet abwandern wird. Da ist was dran, das erklärt aber keineswegs, wie eine handwerklich gut gemachte Zeitung mit Europas größtem Verlag im Rücken zwölf Jahre lang keinen Cent verdienen kann. Der Wandel von Print zu Online betrifft die ganze Zeitungslandschaft gleichermaßen, trotzdem gelingt es einigen Titeln nach wie vor, damit Geld zu verdienen.

Theorie Nummer zwei besagt, daß die verkaufte Auflage der deutschen Tageszeitungen wegen Privatfernsehen, Radio und Internet seit 20 Jahren stetig sinkt. Keiner will mehr lange Artikel lesen und auch noch was dafür bezahlen, um am Ende des Tages die ungelesene Zeitung dann doch wegzuschmeißen. Auch das ist teilweise richtig, aber als die FTD gegründet wurde, war diese Entwicklung bereits in vollem Gange, man hätte also mit den richtigen Online-Angeboten von vornherein reagieren können.

Anhänger der dritten Theorie wissen, daß die klassischen Abonnenten von Zeitungen alle über 50 sind, während junge Menschen, auch solche mit Abitur und Studium, sich ihre Informationen kurz, knapp und kostenlos im Internet holen. Der moralische Vorwurf, der hier mitschwingt – „die Jugend liest nichts mehr, weil ihr das zu anstrengend ist“ –, ist aber nicht der Jugend zu machen, sondern all den Kultusministern, Bildungsreformern, Pädagogen und Psychologen, die seit 40 Jahren für Schulen ohne Noten und Disziplin, die Abschaffung der Klassiker im Lehrplan und die Verwässerung sämtlicher Bildungsstandards eintreten.

Wenn das alles den Untergang der FTD nicht erklärt – was dann? Der wirkliche Grund liegt einfach darin, daß kein Mensch, der jeden Tag mit Geld, Aktien und Immobilien, mit Banken, Märkten und Vermögensanlagen zu tun hat, gerne liest, daß hohe Steuern gerecht, Gewerkschafter, Betriebsräte und Hartz-IV-Empfänger ausnahmslos feine Kerle, Manager, Unternehmer und Reiche aber nicht selten Schurken und Steuerhinterzieher sind. Keine Wirtschaftszeitung hat die Occupy-Bewegung derart hofiert und sie zu einer weltweit bedeutenden kapitalismuskritischen Bewegung stilisiert wie die FTD. Studien gewerkschaftsnaher Wirtschaftsinstitute wurde breiter Raum eingeräumt, während unternehmernahe Institutionen selten zu Wort kamen.

Nach frechen und witzigen Anfangsjahren mit gut recherchierten Artikeln ersetzten bald Predigten und Einheitsmeinungen die Fakten. Die Redaktion träumte laut und öffentlich von einer schwarz-grünen Koalition, Kritik an Euro und EU war nie Thema, wie Leser und Öffentlichkeit all das einschätzten schlicht egal. Rührend verklemmt fielen die Artikel im Ressort Luxus aus, wo man pflichtschuldigst für die Leute Zeitung machte, die man in der Tiefe des Herzens verachtete: Manager, Unternehmer und Reiche.

Nicht strukturelle Gründe waren es also, die die FTD zu Fall gebracht haben – nicht die Dotcom-Blase, der 11. September, die Lehman-Pleite, die Schuldenkrise, wie der Chefredakteur öffentlich vermutet. Es war nur Hochmut und ein konsequentes Ignorieren der Leser.

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