© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Macht hoch die Tür
Begehbare Adventskalender wärmen Herz und Sinne
Paul leonhard

Bunte, meist mit Schokolade gefüllte Adventskalender gehören für Kinder ganz selbstverständlich zur Vorweihnachtszeit. An jedem Tag im Advent wird ein neues Fenster geöffnet, hinter dem sich eine immer andere Überraschung verbirgt. Und sie können an ihm ablesen, wie viele Tage es bis zum Heiligen Abend sind. In Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“ verfolgt beispielsweise der kleine Hanno „das Nahen der unvergleichbaren Zeit“ auf einem von seiner Kinderfrau angefertigten Abreißkalender. Seit dem 19. Jahrhundert gehören Adventskalender zum christlichen Brauchtum. Inzwischen werden diese aber weltweit vermarktet, und längst ist nicht mehr bei allen die religiös-christliche Bedeutung des Weihnachtsfestes abzulesen. Parallel dazu wetteifern Städte um den größten oder schönsten Adventskalender.

Besinnlicher geht es bei den sogenannten begehbaren Adventskalendern zu, die es inzwischen in vielen Kommunen im deutschsprachigen Raum als Gegenentwurf zur Kommerzialisierung der Vorweihnachtszeit gibt. Dabei trifft sich die Nachbarschaft abends immer an einem anderen, vorher vereinbarten Ort, um zu singen, Geschichten zu hören, einander kennenzulernen. Meistens geht die Initiative von der Kirchengemeinde aus, bei der sich Familien, öffentliche Einrichtungen oder Unternehmer für die Gestaltung eines Abends bewerben können. Dann werden Fenster wie bei einem Adventskalender mit Nummern versehen, weihnachtlich geschmückt und beleuchtet.

In Annaberg/Schmelz in Nieder­österreich erstreckt sich der begehbare Adventskalender über eine Strecke von zwei Kilometern. Per Zufallsprinzip werden den die Straße säumenden rund 90 Häusern 24 Ziffern zugeteilt. Die Haus­eigentümer gestalten ein gut sichtbares Adventsfenster, das von 16 bis 22 Uhr beleuchtet wird. Ähnlich ist es im Kölner Stadtteil Merheim. Hier kommt jeden Tag ein Fenster hinzu, das von 17 bis 22 Uhr beleuchtet wird. Im Ortsteil Großwechsungen der Einheitsgemeinde Werther in Nordthüringen versammeln sich die Einwohner vor der Weihnachts­tanne im Zentrum, um dann zu den jeweiligen Gastgebern zu spazieren.

In Wien öffnet sich entlang der Gumpendorfer Straße bis zum 24. Dezember täglich die Tür eines anderen Betriebes oder Geschäftes. In Saarbrücken gibt es die Adventskalender-Aktion der Interessengemeinschaft Quartier Mainzer Straße. Auch in Essen-Frohnhausen haben sich Familien gefunden, die abendlich zu einer kleinen Feier einladen. In Bretzenheim wird vor dem Öffnen des Fensters gemeinsam gesungen, und der Gastgeber erzählt eine Geschichte. Im Ortsteil Angerstein von Nörten-Hardenberg findet in diesem Jahr zum fünften Mal ein begehbarer Adventskalender statt. Bei Keks und Glühwein wird zum „Schnack unter Nachbarn und Freunden“ eingeladen.

Nicht immer reicht die Kraft der Bürger, um jedes Jahr einen begehbaren Adventskalender zu gestalten. In Görlitz wird das schlesische „Lichtel“ in diesem Advent nicht unter dem Motto „Kommt nur herbei, ihr lieb Leut!“ einladen. Der Bürgerinitiative, die seit 2002 jeden Abend im Advent zu einem anderen, geheimnisvollen Ort eingeladen hatte, ist die Puste ausgegangen.

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