© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Wolfgang Sofsky besticht durch seine Unbestechlichkeit gegenüber dem Zeitgeist
Das Prinzip Wissenschaft
Erik Lehnert

Wer den Menschen grundsätzlich für gut hält, auf den dürfte das Werk Wolfgang Sofsky verstörend wirken. Sein Interesse für Tod und Gewalt, das er in seinem letzten Buch „Todesarten“ auf die anschauliche Spitze getrieben hat, wirkt in Zeiten sozialpädagogischer Heilserwartungen wie ein Fremdkörper. Dabei könnte die Grundfrage Sofskys nach dem Verhältnis von Freiheit und Gewalt aktueller kaum sein, und es sagt viel über unsere Zeit, daß sie sich ihr verschließt.

Für Sofsky steht fest, daß der Mensch einen Hang zum Laster hat und daß dazu das moralische Versacken ebenso gehört wie die Leichtgläubigkeit und der Gesinnungsterror. In seinen Essays „Das Prinzip Sicherheit“ und „Verteidigung des Privaten“ zeigt er die Konsequenzen der Sehnsucht nach Absicherung auf, nämlich den Verlust der Freiheit, und sieht im Privaten den letzten Rückzugsraum vor der Zudringlichkeit des Staates und moralisierender Zeitgenossen.

Sofsky, der geboren 1952 in Kaiserslautern am 9. Dezember seinen sechzigsten Geburtstag feiert, wurde der breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er 1993 für seine Göttinger Habilitationsschrift über „Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager“ den Geschwister-Scholl-Preis erhielt. Nach dem Studium der Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft war er 1982 mit einer Arbeit über „Die Ordnung sozialer Situationen“ bei dem Soziologen Hans Paul Bahrdt, einem Schüler Helmuth Plessners, promoviert worden.

Sein anthropologisches Interesse und der phänomenologische Zugriff sind das Besondere am Werk Sofskys. Daraus leitet sich nicht nur sein Abstand zu linken Utopien ab, sondern auch der genaue Blick auf den Menschen. Seine Bücher zeichnen sich durch präzise Sprache und wohltuende Zuspitzung aus, die sie von den Hervorbringungen der meisten Soziologen abheben. Es ist vor allem die Nüchternheit, mit der Sofsky seinen Gegenstand betrachtet, die irritiert. Er schlägt beim Thema Konzentrationslager im Grunde denselben Ton an, mit dem er auch die Gegenstände der Industriesoziologie behandelte, wenn er sie als „extremste Form der Macht und modernen Organisation“ bezeichnet. Diese Form der Macht ist wie jede andere verstehbar und vergleichbar. Wer das leugnet, will moralisch argumentieren und, so Sofsky, „historischen Sinn“ stiften.

Das tut Sofsky auch in seinem bekanntesten Buch „Traktat über die Gewalt“ nicht: Gewalt gehöre zum Menschen, nur das Ausmaß der Gewalt ändere sich von Zeit zu Zeit. Phasen der Entgrenzung werden von Zeiten eingehegter Gewalt abgelöst. Die Entfesselung ist jedoch jederzeit möglich. Diese an sich nicht neue Einsicht war in Vergessenheit geraten und wird heute heftig befehdet. Wolfgang Sofsky hat daher die unabhängige Position des Privatgelehrten gewählt. Von dieser lassen sich unbequeme Wahrheiten leichter aussprechen und sei es nur, daß Kultur nichts Versöhnliches ist.

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