© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Zahlendiskussionen
Marcus Schmidt

Ein Jahr nach dem Auffliegen der mutmaßlich vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ begangenen Mordserie an neun Ausländern und einer Polizistin ist der Kampf um die politische Deutungshoheit voll entbrannt. Ganz vorne mit dabei ist die SPD.

Die Sozialdemokraten fahren schweres Geschütz auf und werfen den Behörden im Umgang mit dem Rechtsextremismus im Alltag „Ignoranz und Verharmlosung“ vor. Von „zivilgesellschaftlichen Akteuren“ werde immer wieder eine fehlende Sensibilisierung bei Polizei und Ermittlungsbehörden bei rechtsextremen Straftaten bemängelt. „Der Rassismus wird in Frage gestellt, die Diskriminierung für die Opfer setzt sich somit auf Behördenebene fort“, heißt es in einem Antrag der SPD-Fraktion mit dem Titel „Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus“, der in der vergangenen Woche im Bundestag debattiert wurde.

Beim „Dunkelfeld“ geht es vor allem um Zahlen. Denn seit Jahren werfen linke Aktivisten und Journalisten der Polizei vor, die Zahl der seit 1990 von Rechtsextremisten getöteten Menschen in Deutschland herunterzurechnen. Während das Bundeskriminalamt (BKA) aktuell 63 Todesopfer zählt (die SPD behauptet sogar, die Behörden gingen von lediglich 47 Opfern aus), kommen „zivilgesellschaftliche Akteure“ und Journalisten auf 182 Todesopfer. Und dabei ist noch Luft nach oben, wie der SPD-Abgeordnete Sönke Rix in einem Thesenpapier deutlich gemacht hat. Denn es seien lediglich die Fälle erfaßt, „in denen durch Zeugenbeobachtung ein rechtsextremer Bezug herzustellen ist. Alles andere liegt im Dunkeln“, schreibt Rix vieldeutig.

Dieses makabere Gefeilsche um Op-ferzahlen hat einen handfesten Hintergrund. Je höher die Zahl der Opfer, desto größer die Gefahr durch den Rechtsextremismus und um so mehr Geld muß der Staat den privaten Organisationen und Gruppierungen im „Kampf gegen Rechts“ zur Verfügung stellen, lautet die Logik. Behörden und Regierung weisen die von der SPD vorgetragenen Verdächtigungen zurück. Dabei ist die Differenz zwischen der Statistik des BKA und der Zählung der privaten Organisationen leicht zu erklären, wie Franz-Josef Jung (CDU) deutlich gemacht hat. Für die Polizei sei entscheidend, ob die Tat rechtsextremistisch motiviert war, für die zivilen Akteure reicht es dagegen, daß der Täter aus dem rechten Milieu kam – auch wenn der konkrete Fall vielleicht „nur“ allgemeinkriminell motiviert war.

Die von der SPD in ihrem Antrag geforderte wissenschaftliche Erforschung der Opferzahlen hat ihr von der Linkspartei den Vorwurf der „naiven Wissenschaftsgläubigkeit“ eingetragen. Hier möchte man die Forschung nach den Opferzahlen ganz offiziell an die „Praktiker aus Opferberatungen und Journalismus“ auslagern. Das wäre aber erst der Anfang: Die Linkspartei und mit ihr viele Grüne und Sozialdemokraten träumen seit Jahren von einer „aus Bundesmitteln finanzierten unabhängigen Beobachtungsstelle“. Dann wäre auch der Kampf um die Deutungshoheit endgültig entschieden.

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