© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Leere Versprechungen
Euro-Krise: Die jüngst beschlossenen Maßnahmen zur sogenannten Griechenland-Rettung sind nicht finanzierbar
Wolfgang Philipp

Die Bundestagsabgeordneten von Union, FDP, SPD und Grünen, die vorigen Freitag „Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland“ beschlossen haben, hoffen offensichtlich darauf, daß ihre Beschlüsse womöglich in Übereinstimmung mit Verträgen, Recht und Gesetz auch in der Wirklichkeit realisierbar sind. Für jeden Zeitgenossen, der noch die altmodische Auffassung vertritt, daß zwei mal zwei vier ist, Verträge eingehalten und Gesetze beachtet werden müssen, ist diese Frage mit Nein zu beantworten. Insbesondere kann der sogenannte Rettungsfonds EFSF die ihm zugedachte Rolle nicht spielen.

Die EFSF ist eine kleine Aktiengesellschaft mit Sitz in Luxemburg, deren Eigenkapital sich nach Verlusten gerade noch auf rund 19 Millionen Euro beläuft (JF 48/12). Ihre Aufgabe, notleidenden Euro-Ländern zinsgünstige Kredite von bis zu 440 Milliarden Euro zu geben, kann sie nur durch Kredite finanzieren. Verluste dürfen nicht auftreten, da diese, sofern sie das minimale Eigenkapital übersteigen, sofort zu Überschuldung und Insolvenz führen würden.

Die EFSF hat bisher im Jahre 2012 für Griechenland Darlehen in Höhe von 25 Milliarden Euro bereitgestellt. Insgesamt sollen die Darlehen des EFSF an Griechenland laut Bundestag eine Gesamthöhe von bis zu 144,6 Milliarden Euro erreichen. Nach dem von der Eurogruppe beschlossenen „EFSF-Rahmenvertrag“ muß der für jedes Darlehen festzusetzende Zinssatz u.a. die von der EFSF eingegangenen eigenen Finanzierungskosten decken. Die EFSF ist darauf angewiesen, daß die Empfängerländer diese Zinsen überweisen, weil sie sonst nicht in der Lage ist, den von ihr selbst für die Refinanzierung aufgenommenen Zinsverpflichtungen nachzukommen.

Nach den jüngsten Beschlüssen werden Griechenland für die ersten zehn Jahre Zinsen auf die von ihm in Anspruch genommenen Kredite gestundet. Ein solcher Vorgang ist in der Wirtschaftsgeschichte einmalig. Eine AG darf Zinsen nicht ohne Gegenleistung stunden, schon gar nicht, wenn dadurch ihre eigene Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung herbeigeführt wird: Die Verantwortlichen machen sich wegen Untreue und Insolvenzvergehen strafbar. Es ist zwar theoretisch möglich, daß die EFSF zusätzliche Kredite aufnimmt, um ihren eigenen Zinsverpflichtungen nachzukommen.

Diese Kredite müßte sie dann aber ihrerseits verzinsen. Das führt zu Verlusten, Zinsen sind Kosten. Diese Verluste werden weit höher sein als das Eigenkapital von noch 19 Millionen Euro. Indem der Bundestag diesem Szenario zustimmt, beschließt er, den EFSF-Vertrag zu brechen und die Insolvenz der EFSF herbeizuführen. Die hierfür Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Langfristige Kredite kurzfristig refinanzieren?

Weiter wurde vereinbart, die Laufzeit der von der EFSF an Griechenland im März 2012 gewährten Kredite von 15 auf 30 Jahre zu verlängern. Auch einen solchen Beschluß darf eine Aktiengesellschaft nicht fassen. Denn die Refinanzierung für 30 Jahre ist nicht gesichert. Insgesamt hat die EFSF seit Januar 2011 rund 82 Milliarden Euro längerfristige Kredite mit einer Laufzeit zwischen einem Jahr und 25 Jahren aufgenommen. Weitere rund 60 Milliarden Euro aufgenommener Kredite sind kurzfristig mit Laufzeiten zwischen drei und sechs Monaten.

Eine 30jährige Refinanzierung hat die EFSF überhaupt nie am Markt erreichen können. Vier Kredite mit Laufzeiten von je 25 bzw. 20 Jahren belaufen sich auf zusammen nur rund fünf Milliarden Euro. Eine solche Finanzierung ist hoch gefährlich, wie die Bankenkrise seit 2007 lehrt: Es verstößt gegen die „goldene Bankregel“, langfristige Kredite kurzfristig zu refinanzieren: In einem solchen Fall muß die EFSF ihrerseits umschulden, ohne daß die refinanzierten Kredite von Griechenland zurückfließen, sie wird erpreßbar. Je nach Marktlage kann dies ganz scheitern oder geht nur zu ungünstigen Bedingungen.

Der Zusammenbruch dieses Modells ist absehbar

Die EFSF hat ihr „AAA“-Rating bei S&P und Moody’s bereits eingebüßt. Lediglich die Agentur Fitch – sie gehört mehrheitlich dem französischen Unternehmer Marc Ladreit de Lacharrière – erhält ihr Spitzenrating noch bei. Weil Frankreich als zweitgrößter Garantiegeber der EFSF sein „AAA“ verloren hat, ist damit zu rechnen, daß auch die EFSF noch weiter abgestuft wird und dann Kredite nur zu höheren Zinsen am Markt erhalten kann.

Der Zusammenbruch dieses Modells ist absehbar. Die „Stundung“ von Zinsen auf zehn Jahre ist in Wirklichkeit das Eingeständnis, daß Griechenland zahlungsunfähig ist, weil es fällige Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann. Auch werden Zinseszinsverluste nicht ersetzt. In einem solchen Fall darf eine Aktiengesellschaft, aber auch die Bundesregierung, keine weiteren Kredite mehr gewähren. Darüber hinaus wird die EFSF nicht umhinkommen, die Griechenland-Forderungen – ebenso wie sie es mit den im Jahre 2011 entstandenen Forderungen gegen Irland und Portugal hätte machen müssen – teilweise abzuschreiben, was wiederum Verluste nach sich zieht.

Wenn die EFSF ihren Zinsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, tritt der Bürgschaftsfall ein: Die Mitgliedsstaaten müssen zu Lasten ihrer Steuerzahler antreten, Deutschland ist mit fast 29 Prozent dabei. Der Bundesfinanzminister sagt die Unwahrheit, wenn er behauptet, die Stundung der Zinsen berühre den Bundeshaushalt nicht. Wenn die EFSF in den dauerhaften Rettungsfonds ESM übergeht, „erbt“ dieser eine Situation, in der in der freien Wirtschaft niemand „fusionieren“ würde.

Es ist offensichtlich, daß die meisten Bundestagsabgeordneten in dieser Sache jegliche Übersicht verloren haben und nicht mehr wissen, was sie beschließen und was möglich ist. Und wer hat schon die vielen englischsprachigen Seiten des „Second Economic Adjustment Programme for Greece“ wirklich gelesen?

 

Drittes Griechenland-Paket

Die Euro-Finanzminister, der Währungsfonds IWF und die Europäische Zentralbank (EZB) haben sich darauf geeinigt, Hilfen für Griechenland in Höhe von fast 43,7 Milliarden Euro freizugeben, damit Athen vorerst weiter seine Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern erfüllen kann. Zudem erhält der Staat mehr Zeit für die Rückzahlung der seit 2010 gewährten Kredithilfen. Mittels zehn Milliarden Euro vom Rettungsfonds EFSF soll Griechenland eigene Anleihen für maximal 40,1 Prozent des Nominalwerts von Banken, Hedgefonds und privaten Gläubigern zurückkaufen. Diese Bonds wurden bislang allerdings nur zu einem Bruchteil ihres Nennwertes gehandelt. Dadurch soll die nominale Staatsverschuldung von derzeit über 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um etwa zehn Prozentpunkte sinken. Diese „Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland“ wurden vorigen Freitag vom Bundestag mit 473 Stimmen – bei 100 Neinstimmen und elf Enthaltungen – genehmigt. Der Bundeshaushalt wird so 2013 mit 730 Millionen Euro zusätzlich belastet.

Foto: Neue Milliarden-Hilfen: Insgesamt sollen die Darlehen der EFSF an Griechenland eine Gesamthöhe von bis zu 144,6 Milliarden Euro erreichen

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