© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Von der Expansion zur Kontraktion
Konferenz des Denkwerks Zukunft: Disput über Geld- und Zinswirtschaft ohne Wachstum / Europa als kulturelle Speerspitze des Nullwachstums?
Erik Lehnert

Angesichts der vielfach beschworenen Alternativlosigkeit, mit der die Bundesregierung ihre Wirtschaftspolitik betreibt, ist jeder Hinweis auf eben doch vorhandene Gegenvorschläge ein belebendes Moment. Daß sich diese nicht im Zentrum der Macht entwickeln, liegt in der Natur der Sache.

Doch mit Meinhard Miegel, dem Erfolgsautor und langjährigen Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn, gibt es einen gut vernetzten Vordenker solcher Ideen. Das von ihm 2007 ins Leben gerufene Denkwerk Zukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung hatte am vergangenen Sonnabend zu ihrer dritten Konferenz in das Umweltforum an der Berliner Auferstehungskirche geladen. Es ging um das Thema „Leben ohne Zins und Wachstum – Ausblick auf eine neue Ära“. Dazu waren ein Dutzend Referenten geladen, die das Thema von der anthropologischen, volkswirtschaftlichen und soziologischen Seite beleuchten sollten. Die Ausgangsthese, die Miegel bereits 2010 in seinem Buch „Exit – Wohlstand ohne Wachstum“ entwickelt hat (JF 12/10), lautet, daß in den Industrienationen die Wachstumsraten seit geraumer Zeit zurückgehen und alle Versuche, diesen Trend umzukehren gescheitert seien. Daß sich das auch in Zukunft nicht ändern werde, wurde den etwa vierhundert Zuhörern durch den Einleitungsvortrag von Miegel, gespickt mit zahlreichen ins Jahr 2050 extrapolierten Kurven, nahegebracht.

Er nannte fünf Gründe, die der von Bevölkerung und Politik beschworenen Kraft des Wachstums widersprechen würden: Wachstum produziere Schulden, treffe auf Ressourcengrenzen, mißachte die Ansprüche der Dritten Welt und die Folgen der eigenen demographischen Entwicklung. Eine davon sei die Abkehr vom herkömmlichen, materiellen Wachstum. Dem widersprach nicht ausdrücklich, aber doch deutlich, der Ethnologe Wulf Schiefenhövel, der den Menschen als Maximierer schilderte, dessen Triebe zwar befriedigt werden können, der aber im Wettbewerb mit seinesgleichen diese Bremse gerade nicht habe und zumindest im Kampf um einen bestimmten Status kaum zu bremsen sei. Sein Fazit klang eher pessimistisch: Günstigenfalls könne sich Europa als kulturelle Speerspitze des Nullwachstums erweisen, genausogut sei es aber denkbar, daß dadurch der Sturz in die totale Bedeutungslosigkeit drohe.

Zu der folgenden Gesprächsrunde traten dann neben Miegel und Schiefenhövel noch zwei Wirtschaftshistoriker, die im Grunde beide anderer Auffassung waren als Miegel. Der eine, Werner Abelshauser (Universität Bielefeld), konnte kein schrumpfendes Wachstum ausmachen und fand auch, daß unser Lebensstil unproblematisch sei und Ressourcengrenzen bislang immer durch Innovation umgangen worden seien, der andere, Birger Priddat (Privatuniversität Witten-Herdecke), fand, daß sich unsere strukturellen Probleme nur durch Wachstum lösen ließen. Wer jetzt einen Schlagabtauch erwartete, wurde enttäuscht. Miegel verteidigte seinen Ansatz so zaghaft, daß seine Ernsthaftigkeit fraglich schien, und die Moderatorin war nicht in der Lage, so etwas wie ein Streitgespräch zu initiieren.

In dieser Art und Weise ging es nach der Mittagspause weiter. Die Volkswirtschaftler Richard Werner (University of Southampton) und Thomas Mayer (Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank) präsentierten denkbar konträre Ansätze, so daß dem Publikum danach nicht einmal mehr klar war, wie man Zins und Wachstum definiert. Dabei gab es interessante Gedanken und Thesen zu hören, die sich allerdings oft nur schwierig in die Ausgangsthese der Tagung integrieren ließen.

Nicht anders war es bei den Soziologen, die sich vor allem im Bereich des Wünschbaren bewegten, anstatt einmal verschiedene Szenarien der Nullwachstumsgesellschaft konsequent durchzuspielen. So war denn das Schlußwort von Miegel, der bekannte, an diesem Tag durch eine „nebelverhangene Landschaft“ gelaufen zu sein, auch kryptischer als man es sonst von ihm gewohnt ist. Er kann mit dieser Tagung nicht zufrieden gewesen sein, weil sie in interessanten Meinungen verharrte und diesem wichtigen Thema so kaum den nötigen Impuls des Ernstfalls verliehen haben dürfte. Ohne diesen wird er den „Wachstumsbeschwörern“ kaum Paroli bieten können.

Diskussionsbeiträge der dritten Konferenz des Denkwerks Zukunft in Berlin: www.denkwerkzukunft.de

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