© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Die Banalisierung des Heiligen
Fünfzig Jahre Zweites Vatikanisches Konzil: Zur 15. Kölner Liturgischen Tagung in Herzogenrath
Leonhard Lauterstein

Herzogenrath – an der Grenze zu den Niederlanden gelegen – ist vom 28. November bis zum 1. Dezember Schauplatz einer Liturgischen Tagung gewesen. Ist Liturgie – also die Frage, nach welchen Maßgaben ein gottesdienstlicher Ritus zu feiern ist, überhaupt noch zeitgemäß? Hat das nicht sehr viel mit Spezialistentum und marginalen Fragestellungen zu tun, die letztlich ausschließlich den Berufsstand der Kleriker etwas angehen?

Nicht, wenn man weiß, daß ausgerechnet diese Veranstaltung in einen weitaus größeren, gesamtgesellschaftlich relevanten Kontext eingebunden ist – wenn man die näheren Umstände betrachtet, unter denen der harmlos klingende Titel „50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil und die Liturgiereform – Eine Erneuerung zwischen Anspruch und Widerspruch“ für das Bistum Aachen, auf dessen Boden sich das Ganze abspielte, offenbar Sprengstoff lieferte. Und nicht nur das. Bereits im Vorfeld war das veranstaltende Priesternetzwerk – ein Zusammenschluß von etwa 300 konservativen Priestern deutschsprachiger Diözesen – zur Zielscheibe einer medialen Hetzkampagne geworden. Der homosexuelle Theologe David Berger nutzt derzeit die Anonymität von Internetforen, um Anhänger einer konservativen Theologie zu inkriminieren. In der vergangenen Woche ist der Sprecher des Netzwerks, Hendrick Jolie, unter dem Druck der Medien zurückgetreten.

Welche Themen sind so brisant, daß Bischof Mussinghoff von Aachen dem viertägigen Kongreß sein Grußwort ausdrücklich verweigerte, obwohl drei hochrangige Kardinäle (Walter Brandmüller, Joachim Meisner, Antonio Cañizares Llovera) und auch der Nuntius in Deutschland ihren Apostolischen Segen erteilten? Was kann so gefährlich für eine doch stets als „dialogbereite“, „offen“ apostrophierte Kirche sein, daß die Tagung nicht mehr wie in den vergangenen drei Jahren in einem Bildungshaus des Bistums stattfinden konnte, und zwar, weil in diesem keine Veranstaltungen mehr geduldet würden, „die rassistische, sexistische oder die Würde des Menschen verletzende Aussagen tätigen oder Inhalte bearbeiten“ – so die Leitung des Nell-Breuning-Hauses. Auf den Kongressen sprechen immerhin so angesehene Referenten wie der Philosoph Robert Spaemann, die Publizisten Matthias Matussek, Alexander Kissler, Lorenz Jäger sowie der Schriftsteller Martin Mosebach, und Professoren deutscher theologischer Fakultäten und sogar Bischöfe.

Hauptsächlich ging man in diesem Jahr in neun Einzelvorträgen und zwei Diskussionsveranstaltungen vor 130 Teilnehmern – davon waren 48 Priester – der Frage nach, inwieweit die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von einem Liturgierat ausgearbeitete Liturgiereform wirklich dem Willen der Konzilsväter entsprochen habe. Eine rhetorische Frage, gewiß. Denn inzwischen ist nicht mehr zu leugnen, daß die seit den siebziger Jahren in die Messe eingeführten Neuerungen in vielem nicht mit den Aussagen des Konzilsdokuments zur Liturgie „Sacrosanctum Concilium“ übereinstimmen und dem Glauben der Katholiken abträglich waren.

Die nahezu ausschließliche Verwendung der Volkssprache, die Zelebration am Volksaltar, die Einführung von Mundkommunion und wenig sakraler Gesänge sind nur einzelne Schlaglichter auf eine Banalisierung der doch „heiligen“ Messe. Abhilfe für diesen Irrweg soll möglicherweise mit einer von Papst Benedikt XVI. intendierten „Reform der Reform“ erreicht werden.

Beispiele für die „Zerstörung des Heiligtums“ stellte in seinem Vortrag Lorenz Jäger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bildlich vor Augen. Seine Dokumentation einer Vielzahl von Volksaltären war ein kleiner Parforceritt durch die „Greuel der Gegenwart“, wie er es nannte. Die schmucklosen, oftmals häßlichen, Altäre der Moderne, für die vielerorts die kostbaren Hochaltäre aus Barock und Gotik weichen mußten, stellen denn auch die sichtbarsten Veränderungen nachkonziliarer Bilderstürmerei dar.

Damit einher ging für Jäger ein Wandel verschiedener Begrifflichkeiten, die das Innerste des Glaubens berühren. Der Opferaltar ist zum Mahltisch verkommen. Die Vorstellung vom „Opfer“ existiere damit nur noch unzureichend. Was, Jäger zufolge, auch etwas mit einer Veränderung des Priesterbegriffs zu tun hat, denn der Priester ist es ja, der am Altar das Opfer Christi „in persona Christi“ darbringt. Was für den 1951 geborenen Soziologen und Journalisten, der just vor einigen Wochen erst zum katholischen Glauben konvertierte, ein Verweis auf die protestantisierenden Tendenzen des Zweiten Vatikanums ist, die ihre Fortsetzung in den mittlerweile vielerorts propagierten „priesterlosen“ Gottesdiensten finden.

Beim Gesprächsabend mit dem Kulturjournalisten Alexander Kissler wurde dieser Trend eines sich ständig wandelnden und wandelbaren Bildes von Kirche ebenfalls kritisch kommentiert. Der Titel des Films „Das Leben ist eine Baustelle“ wurde zum Anlaß genommen, zu hinterfragen, ob das auch für die Kirche gelte, ob auch sie ein Interim sei. Oder ob es in ihr nicht doch eine unwandelbare Essenz gebe, die nicht aufzugeben sei.

Unter der Moderation des gastgebenden Pfarrers der Tagung, Guido Rodheudt, markierte Kissler das Kennzeichen des 21. Jahrhunderts: „Wir sind Herren vielfacher Lebensbezüge, haben aber keinen Begriff vom Leben.“ Damit meinte er die „entgrenzten Debatten über Sterbehilfe“ und über das präembryonale Leben. Angesprochen auf seine journalistische Tätigkeit, die er seit nunmehr 27 Jahren ausübe, betonte Kissler, wie wichtig es sei, in Diskussionen über den Glauben keinen Rückzieher zu machen. Eine „vorauseilende Umarmung des Gegners“ hält er für falsch, denn „man hat mit beiden Armen die Welt umarmt, daß man keinen Arm mehr für den Herrn übrig hat“.

Das Abschlußplenum der Tagung befaßte sich mit einer „Reform der Reform“. Dabei trafen kontroverse Meinungen aufeinander. Moderator Ulrich Mutz gab mit einem Papstzitat das Stichwort für das Gespräch: „Nicht Wiederbelebung“ lebendiger früherer Formen habe die Liturgiereform erreicht, das Ergebnis sei vielmehr „Verwüstung“. Eine Situationsbeschreibung, die vom Chefredakteur der Herder-Korrespondenz, Ulrich Ruh, und von Eduard Nagel vom Liturgischen Institut Trier vehement bestritten wurde. Die Ursache für ein flaches Gottesdienstverständnis bei den Gläubigen sahen beide vielmehr in einer geringen liturgischen Bildung, der man durch weitere „offene“ Gottesdienstformen entgegenkommen müsse.

Die Vertreter der Gegenposition, der Freiburger Liturgiker Helmut Hoping und Pater Martin Reinicke verwiesen hingegen auf den steil sinkenden Meßbesuch nach dem Konzil. Während Hoping eine „Reform der Reform“ favorisierte, sprach sich Reinicke für die Beibehaltung der beiden momentan gültigen Meßbücher in der katholischen Kirche aus: eines für die Feier des „ordentlichen“ und eines für die des „außerordentlichen“, des vor dem Konzil gültigen Ritus.

Den feierlichen Abschluß der Tagung bildete die Pontifikalmesse nach dem Book of Divine in der Herzogenrather Kirche St. Gertrud: eine katholische Messe, die Elemente des anglikanischen Ritus beibehielt, so etwa vom Zelebranten gesprochene Fürbitten und einen erweiterten Bußritus.

Weitere Informationen im Internet:

www.priesternetzwerk.net

www.liturgische-tagung.org

Foto: Gesprächsabend mit dem Kulturjournalisten Alexander Kissler (l.) während der Liturgischen Tagung des Priesternetzwerkes: „Wir sind Herren vielfacher Lebensbezüge, haben aber keinen Begriff vom Leben“

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