© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Die Hausfrau
Das Geheime Deutschland
Ellen Kositza

Die „Frauenfrage“ füllt viele Regalmeter. Akademisch, trivial, romanhaft. Hunderte Bücher zur sogenannten Vereinbarkeitsproblematik, zur Gleichstellung, zu gläsernen Decken und fehlenden Chancen. „Karriere“ ist ein lohnendes Stichwort, der neckische Verweis auf die Rabenmutterschaft (die längst jeglichen Provokationspotentials entbehrt) ebenfalls. Ein Titel „Lob der Hausfrau“ hingegen ist ungeschrieben.

Eva Hermans Skandalwerk „Das Eva-Prinzip“ von 2006 war ein einzigartiger Bestseller ohne Nachahmereffekt, von Hermans eigenen Folgeschriften einmal abgesehen. Ein Großteil der Leser und wohl vor allem der Leserinnen nahm diese im Populärton gehaltene Verteidigung der Hausfrau als Offenbarung auf. Bei der Kritik – der des massenmedialen Hauptstroms wohlgemerkt – fiel die Besinnungsschrift gnadenlos durch. Die Unbotmäßigkeit der Thesen an sich war das eine. Die Hysterieneigung gerade von Frauen, deren Lebensentwurf grundsätzlich hinterfragt wird, ist spruchreif; so tönern und unelastisch ist das Korsett des Daseins der Lohnarbeiterin.

Das andere war der Nebenwiderspruch, eine klassische Zwickmühle: Die (Herman) ist ja gar keine Hausfrau! Wasser predigen und Wein trinken, wie authentisch ist das denn? Das ist der Punkt: Das Hausfrauendasein meint eine (wenigstens weitgehende und temporäre) Ausschließlichkeit. Betten machen, Waschmaschine anstellen, mal was kochen, dem Kind Vokabeln abfragen; solche Aufgaben verrichten die meisten Erwerbstätigen, auch ohne einen Hausfrauenstatus für sich zu proklamieren. Die wahre Hausfrau füllt ihren Alltag mit Belangen von Haus, Hof und Familie. Sie hat vielfältige Ambitionen und Nutzwerte, sehr lobenswerte, aber diese nicht: Essays und Bücher zu verfassen, auch nicht in eigener Sache. Bezeichnete sie sich sonst als Hausfrau? Tut sie das überhaupt? Höchst selten.

Sie stellt ihr Licht unter den Scheffel und fährt statt dessen grellere Scheinwerfer auf, um sich wenigstens in etwas Glanz zu sonnen. Im günstigen Fall verweist sie auf Ehrenämter, um ihren Status gesellschaftsfähig aufzuhübschen. Ansonsten reüssiert sie als Familienmanagerin, die der familiären Kasse jegliches Outsourcing von Dienstleistungen erspart. Sie arbeitet als Chauffeurin, Nachhilfelehrerin, Krankenpflegerin, Köchin, Psychologin, vielleicht als Schneiderin und Gärtnerin. Die ernsthafte Nachfrage nach ihrer Stellung beantwortet sie mit auf Ironie und Defensive gestellter Stimme: „‘nur’ Hausfrau“. Oder mit beschwichtigend einschränkender Attribution: „zur Zeit Hausfrau“. Es ist kein stolzer Beruf mehr, es ist eine Peinlichkeit. Etwas, das es zu rechtfertigen gilt.

Freilich ist die Hausfrau nicht gänzlich ohne Fürsprecher. Doch ihre natürlichen Bündnispartner schweigen aus guten Gründen. Ihre Kinder schreiben keine Bücher, und griffe ihr Mann – gleichsam ihr finanzieller und lebens­praktischer Förderer – zur Feder, dann würde das als paternalistische Bevormundung gewertet. Nicht nur, daß er sich Pascha-Allüren verdächtig machte. Der einstmals stolz aus dem Wissen um einen hinreichenden Arbeitslohn geäußerte Satz „Meine Frau muß nicht arbeiten gehen“ fällt seit Jahrzehnten nicht mehr. Der artige Mann von heute unterstützt seine Liebste nach Kräften dabei, „ihr Geld“ außerhäuslich selbst zu verdienen. Alles andere würde bedeuten, daß er sie in ökonomische Abhängigkeit zwingt!

Alles andere würde, aus erweiterter Perspektive, auch heißen, daß die „Ernährerrolle“ – welch archaischer Begriff! – auf seinen Schultern läge. Auch eine Art der Einschränkung und Festlegung. Unangemessen im Zeitalter der Individualität. „Dieser Rolle kann ich überhaupt nichts abgewinnen“, wies denn auch Christoph Drösser in der Zeit vom 31. Oktober diese Aufgabe von sich. „Eine Frau, die von mir erwartet, daß ich ‘bis daß der Tod uns scheidet’ für sie und den Nachwuchs sorge, bürdet mir eine Last auf, von der auch der Stärkste heute gar nicht mehr sagen kann, ob er sie tragen kann, selbst wenn er will“, argumentierte er nicht mal unschlüssig.

Die Arbeit der Hausfrau wird öffentlich kaum je gewürdigt. Man bezeichnet sie nicht als Arbeit, sie setzt keine Ausbildung voraus, qualifiziert nicht für andere Berufstätigkeit und wird nicht bezahlt. Diese Geringschätzung schlägt sich in der Sprache nieder: Der Wechsel von der Erwerbsarbeit zur Tätigkeit als Hausfrau und Mutter wird als „Ausstieg“, nicht als „Berufswechsel“ bezeichnet, nach dem „Mutterschaftsurlaub“ müssen die Frauen den „Wiedereinstieg“ in die Arbeitswelt suchen – ohne daß ihre Qualifikationen in der Lohneinstufung angerechnet werden.

Das kommt nicht von ungefähr. Rolle und Aufgabenbereich der Hausfrau sind heute undefiniert. Nach 600 Jahre währender Tradition hat sie die Kittelschürze abgelegt. Wozu auch dies Utensil? Die große Wäsche, das Bohnern der Dielen, die Sorge um das Vieh, all die aufwendigen Tätigkeiten rund um den Herd: sie sind weggefallen oder delegiert worden. An die Wasch- und die Spülmaschine, an die Mikrowelle und den Trockner, den Billigbäcker und die Schulkantine. Selbst für die schmutzfreien Aufgaben der altbürgerlichen Hausherrin gibt es kostengünstige Substitute: Strümpfe müssen nicht gestopft, Kleidchen nicht genäht werden, das machen sie in Kambodscha und Vietnam für den Modekonzern zum Centpreis pro Stunde. Und wer singt den Kindern noch vor, wo es zeitgemäßes Liedgut auf CD gibt oder im Netz? Der erste Treffer bei der Netzsuche nach dem Lemma „Hausfrau“ verweist auf einen Versandhandel, der die Bedürfnisse des Standes befriedigen will. Meistgesuchte Produkte sind „Weihnachtsdeko“, Wandtattoos und Abtaufix. Billig!

Die moderne Hausfrau, so wird es mit aller Kraft vermittelt, ist eine nichtsnutzige und im Kern verzweifelte Existenz. Die US-Serie „Desperate Housewives“ (mit eklatant hoher Zuschauerquote in Deutschland) hat es erwiesen: Aus lauter Langeweile spinnen sie Intrigen, gehen fremd, morden und verfallen in Depressionen. Hierzulande heißen sie Latte-Macchiato-Mütter, fahren mit teuren Kinderwägen durch den Kiez, lästern und polieren ihre Fingernägel, bis sie eines Tages verlassen werden und als Habenichtse dumm dastehen.

Der Ruf ist ruiniert. Die Mehrheit dieser Minderheit aber, die heute noch dem Schmähberuf frönt, wirkt in innerer Emigration. Und sie wirkt tüchtig und erfolgreich, aus reinem Idealismus. Sie vermittelt jene Werte, die nicht konjunktur- und erziehungsmodenabhängig sind, sie ist die Keimzelle von Kultur, sie ist die Basis von allem, was Dienstleister nur als normierte, gleichförmige Surrogate bereitstellen.

Als einsame Ruferin in der Wüste hatte jüngst Sabine Rückert einen fulminanten Artikel („Hausfrauen sind Rebellinnen – und schuften für unsere Zukunft“, in Die Zeit wie oben) verfaßt. Motto: „Es kommt drauf an, was sie draus machen!“ Rückert lobt die „bewußte Hausfrau“ für ihren „politisch nicht korrekten Lebensentwurf“. Sie rühmt ihr Beharren „gegen die Aufdringlichkeiten des Zeitgeistes“ und „die Zwänge des Marktes“: Sie, diese anachronistische Figur, „hat, was Kinder zum Großwerden brauchen: Zeit. Sie ist eine Entschleunigungsfigur von einer fast philosophischen Dimension“. Die Hausfrau, die Mutter, die sich nicht sorgt, ob ihre Ausbildung sich wirtschaftlich amortisiert, die sie nicht zur „Selbstoptimierung“ nutzt, „sondern einfließen läßt in die Erziehung ihrer Kinder, die für Stabilität und Dauer sorgt in einer Zeit der Unverbindlichkeit: Sie ist die Widerständige“.

Retro ist seit vielen Jahren angesagt, frau strickt wieder, bemalt schöne Dinge, kocht ein, landlüstelt allenthalben. Man duldet es, die bilderreiche Anregungs- und Rezeptindustrie ergibt ja einen lukrativen Markt. Eine Renaissance der Hausfrau ist dennoch nicht in Sicht. Sie ist weiter entfernt denn je. Aus dem Osten kommt das Morgenrot! Der Hausfrauenstatus ist den Gefilden der DDR seit je fremd, so fremd, wie er sich gesamtdeutsch anschickt zu werden. Das, obwohl die Nomenklatur der Ostzone Modeströmungen wie den Feminismus dezidiert ächtete. Die außerhäusliche „Werktätigkeit“ war sozialistisch bedingt schlicht nicht geschlechtsgebunden, sondern Norm und volkswirtschaftliche Vernunft für jedermensch. Kurz nach der Wende waren im Osten 77 Prozent der Frauen erwerbstätig, im Westen waren es grandiose 20 Prozent weniger. Heute haben sich die Verhältnisse gen Ost angeglichen, 72 Prozent der Westfrauen sind heute in Lohn und Brot; Tendenz steigend.

Ich selbst ernte – im Osten der Republik – auf Ämtern Unverständnis bei der aussterbenden Berufsangabe „Hausfrau“: „Wie, Hausfrau? Also: arbeitssuchend? Hartz IV?“

Vor einiger Zeit war ich krank. Ein Zustand, den sich eine Hausherrin mit kleinen Kindern definitiv nur alle Jahrzehnte leisten kann. Krankschreiben mit Lohnfortzahlung kenne ich nicht. Klar, man ist organisiert. Eine Nachbarin betreut die Kinder und kocht. Jemand kommt für die Wäsche und zum notdürftigen Putzen, eine dritte Kraft ist nicht drin. Deshalb fällt der Elternsprechtag in der Schule aus, auch die Fahrten zur Musikschule. Einkäufe, Ranzenkontrolle, Haarwäsche und Nachtbetreuung für das Kleinste übernimmt der Mann.

Der Zustand dauert an. Hohes Fieber, extreme Entzündungswerte, Schmerzen, wiederholte Klinikaufenthalte, Ratlosigkeit bei den Ärzten. Ein Spezialist wird aufgesucht. Unterm Ultraschall werden Symptomatik und bisherige Diagnose durch die Patientin zusammengefaßt, so fachkundig, wie es geht, man ist inzwischen eingelesen. Die Hausfrau ist kraft ihres Amtes geübt, sich als Laie gründlich einzulesen: in Schulpolitisches, in Erziehungstheoretisches, ins kyrillische Alphabet, in Bauvorschriften, Bastelanleitungen, Installierungsprogramme und eben auch in medizinisches Grundwissen. „Ah, ich sehe, Sie sind Kollegin“, sagt der untersuchende Internist, gebürtiger Ostzonler. Ach wo, Kollegin! „Aber doch entfernt vom Fach?“ Nein, Hausfrau. Seit je. Der Arzt schallt weiter. Sagt nichts. Ist es ernst? – Schnauben, dann: „Na ja. Ein psychischer Defekt allemal.“ Wie? Eine Simulantin, ich? Die handfeste Entzündungsparameter vortäuschen kann? „Nein, das sicher nicht. Aber das andere, das ist krank! Sie sind intelligent. Sie sind augenscheinlich nicht faul. Aber sie stellen ihre Fähigkeiten nicht in gesellschaftlichen Dienst. Die vielen Kinder: schön, ihre Entscheidung. Aber: heute? Ich kann so etwas nicht glauben. Das macht mich krank. Mir fehlen die Worte.“

Die Worte, sie fehlen allenthalben. Die Worte, die Artikel und Bücher, um betonierte Stereotypen einzureißen. Und die Bilder! An dem Tag, als ich den Bezug der Süddeutschen Zeitung kündigte, hatten sie einen Artikel zur sogenannten „Herdprämie“ mit einem Foto illustriert, das eine dickliche Frau zeigte. Sie hockte vor einer geschmacklosen Schrankwand und hielt ihrem Sproß ein Plüschtier entgegen. Was für eine Verleumdung! Die Hausfrau, das ist heute das Geheime Deutschland, seine Seele. Sie wirkt im Verborgenen. Man behellige sie nicht.

 

Ellen Kositza, Jahrgang 1973, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. In ihrer abendlichen Freizeit – sie ist Hausfrau und Mutter von sieben Kindern – schreibt sie Artikel, seit 20 Jahren für die JUNGE FREIHEIT. 2008 wurde sie dafür mit dem Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten ausgezeichnet. Mit der Frauenpolitik und dem Frauenbild der DDR setzt sie sich in der aktuellen Ausgabe der Sezession auseinander: Die Ostfrau als Avantgarde, Sezession 51 (Dezember 2012).

 

Mann und Frau

Frauenemanzipation und Feminismus haben in der westlichen Welt das Verhältnis der Geschlechter zueinander verändert. Alte Rollenmuster haben sich längst überlebt, neue tragfähige sind noch im Werden. Die Zahl der Singlehaushalte nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich zu, die der Scheidungen und Trennungen ebenso, die Institution Familie ist fragil geworden. Tobt zwischen den Geschlechtern Krieg? Wo wären seine Ursachen zu suchen? Die JF-Serie will die Polarität und das Miteinander von Mann und Frau unter verschiedenen Aspekten beleuchten und Perspektiven aufzeigen. Die Publizistin Ellen Kositza bricht in dieser Folge eine Lanze für die verkannte Arbeit der Hausfrau. (JF)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen