© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Im Schatten der Übermächtigen
Der Militärhistoriker Guntram Schulze-Wegener hat eine Biographie des preußischen Kriegsministers Albrecht von Roon vorgelegt
Lutz Sievers

Als Albrecht von Roon am 30. April 1803 auf dem pommerschen Gut Pleushagen geboren wurde, zogen über Preußen bereits dunkle Wolken auf. Exakt vier Jahre später überschwemmten napoleonische Truppen seine Heimat, um die Pleushagen benachbarte Festung Kolberg zu belagern. In seiner durch den frühen Tod des Vaters (1811) zusätzlich verdüsterten Kindheit deutete für den mittellosen Offizierssohn also wenig auf ein „gelingendes Leben“ hin. Als Roon jedoch im Februar 1879 in Berlin starb, hatte er als Feldmarschall, als Kriegs- und Marineminister nicht nur an der Spitze des preußischen Militärstaates gestanden, sondern als „Waffenschmied Bismarcks“ entscheidend zur Reichseinigung beigetragen. Aus dem von Napoleon geschlagenen und gedemütigten friderizianischen Staat von 1807 war 1879 eine europäische Großmacht geworden.

Vom äußeren Glanz, der Roon umgab, als er 1873, nach glücklosem Intermezzo als Ministerpräsident, seinen Abschied nahm, ist heute nichts geblieben. Nannte ihn, mit Bismarck und Moltke, einst jedes Schulkind, wenn es galt, die Lenker der „Einigungskriege“ und Architekten des Deutschen Reiches von 1871 aufzuzählen, können in Zeiten schütterer historischer Bildung nur ältere Semester Roon noch als „Heros der Reichsgründung“ identifizieren.

Die letzte Biographie datiert von 1940. In der Neuauflage (1956) des Sammelwerks „Die großen Deutschen“ (1935) entfiel der Roon-Artikel. In der bundesdeutschen Historiographie des Kaiserreiches schrumpfte der Kriegsminister Wilhelms I. daher mit Konsequenz zur Randfigur. Dem Militärhistoriker Guntram Schulze-Wegener kommt daher das Verdienst zu, diesen freilich schon zu Lebzeiten stets „im Schatten der Übermächtigen“ stehenden Militär und Politiker der Vergessenheit entrissen zu haben.

Im Vergleich mit dem „großen Schweiger“ Helmuth von Moltke wie mit „dem Eisernen Kanzler“ Otto von Bismarck, so verhehlt der Autor nicht, habe er sich mit Roon die biographisch weniger reizvolle Gestalt ausgewählt. Denn anders als seine beiden Mitstreiter war Roon weder ein militärisches noch ein politisches Genie. Obwohl vor 1848 auch literarisch-wissenschaftlich tätig und klassischer Typus des gelehrten Offiziers, habe er doch nie wie Moltke die „humanistischen und künstlerischen Gipfelpunkte erklommen“. Und als Politiker stand der Heeresreformer hinter Bismarck zurück, dem Titanen des Willens, der Roons Konzeptionen im endlosen „Verfassungskonflikt“ schließlich gegen bürgerlich-liberale Widerstände durchboxte.

Die unspektakuläre Persönlichkeit des knorrigen Militärs und pragmatischen Royalisten mit guten Kontakten zu Kaiser Wilhelm I., der zuvor die Ochsentour vom Kulmer Kadetten bis zu dem kurz vor der Pensionsgrenze erreichten Posten eines Divisionskommandeurs absolvierte, gibt dem Verfasser jedoch viel Raum, um seinen Lebensweg in die dramatische preußisch-deutsche Historie des 19. Jahrhunderts einzubetten, so daß die Wiederbegegnung mit Roon zugleich die Grundzüge unserer nationalen Geschichte vergegenwärtigt.

Guntram Schulze-Wegener: Albrecht von Roon. Kriegsminister, Generalfeldmarschall, Ministerpräsident. Be.bra. Wissenschaftsverlag, Berlin 2011, broschiert, 312 Seiten, Abbildungen, 26,95 Euro

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