© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Dominanz der eigenen Interessen
Demokratie: Der Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim geht auf einer Tagung in Speyer hart mit dem politischen System ins Gericht
Taras Maygutiak

Angenommen, jeders könnte selbst festlegen, wie hoch sein Gehalt mindestens sein soll. Unter welchen Rahmenbedingungen er arbeiten und welche Befugnisse er haben soll, dürfte der Betreffende auch gleich festlegen. Gibt es nicht? Doch. Und zwar bei der politischen Klasse, prangert Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim an: „Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen kann die politische Klasse über ihren Status und damit über die Regeln der Macht selbst entscheiden.“

Diese Regeln seien zwar einerseits besonders wichtig, andererseits jedoch besonders gefährdet. „Sie bedürfen deshalb gesteigerter Kontrolle, für die in der rein parlamentarischen Demokratie die Verfassungsgerichte und die Medien in Betracht kommen. Ist auch direkte Demokratie möglich, kann unmittelbar auch das Volk als Gegengewicht wirken“, sagte er vergangene Woche auf der 14. Speyerer Demokratietagung, die unter dem Motto „Volkssouveränität, Wahlrecht und direkte Demokratie“ stand. Rund 120 hochrangige Personen aus Verwaltung, Wissenschaft, Justiz und Politik nahmen an der zweitägigen Tagung teil, zu der Hans Herbert von Arnim alle Jahre wieder an die renomierte Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften nach Speyer einlädt. Zu den Referenten zählten in diesem Jahr unter anderem auch Linksfraktionschef Gregor Gysi und der ehemalige bayerische Ministerpräsident und Innenminister Günther Beckstein (CSU).

Als Problem sieht von Arnim die Übermacht der Parteien. In den erlauchten Kreis der Nutznießer kommt nur, wer einer der etablierten Parteien angehört: „Ohne Parteibuch ein Mandat zu erhalten, erscheint nahezu unmöglich.“ Und bei einer wirksamen Kontrolle hapert es, befindet von Arnim. Verfassungsrichter, die Regeln und Status der politischen Klasse kontrollieren müssten, säßen in der Regel aufgrund ihres Parteibuches auf ihrem Platz. Hinzu komme, daß die Staatsanwaltschaften der Politik unterstellt seien. Also: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“

Die politische Klasse, zu der vor allem Parlamentsabgeordnete und Regierungsmitglieder gehörten, zeige gemeinsame Verhaltensmuster und verfolge gemeinsame Berufsinteressen, stellt von Arnim fest: „Die Euro-Krise ist drastischer Ausdruck der Eigeninteressen der politischen Klasse. Sie beruht unter anderem auf exzessiver Verschuldung, die ihrerseits lange dem Machterhaltsinteresse der politischen Klasse entgegenkam“, nennt er als Beispiel. In seinem Referat mit dem Titel „Die politische, die wirtschaftliche und die mediale Klasse: ersticken sie die Bürger?“ schlägt von Arnim auch den Bogen zu den Medien und zur Wirtschaft. Von „medialer Klasse“ sei häufig in der Zusammensetzung als „politisch-medialer Klasse“ die Rede, so der Staatsrechtler. Darin komme einerseits der große und offenbar immer weiter noch zunehmende Einfluß der Medien auf die Politik und das Verhalten der Politiker zum Ausdruck, „andererseits aber auch die Gemeinsamkeiten von Politikern und Journalisten, die beide dazu neigen, im gemeinsamen Korpsgeist vom gemeinen Volk abzuheben“, geißelt er.

Auch die wirtschaftliche Klasse der Manager entscheide indirekt über ihre Bezüge – „und über noch sehr viel mehr“. Vier Merkmale macht von Arnim aus, die die politische, die mediale und die wirtschaftliche Klasse kennzeichnen: „Das eigene Interesse an Macht, Posten, Geld und Einfluß dominiert.“ Und zwar nicht nur, wenn es direkt um den eigenen Status gehe. „Auch bei allen anderen Entscheidungen spielt die Frage mit hinein, wie sich das auf die eigene Situation auswirkt“, urteilt er.

Dabei werde die Dominanz des eigenen Interesses kaschiert und das Gemeinwohl vorgeschoben: „Nach der Devise: Was gut ist für die CDU, die Deutsche Bank oder die Bild-Zeitung, ist gut für Deutschland und Europa.“ Der Einfluß der Bürger, von denen eine wirksame Kontrolle der politischen, medialen und der wirtschaftlichen Klasse ausgehen könnte, werde minimalisiert, so der Staatsrechtler: „Die Kontrolle durch Medien und Gerichte erfolgt nur punktuell und kann schleichende systemische Wandlungen kaum erfassen, obwohl diese die Bürger immer weiter ersticken.“ Das sehe man beispielhaft an der Euro-Krise. Die Bilanz von Arnims darüber, daß die Zustände so sind, wie sie sind: „Daraus erwächst eine Real-Verfassung, die hinter der Formal-Verfassung des Grundgesetzes steht und die Abläufe weitgehend dirigiert.“

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