© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Das Drama geht weiter
Suhrkamp: Nach der Absetzung von Ulla Berkéwicz-Unseld ist der Machtkampf lange nicht vorbei
Andreas Wild

Die Bombe platzte am Montag dieser Woche gegen 14.30 Uhr. Ulla Berkéwicz-Unseld, die Geschäftsführerin des hochberühmten Berliner Literaturverlags Suhrkamp, ist laut Gerichtsbeschluß von ihrem Posten abberufen. Außerdem muß sie, die 61 Prozent der Anteile an Suhrkamp besitzt, 282.500 Euro Schadensersatz an diesen Verlag zahlen, da sie in ihrer Funktion als Geschäftsführerin durch die Anmietung von sogenannten „Event-Räumen“ in ihrer eigenen Villa Privates und Geschäftliches unzulässig vermischt und dadurch dem Verlag materiell und rufmäßig geschadet habe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber die Aufregung im Kulturbetrieb ist groß, riesengroß.

Vor Gericht gezogen war der Mitgesellschafter von Berkéwicz, der Hamburger Geschäftsmann Hans Barlach (ein Enkel des Bildhauers Ernst Barlach), der die restlichen 39 Prozent der Suhrkamp-Anteile besitzt. Zwischen Berkéwicz und Barlach herrscht seit Jahren bitterste Feindschaft, seitdem Barlach, ohne Berkéwicz davon zu unterrichten, dem früheren Mitgesellschafter aus alten Siegfried-Unseld- und Hermann-Hesse-Tagen, Andreas Reinhart in Winterthur, seine Anteile für eine ungewöhnlich hohe Summe abkaufte und unmittelbar darauf die Mehrheitseignerin in schärfster Weise herausforderte.

Unter Berkéwicz, verlautbarte er damals, seien die Geschäfte „durch innere Querelen vom Ausmaß Shakespearscher Dramen“ blockiert worden; nun wollten sie, Barlach und sein Mitkäufer Grossner, „den traditionsreichen Verlag retten“. Sie freuten sich schon „auf die Gespräche mit den Autoren“. Ulla Berkéwicz, nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt hatte, schlug wuchtig zurück. Es sei ja völlig klar, sagte sie in einem Interview, daß Barlach und Grossner keinerlei Mitspracherechte im Verlag erhalten würden. Die Mehrheitsverhältnisse sprächen eine eindeutige Sprache.

Mit den „inneren Querelen vom Ausmaß Shakespearscher Dramen“ hatte Barlach den Kampf um die Erbfolge bei Suhrkamp nach dem Tod des langjährigen Verlagschefs Siegfried Unseld im Jahre 2002 gemeint. Des Verlegers Witwe, eben Ulla Unseld-Berkéwicz, erhielt damals nicht nur den Löwenanteil von Unselds Privatvermögen, sondern auch die Mehrheit der Anteile im Verlag. Sie hatte nie den geringsten Zweifel an ihrer Absicht aufkommen lassen, daß sie das Unternehmen ihres Mannes nach dessen Tod in eigener Regie fortzuführen gedenke. Unseld traute ihr aber offensichtlich nicht die volle Kompetenz zu und erdachte, als er sein Haus bestellte, eine komplizierte Geschäftskonstruktion, die seine Frau in ein Geflecht von Fremdkompetenzen einbeziehen sollte.

Berkéwicz’ Verlagserbe wurde demnach zur „Familienstiftung“ deklariert und einem „Stiftungsrat“ unterstellt, in dem die Verlegerswitwe zwar den Vorsitz innehatte, neben sich aber fünf weitere Ratsmitglieder dulden mußte, die Unseld selbst benannt hatte: Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Adolf Muschg, Wolf Singer, allesamt langjährige Hausautoren Suhrkamps und bestens mit den Interna des Verlages vertraut. Neben diesem „Rat“ sollte es dann noch eine ganz normale Geschäftsführung geben, doch deren Vorsitz sollte nicht Berkéwicz einnehmen, sondern der Unseldvertraute Günter Berg.

Das Netz war jedoch allzu fein gesponnen, und pünktlich nach Abschluß des Trauerjahrs hat es Berkéwicz einfach zerrissen. Sie hatte das Geld, hatte die Mehrheit im Unternehmen und damit, so glaubte sie, die volle Macht. So ernannte sie sich selbst zum Geschäftsvorstand, degradierte Berg zu ihrem Vize, nahm ihm die wichtigsten Geschäftsfelder weg und zwang ihn schließlich zum vollen Rückzug. Daraufhin traten die fünf Ratsmitglieder geschlossen zurück; in einer dürren, nicht einmal eine halbe DIN-A4-Seite füllenden Erklärung wiesen sie auf „schwerwiegende Entscheidungen“ hin, die „ohne unsere Mitwirkung und gegen unseren Rat gefallen sind“.

Ulla Berkéwicz wähnte sich am Ziel. Sie hatte damals eindeutig die Sympathien der Branche und sogar der meisten Autoren und Suhrkamp-Kunden hinter sich, welche sich von ihr eine kraftvolle, gediegene Geschäftspolitik erhofften. Gerade daran hatte es bei Suhrkamp in den letzten Jahren von Siegfried Unseld ja arg gemangelt. Das Profil des Verlages verfiel, alle möglichen Affären brachten das Haus in eine immer schlechtere Beleuchtung und machten es streckenweise sogar zur öffentlichen Lachnummer.

„Dokumentationen“ von Holocaust-Opfern erschienen bei Suhrkamp, die von A bis Z erlogen waren und den schärfsten Protest der Historiker hervorriefen. Bücher wurden zur Ausgabereife gebracht, um schließlich im allerletzten Augenblick wieder zurückgezogen zu werden, aus läppischen Gründen und mit den fadenscheinigsten Begründungen. In Erinnerung ist noch das Hickhack um den Martin Walser-Roman „Tod eines Kritikers“, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch vor Erscheinen als „antisemitisches Machwerk“ verleumdete, worauf es im Stiftungsrat beinahe zu einem Eklat gekommen und ein Buch aus dem eigenen Hause als kriminell denunziert worden wäre.

Die volle Machtübernahme durch Ulla Berkéwicz wurde damals allgemein als Neuanfang und Aufbruch zu neuen Ufern empfunden, und tatsächlich änderten sich die Dinge zum Besseren, Solideren. Weitere Pannen blieben aus, der ominöse Stiftungsrat verschwand in der Versenkung, Suhrkamp wurde keine „Räterepublik“. Der spektakuläre, von Berkéwicz souverän organisierte Umzug des Verlags nach Berlin tat ein übriges, und mit Uwe Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ landete man einen niveauvollen Bestseller, der hoffen machte.

Die juristischen Grabenkämpfe treffen das Haus jedoch in einer schwierigen Phase. Es steht vor horrenden Strukturproblemen, die Gewinnmargen gehen zurück. Konkurrenzverlage wie Hanser, Rowohlt oder Beck drohen Suhrkamp den Rang als führender Literaturverlag abzulaufen. Seine ausgedehnte „backlist“, also die Werke längst verstorbener berühmter Hausautoren (Hesse, Brecht, Frisch usw.), wird allmählich zur finanziellen Belastung.

Und Hans Barlach ist gnadenlos. Er will entweder selbst Verlagschef werden – oder das Haus Suhrkamp zerstören. Dessen Zukunft sieht also düster aus. Die Shakespearschen Dramen kommen wohl erst noch.

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