© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Zäher Widerstand gegen alle Moden
Institut für Staatspolitik I: Eine Tagung zu den Ursachen und Folgen des Bildungskollapses
Nils Wegner

Bildung entsteht durch Anregung und Vorbild.“ Mit diesen Worten beschloß Karlheinz Weißmann seinen Einleitungsvortrag zum 21. Berliner Kolleg des Instituts für Staatspolitik (IfS). Dieses befaßte sich am 8. Dezember vor einer hundertköpfigen, hinsichtlich Alter und Geschlecht sehr heterogenen Zuhörerschaft mit dem Thema „Bildungskollaps“. Bereits 2008 hatte sich das IfS in einer Broschüre seiner Wissenschaftlichen Reihe anläßlich der damaligen Kontroverse um die bildungspolitischen Thesen des Pädagogen Bernhard Bueb mit der sich abzeichnenden „Bildungskatastrophe“ befaßt. Im Herbst dieses Jahres nun erschien eine Studie zum „Schulkollaps“, deren Erstauflage innerhalb von drei Monaten bereits ausverkauft war. Dieses enorme Interesse zeigte für Weißmann auf, daß die Problematik virulenter denn je sei.

Angelehnt an das Diktum des Medien- und Kommunikationstheoretikers Norbert Bolz, man brauche hierzulande mitnichten eine „Bildungsrevolution“, projektierte Weißmann stattdessen eine Art Konterrevolution im Bildungssektor: Kindergärten und Schulen hätten ihren „Totalitätsanspruch“ auf Kinder und Jugendliche aufzugeben, die reformpädagogischen Dogmen müßten aus den Lehrplänen verschwinden, gegen „Bestnoteninflation“ und das Fehlen klarer Anforderungsrichtlinien sei vorzugehen. Gleichsam trügen die „Bürgerlichen“ durch ihre Tendenz zur Anpassung und zum Zurückweichen gegenüber allen noch so krassen Forderungen der „Reformer“ eine erhebliche Mitschuld daran, daß Bildungspolitik heute nurmehr eine weitere Ausprägung von Sozial- und Symbolpolitik darstelle.

In seinem Vortrag über „1968 und die Folgen“ beleuchtete der Publizist Konrad Adam die Rolle der deutschen Kulturrevolution bei der Erosion des bundesrepublikanischen Bildungssystems. Seinerzeit selbst noch Student der Altphilologie, bezeichnete er den „Bildungsenthusiasmus“ der Achtundsechziger als ausschlaggebend für seine Berufswahl hin zum Journalismus. Bei der letztlich aufgekommenen „antiautoritären Pädagogik“ habe es sich jedoch in Wahrheit um reine „Antipädagogik“ gehandelt, die bei der Vermittlung eines moralischen Wertesystems völlig versagt habe und dies auch heute noch tue. Anschaulich sei dies in der Gewohnheit „moderner“ Pädagogen geworden, Provokationen seitens ihrer Schüler nur noch als „komisch“ zu belächeln, ohne einzuschreiten.

Als Gegenbeispiel für „klare Haltung und klares Urteil“ führte Adam Janusz Korczak ins Feld, dessen erzieherisches Postulat „Man muß nur sagen, daß es schlecht ist, was da geschieht“ auch heute eine Leitlinie für die Anleitung zu sittlichem Handeln darstellen könnte – wenn selbiges noch von Wert wäre. Stattdessen sei die Pädagogik zur „Erziehungswissenschaft“ verkommen, die in den knapp 45 Jahren seit 1968 in blindwütiger Progressivität Dutzende unterschiedlicher Theorien habe kommen und gehen sehen. Letztlich habe die sogenannte Erziehungswissenschaft nichts außer Banalitäten zu bieten – daß eine gute Schule auf gutem Unterricht und dieser wiederum auf guten Lehrern basiere, werde dort als revolutionäre Erkenntnis verkauft. Vonnöten seien allein Ruhe und Beständigkeit in der Bildungsvermittlung; das impliziere heute „zähen Widerstand gegen alle Moden“ zugunsten von Wahrheiten.

Ein weiteres Antidot gegen den fortschreitenden Bildungsverfall präsentierte der Literaturwissenschaftler Günter Scholdt. Unter der Überschrift „Ohne Belletristik keine Bildung“ stellte er der modernen Germanistik, diesem „billigen Studium der Gesinnungswissenschaften“, die zeitlosen Klassiker deutscher Literatur als „Proteste gegen horizontloses Existieren“ gegenüber. Auch aufgrund ihres metapolitischen Mehrwerts gehörten Autoren „zu den unverzichtbaren Hilfstruppen, weil sie die Bilder in den Köpfen prägen“. Gleich der Ahnenreihe sei das geistige Erbe konstitutiv für eine kulturelle Identität – ein Grund mehr für Konservative, sich nicht dem Zeitgeist zu unterwerfen, sondern „im Bildungsgewusel ihre Pflicht“ zu tun.

Mit einem drastischen Porträt der Schulsituation als „Beleg der Selbstabschaffung“ und einer Abrechnung insbesondere mit der Gesamtschulideologie rundete Weißmann den bildungspolitischen Exkurs ab. Dieser wurde noch ergänzt von seiten des IfS-Leiters Erik Lehnert, der die aktuelle Studie des Instituts zur Bundeszentrale für politische Bildung („Vom Heimatdienst zur politischen Propaganda“; JF 48/12) vorstellte. Diskussionen in kleinerem Kreise schlossen sich an den offiziellen Teil an, so daß auch dieses Berliner Kolleg eine rundum gelungene Aufklärungsveranstaltung über die geistig-kulturelle Mißwirtschaft in der Berliner Republik wurde.

Foto: Konrad Adam: Ruhe und Beständigkeit in der Bildungsvermittlung

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