© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Mehr Natur geht einfach nicht
Wildbret als gesunde Alternative: Wachsender Trend zum Fleisch ohne Silofutter und Antibiotika
Matthias Bäkermann

Es liegt erster Frost auf den bräunlich-gelben Krautbüscheln, als im kühlen Morgennebel das zweijährige Fräulein aus dem rot verfärbten Buchengestrüpp auf die Lichtung tritt. Während zwischen den Zähnen die letzte Mahlzeit wiedergekäut wird – es gab Raps, Brombeerknospen und zum Verdruß des Försters junge Fichtentriebe –, äugt das Schmalreh in die aufgehende Sonne an diesem frostklaren Oktoberhimmel. Den Schuß, der sich hundert Meter entfernt löste, hat das etwa 15 Kilo schwere Tier gar nicht mehr gehört, als es der tödliche Schlag des Projektils oberhalb des vorderen Laufes ins feuchte Gras wirft.

Um bei den Köchen Thomas Pfaffenbach und Sebastian Dietz in der Verwertungskette zwischen Muskatkürbis und frischen Gnocchi zu landen, kann es ab diesem Zeitpunkt recht schnell gehen. Wie die beiden Jungköche der gehobenen Gastronomie Nordhessens in ihrer Rezeptübersicht (Jetzt wird’s wild) betonen, ist Wildbret – so nennt der Fachmann das Fleisch von Reh, Hirsch oder Wildschwein – nicht nur eine vitamin- und mineralstoffreiche Köstlichkeit regionaler Herkunft, sondern durch seine Urwüchsigkeit qualitativ hochwertig und besticht durch seine Bekömmlichkeit.

Tatsächlich dürfte unser junges Reh in seinem Lebenslauf in freier Natur nichts anderes als die abwechslungsreiche Kost der heimischen Flora in Wald und Flur genossen haben. Weder Silofutter noch Antibiotika aus der Massentierhaltung haben Einfluß auf die Qualität dieses heimischen Lebensmittels nehmen können.

Nachdem der Jäger das geschossene Stück schnell versorgt und nach der Kühlung in seiner Wildkammer fachgerecht nach den Maßgaben der Lebensmittelhygiene weiterverarbeitet, muß er sich um Kaufinteressenten in der Regel nicht sorgen. Regionale Köche greifen gern zum dargebotenen Wildbret von Jägern ihres Vertrauens, überdies stehen nicht selten Freunde und Bekannte Schlange, bevor der Wildhändler zur Stelle ist. Denn obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch von Wild in Deutschland bei etwa einem Kilo pro Jahr liegt (bei über sechzig Kilo Fleischverbrauch insgesamt), konnten die 2010 in Deutschland geschossenen Rehe (1,1 Millionen), Hirsche (130.000), Wildschweine (550.000), Hasen (370.000), Fasanen (200.000) oder Wildkaninchen (260.000) die Nachfrage nur zu 60 Prozent decken, der Rest stammt zum großen Teil aus Osteuropa.

Was Ältere vielleicht sofort hellhörig werden läßt (Osteuropa – Tschernobyl – Verstrahlung), hat tatsächlich heute keine Relevanz mehr, die radioaktive Verstrahlung des Wildbrets auch aus den östlichen Wäldern ist genau wie in Deutschland weit unter jedem Grenzwert. Selbst Wildschweine, die mit ihrem Rüssel in der Erde nach Nahrung suchen und kontaminierte Pilze fressen, haben 26 Jahre nach der Reaktorkatastrophe keine gefährdenden Strahlungsrückstände mehr im Fleisch. Vom Fleisch von Keiler, Bache oder Frischling gehen eher andere Gefahren aus. So ist die Trichinose eine auch auf Menschen übertragbare Wurm­erkrankung, wobei Larven durch nicht ausreichend erhitztes Fleisch menschliche Organe befallen können. Auch wenn diese Krankheit beim Schwarzwild in Deutschland selten geworden ist, unterliegt jedes geschossene Wildschwein einer zwingenden amtsärztlichen Trichinenschau.

Wer das dunkelrote bis rotbraune Wildbret mit seiner feinen Maserung für Küchenklassiker wie Hirschragout, Wildgulasch oder Rehrücken zubereitet, wird den säuerlich-aromatischen Geruch kennen. Diese für Wildfleisch typische Note wird in der Küche gern mit Gewürzen wie Lorbeer und Thymian, Wacholder- oder Preiselbeeren und Rotwein sekundiert. Man kann diese typische Wildnote aber auch durch eine Essigbeize oder eine Lagerung über Nacht im Buttermilchbad abmildern.

Da über die Herbst- und Winterzeit viele gängige Wildarten (außer Rehböcke) ihre Jagdzeit haben, kann es mitunter aber passieren, daß der Schütze bei einem brunftigen Hirsch oder rauschigen Keiler den Finger nicht gerade läßt. Wenn der Jäger das dann geschossene Wildbret überhaupt anbietet, sollte für den Käufer eine Geruchsprobe unerläßlich sein. Denn wo beim Hirsch durch vorheriges aufwendiges Beizen der erfahrene Koch vielleicht noch den scharfen, von männlichen Sexualhormonen während der Paarungszeit herrührenden Hautgout – um nicht Gestank zu sagen – zähmen kann, dürfte das Fleisch des paarungswütigen Schwarzkittels als ungenießbar gelten. Profis wie Pfaffenbach und Dietz dürften für die Zubereitung ihres „Wildschweinrückens auf Tomatenchutney“ auf jeden Fall darauf verzichten.

Thomas Pfaffenbach / Sebastian Dietz: Jetzt wird’ s wild. Verlag Neumann-Neudamm, Melsungen 2012, gebunden, 94 Seiten, Abbildungen, 14,95 Euro

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