© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Punkten mit der „Schwulenehe“
England: Premier Camerons Kampf für die Homoehe erzürnt Parteikollegen / Church of England gegen Umdeutung der Ehe
Derek Turner

Die Wirtschaft steckt tief in einer Rezession, es stehen radikale bildungs- und sozialpolitische Reformen bevor, Schottland will nach drei Jahrhunderten die Union mit England aufkündigen, in London befinden sich weiße Briten mittlerweile in der Minderheit – eigentlich kann die politische Klasse Englands sich nicht über einen Mangel an dringenden Themen beklagen. Statt dessen hat man ein weiteres auf die Tagesordnung gesetzt: die „Schwulenehe“.

Wenngleich das Thema in keinem Wahlkampfprogramm ihrer Parteien auftauchte, arbeiten der konservative Premier David Cameron und der Chef seines liberalen Koalitionspartners, Nick Clegg, mit Unterstützung zahlreicher führender Tory-Politiker daran, bis 2015 eine Gesetzesreform durchzusetzen, die zwei Männern oder zwei Frauen erlauben würde, in einer trauungsähnlichen Zeremonie einen Lebensbund einzugehen. Sofern das Paar einen Geistlichen findet, der keine Einwände dagegen hat, kann diese Zeremonie auch religiösen Charakter haben. Die Labour-Partei befürwortet die geplanten Änderungen, die nach derzeitigem Stand der Dinge voraussichtlich vom Unterhaus verabschiedet und erst im Oberhaus auf erheblichen Widerstand stoßen würden.

Der Streit läßt die Spaltung innerhalb der Konservativen Partei zwischen Modernisierern und echten Konservativen deutlich zutage treten. In der Partei, wenn auch nicht im Parlament, dürften letztere nach wie vor eine Mehrheit bilden. Schätzungen gehen davon aus, daß 130 Tory-Abgeordnete gegen die Reform stimmen werden. Auch in der breiteren Öffentlichkeit tut sich hier ein Graben auf, denn eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Schwulenehe tendenziell ab oder betrachtet diese Debatte als nebensächlich.

Ihr gegenüber steht eine laustarke Minderheit, die einige Promis auf ihrer Seite hat. Die schlecht organisierte Mehrheit tut sich in derartigen Konstellationen traditionell schwer, ist aber diesmal durchaus für einen Kampf gewappnet.

Unter anderem haben die Church of England und Church of Wales unerwartet Rückgrat gezeigt. Selbst einige sonst liberal eingestellte anglikanische Geistliche, darunter der neue Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sind gegen eine Umdeutung der Ehe. Dabei können sie sich auf die Unterstützung des konservativen Flügels ihrer Kirche verlassen.

Allerdings werden sie gar nicht erst in Gewissensnot geraten, denn die Regierung hat bereits angekündigt, daß keiner der beiden Kirchen erlaubt sein wird, schwule Paare zu trauen, selbst wenn sie dies wollten. Das kanonische Recht der anglikanischen Staatskirche definiert die Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau und bildet als solches Teil des gültigen Rechts. Die Schließung von „Schwulenehen“ in anglikanischen Kirchen würde eine Verfassungsänderung erfordern und vermutlich den Status der Staatskirche kosten. Das Verbot dient zudem dazu, anglikanische Kirchen vor Rechtsklagen seitens schwuler und lesbischer Paare zu schützen, die als britische Staatsbürger einen Anspruch darauf erheben könnten, durch die Staatskirche getraut zu werden.

Andere Religionen haben sich dem Protest angeschlossen – allen voran die römisch-katholische Kirche, aber auch evangelikale Protestanten, die jüdisch-orthodoxen United Synagogues, Moslems und Sikhs.

Die politisch einflußreiche Schwulenorganisation Stonewall mußte sich im November herbe Kritik gefallen lassen, nachdem sie den schottischen Kardinal Keith O’Brien zum „Heuchler des Jahres“ gekürt hatte. Den Sponsoren Barclays und Coutts war die aggressive Wortwahl der Organisation ebenso peinlich wie dem ansonsten so politisch korrekten schottischen First Minister Alex Salmond. Die Quäker, Unitarier und jüdischen Reformgemeinden befürworten als einzige Kirchen die „Schwulenehe“.

Die reformlustigen Politiker betonen, daß keine Organisation gezwungen werden soll, gegen ihren Willen schwule Trauungen zu vollziehen. Zum einen sei die Religionsfreiheit nach europäischem Recht gesichert, zum anderen soll auch das britische Gleichstellungsgesetz von 2010 dahingehend geändert werden, daß keine Diskriminierungsklagen gegen Organisationen oder Einzelpersonen angestrengt werden können, die sich weigern, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen. Indes melden Kritiker bereits Zweifel an, ob die geplanten innenpolitischen Maßnahmen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestehen können.

Die Reformgegner finden Unterstützung in weiten Teilen der Medien, nicht zuletzt seitens homosexueller Querdenker wie des Journalisten Andrew Pierce, der den Streit um die „Schwulenehe“ für ein reines Ablenkmanöver hält – ein vollkommen überflüssiges zudem, können doch gleichgeschlechtliche Paare bereits seit 2005 zivile Partnerschaften eingehen, die sie in bezug auf erbrechtliche Belange, Rentenvorsorge, Lebensversicherungen und Einwanderungsrecht sozusagen mit Verheirateten gleichstellen. Immerhin lehnen selbst manche Stonewall-Anhänger die „Schwulenehe“ ab, entweder weil sie den Steuerzahler bis zu fünf Milliarden Pfund kosten soll oder weil sie eine „hetero-normative“ Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft darstelle.

Foto: Demonstration für die umstrittene Homoehe vor dem Buckingham Palast: Steter Tropfen höhlt den Stein

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