© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Süßholz für das Rauhbein
Paul Rosen

Der Mann legt die Stuttgarter Zeitung zur Seite. „Der letzte Rocker der Politik“ lautet die Überschrift eines Nachrufes auf Peter Struck, den ehemaligen Verteidigungsminister und SPD-Fraktionsvorsitzenden, der kurz vor Weihnachten mit 69 Jahren in Berlin verstorben war. Er nippt an seinem Kaffee und dreht sich zu uns um: „Ach, auch keine Lust zum Entenfüttern“, und da erkennen wir den altgedienten Fraktionsmitarbeiter der Union wieder, der an diesem trüben und kalten Vorweihnachtstag auch nicht an der Spree spazierengehen mag, sondern lieber im Café „Cum Laude“ hinter der Humboldt-Universität sitzt.

Auf dem Boden liegt schon die Süddeutsche mit der Schlagzeile „Der Parlamentssoldat“. Auf einem Stuhl befindet sich die taz, die sich zum Titel-Lob „Parteisoldat, Rauhbein, Freund seiner Soldaten“ durchrang. „Da wird viel Süßholz geraspelt“, sagt unser Bekannter zu den Überschriften und Texten. „Der Struck konnte auch ganz anders sein.“ Wir sind jetzt gespannt. Er erzählt von der großen Koalition, als Struck die SPD-Fraktion führte und er zusammen mit seinem Kollegen von der CDU/CSU, Volker Kauder, sozusagen für den Maschinenraum der Koalition zuständig war. „Struck hat fast jede Schlacht gegen Kauder gewonnen. Wir Mitarbeiter waren damals oft entsetzt, wie Kauder ständig der SPD nachgegeben hat.“ Die Methode Struck sei recht einfach gewesen, erfahren wir: „Der kam in den Saal, fing an, lautstark sich über irgendwas oder irgendwen zu beschweren und hörte gar nicht mehr auf.“ Um den tobenden Genossen ruhigzustellen, sei ihm nachgegeben worden, vor allem vom harmoniebedürftigen Kauder.

Er sei auch mal dran gewesen, als er ein Papier verfaßt habe, das die SPD nicht akzeptieren wollte oder konnte. „Der ging mich vor der ganzen Truppe lautstark an“, erinnert sich unser Fraktionsmann, der am liebsten zurückgebrüllt hätte, sich aber wegen der anwesenden eigenen Abgeordneten nicht traute.

Struck – das Rauhbein, der Pfeifenraucher, der Motorradfahrer: Der SPD-Mann habe zur weitgehend ausgestorbenen Art der Charakterköpfe gehört. „Wen haben wir denn sonst noch?“ fragt unser Gesprächspartner. Die sind doch alle auswechselbar – fraktionsübergreifend. „Struck war SPD, das war klar, und sein Markenzeichen war die SPD-Zugehörigkeit. Aber schauen Sie sich das heute an. Der Kauder und der Steinmeier von der SPD könnten locker die Ämter tauschen – das würde doch keiner merken.“ Kanzlerin Angela Merkel hätte in jeder Partei sein können, und bei etlichen Ministern und Staatssekretären, wenn sie nicht gerade Ramsauer oder Aigner heißen würden und über den bayerischen Namensklang mit der CSU in Verbindung gebracht würden, müsse man erst in „Kürschners Volkshandbuch“ mit den Abgeordnetenbiographien schauen, um die Parteizugehörigkeit zu klären.

„Haben Sie sich schon mal die Anzüge angeschaut?“ Wir schauen ratlos: „Alles ein Schnitt, alles in Anthrazit.“ Da sei der Peter Struck doch anders gewesen: „Der trug wenigstens auch mal Lederklamotten, sogar im Bundestagsbüro.“

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