© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Das Land der Kindheit mit der Seele suchend
Ungebrochene Sehnsucht: Warum die Frage nach der Heimat nach wie vor große Bedeutung hat
Friederike Hoffmannklein

Ist Heimat überhaupt noch zeitgemäß? Glaubt man einer aktuellen Studie des Bayerischen Rundfunks, hat das Interesse an Heimat gerade bei jungen Menschen wieder zugenommen. 98 Prozent der Bayern leben demnach gerne dort. 77 Prozent der unter Dreißigjährigen fühlen sich in ihrer Region wohl und zu Hause, sogar 89 Prozent sind stolz auf ihre Region und finden es wichtig, deren Traditionen zu pflegen.

In einem immer ungewisseren Lebensumfeld, in einer immer stärker globalisierten Welt zeugt dies von einer wachsenden Sehnsucht nach Stetigkeit und Stabilität und dem Verlangen nach Antwort auf die ständige Konfrontation mit der Forderung nach Flexibilität in allen Bereichen, nicht nur im Berufsleben, wenn auch dort besonders stark. Flexibilität und Ungebundenheit gelten heute als modern, als selbstverständlich. Ein Wort wie „Heimat“ nimmt sich demgegenüber fast wie ein Fremdkörper aus. Was kann uns Heimat heute noch bedeuten? Ist sie nicht eine überholte Kategorie, Heimat kann heute hier, morgen dort sein ... Mit dieser tendenziellen Auflösung des Begriffs der Heimat – wobei der Ortsbezug unzweifelhaft bleibt – ist das moderne Lebensgefühl jedoch sicher nicht abschließend beschrieben.

„Heimatrecht ist Menschenrecht“ – so lautet der Titel einer 2001 erschienenen Schrift des amerikanischen Völkerrechtlers und Historikers Alfred Maurice de Zayas, des früheren Sekretärs der UN-Menschenrechtskommission. Eine solche Aussage, im Hinblick auf die deutschen Vertriebenen formuliert, kommt fast einem Tabubruch gleich. Heimat ist für de Zayas mehr als eine bloße historische Zufälligkeit. Heimat und Person hängen unmittelbar zusammen.

Für viele Menschen hat der Begriff Heimat heute seine Bedeutung verloren. In seinem Artikel „Wo man mich versteht“ beschreibt Stefan Kuzmany auf Spiegel Online dieses Lebensgefühl einer „entwurzelten Generation“. Heimat ist für ihn nur noch eine überflüssige Festlegung. Da ist es nur konsequent, daß der Autor letztlich zu einer Auflösung des Begriffs kommt. „Sein München? Warum nicht?“, obwohl er selbst, nicht sein Gesprächspartner dort aufgewachsen ist. Heimat ist dann alles oder eben nichts, nicht mehr als ein allgemeines Wohlgefühl. Banalisiert.

Ein solches Verständnis von Heimat entspricht sicher dem Zeitgeist. Diese Interpretation ist von ihren historischen Bedingungen nicht zu trennen. Ein durch das historische Schicksal gespaltenes Verhältnis zum Begriff der Heimat kommt auch in der Exilliteratur zum Ausdruck. Autoren wie Joseph Roth, Bertolt Brecht, Hilde Domin und viele andere haben die Exilerfahrung literarisch beschrieben.

Ist der Trend hin zu Heimat, das Wiederentdecken von Traditionen, der Bedeutung der Sprache dabei nicht auch im Zusammenhang mit der wiederaufgenommenen Wertediskussion zu sehen?

Über Fragen dieser Art geht die Antwort des Schriftstellers Bernhard Schlink in seinem Essay „Heimat als Utopie“ weit hinaus. Heimat ist nicht nur ein Ort, Heimat ist existentielle Erfahrung. Die – im Wortsinne – utopische Qualität der Heimat ist dabei kein Weniger. Sie öffnet den Begriff der Heimat für andere Bezugspunkte, die ebenso wichtig sei können wie ein Ort, oder man könnte auch sagen, es sind viele „Orte“, in einem abstrakteren Sinn: die Familie, das Arbeitsumfeld, die Freunde. Auch die Erinnerung macht einen Ort zur Heimat. Heimat ist in diesem Sinne immer auch Ausdruck für etwas Unerfülltes und Unerfüllbares. So kann Schlink schließlich Heimweh als das eigentliche Heimatgefühl beschreiben, als das eigentliche Kennzeichen von Heimat.

Bedingungslose Flexibilität ist heute nicht nur eine Forderung des Arbeitsmarktes, sie bestimmt längst ein Lebensgefühl. Die Mentalität des Globetrotters, der sich selbst als fortschrittlich und weltoffen definiert, der heute hier und morgen dort „zu Hause“ ist, ist für viele eine Selbstverständlichkeit.

Weltoffenheit im Gegensatz zu vermuteter Provinzialität; scheinbare Weltoffenheit aber auch, die nicht selten einer gewissen Provinzialität sehr nahe kommt. Denn diese Art für sich beanspruchter Weltoffenheit geht oft einher mit einer Haltung der Verachtung gegenüber denjenigen, die ihrer Heimat verbunden bleiben, die lieber dort bleiben, wo sie aufgewachsen sind. Solchen „Stay-at-homes“ wird dann, wie es auch in dem zitierten Spiegel-Artikel anklingt, abgesprochen, wirklich zu leben, etwas zu erleben, ihr Leben positiv zu gestalten.

Aber ist das wirklich so? Woanders hat man manchmal mehr (berufliche) Chancen, und es kann in dieser Hinsicht ein Fehler sein, diese aufgrund von Heimatverbundenheit auszuschlagen. Aber muß man das tatsächlich und in jedem Fall so sehen? Der an das Bundesverwaltungsgericht berufene Richter einer süddeutschen Stadt, der den Ruf mit Rücksicht auf seine Frau ausschlägt, die ein Leben in ihrer badischen Heimat nicht aufgeben will. Ist das Ausdruck von Provinzialität? Sind, auf der anderen Seite, ständiges Reisen, unruhiges Streben von einem Ort zum nächsten nicht auch Ersatz für Heimat? Für fehlende Wurzeln? Ersatz also für einen Mangel? Denn was sind Wurzeln? Bedeuten sie nicht Freiheit, Selbstbewußtsein im engeren Sinn des Wortes – im Sinne des Wissens, wer man ist, innere Kraft, Unabhängigkeit? Das Vertraute hat auch eine die Persönlichkeit prägende Kraft. Wer nicht weiß, wo er hingehört, weiß nicht, wer er ist.

All dies zeigt, daß die Frage nach der Heimat sich nicht erledigt hat, sich nicht erledigen kann.

Man kann das, wenn man diesen Schritt gehen möchte, auch in religiöser Perspektive deuten und verstehen. Die Sehnsucht nach Heimat scheint dem Menschen angeboren. Alte Menschen treibt die Unruhe nach ihrer „Heimat“ um, auch wenn sie eigentlich zu Hause leben. Sterbende sprechen davon, nach Hause zu wollen. Begann nicht die Geschichte der Suche nach der verlorenen Heimat mit der Vertreibung aus dem Paradies?

Foto: Blick von Icking über das Isartal auf das Alpenpanorama: „Begann nicht die Geschichte der Suche nach der verlorenen Heimat mit der Vertreibung aus dem Paradies?“

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