© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Effizient wie Aldi und Lidl
Unternehmen: Sir Terry Leahy machte aus der britischen Tesco-Kette den drittgrößten Handelskonzern der Welt
Markus Brandstetter

Da gibt es diese Geschichte aus dem Jahr 1997, die zu Weihnachten paßt wie kaum eine andere aus der harten Welt der Unternehmen und Manager: Da ist auf der einen Seite der britische Topmanager Terry Leahy, der soeben Vorstandsvorsitzender der britischen Supermarktkette Tesco geworden ist. Auf der anderen Seite ist da Patricia Whewaye, eine arbeitslose Mutter aus London, die einen Sohn hat, der an Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit) leidet. Die Mutter kauft gerne in den Tesco-Märkten ein, aber die führen keine glutenfreien Nahrungsmittel.

Was tut die Frau? Sie ruft den Oberboß an, Terry Leahy persönlich. Zehnmal wird sie abgewimmelt, aber beim elftenmal hat sie den Chef von damals 250.000 Mitarbeitern an der Strippe und sagt ihm, daß sie mit ihm reden will. Unter vier Augen. Leahy ist nicht der ganz normale Manager, und außerdem hat er einen ganzen Haufen Probleme. Tesco ist ein alternder und notleidender Gigant, der dabei ist, von lokalen Wettbewerbern wie Sainsbury’s und internationalen wie Wal-Mart (USA), Carrefour (Frankreich) oder den ohne Börsendruck agierenden Aldi-Brüdern abgehängt zu werden. Leahy weiß, daß er sehr viel sehr schnell ändern muß, wenn Tesco eine Zukunft haben soll. Der Manager stammt selber aus einfachen Verhältnissen und glaubt daran, daß man von jedem was lernen kann. Also nimmt er sich für die arbeitslose Mutter Zeit. Was er hört, erstaunt ihn. Patricia Whewaye schlägt dem Manager vor, sie selbst bei Tesco anzustellen, wo sie dann eine Produktelinie für Allergiker wie ihren Sohn aufbauen wird.

Leahy erbittet sich Bedenkzeit, bespricht den Vorschlag mit Vorstand und Beratern, die ihm alle unisono sagen, was das doch für ein Blödsinn sei und – tut dann genau das, was die Frau ihm vorgeschlagen hat. Der Rest ist, wie man so sagt, in die Geschichte des Einzelhandels eingegangen. Tesco ist die erste Supermarktkette in Großbritannien mit einer eigenen und reichhaltigen Produktlinie für Allergiker. Absatz und Umsatz der Produkte für Allergiker florieren vom ersten Tag an und bringen Kunden zu Tesco, die da normalerweise nicht eingekauft hätten.

Das ist nur eine von vielen erstaunlichen Geschichten, die sich in diesem Buch finden, das man zu den besten Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Wirtschaft im vergangenen Jahr zählen darf. Sir Terry, wie Leahy sich inzwischen nennen darf, gelingt tatsächlich das Kunststück, auf einem Feld, wo es von egozentrischen Elaboraten nur wo wimmelt, ein Buch zu schreiben, das Management und Unternehmensführung völlig neue und erfrischende Aspekte abzugewinnen vermag. Das beginnt gleich mit dem Titel: „Management in zehn Wörtern“, heißt das Buch. Diese Wörter sind: 1. Wahrheit, 2. Loyalität, 3. Mut, 4. Werte, 5. Handeln, 6. Ausgewogenheit, 7. Einfachheit, 8. Schlankheit, 9. Wettbewerb und 10. Vertrauen.

Und wie recht Leahy damit doch hat: Richtig angewandt, können diese Begriffe ganze Bibliotheken an Management-Literatur ersetzen. Der Zentralbegriff, um den sich das ganze Buch dreht und der für den Erfolg von Tesco verantwortlich ist wie kein anderer, heißt „Loyalität“. Die geht in zwei Richtungen: Nach außen zu den Kunden, und nach innen zu den Mitarbeitern.

Wenn der Leser nur einen Satz Leahys mitnimmt, dann diesen: „Loyalität gewinnen und sie behalten – das ist das höchste Ziel, das ein Unternehmen, ja eine Organisation überhaupt haben kann.“ Loyalität, und damit die Bindung der Kunden an das Unternehmen, steht für Tesco wie kein anderes Wort. Das Scharnier zwischen Unternehmen und Kunde ist bis heute die Club-Card, die der Konzern 1995 einführte. Darunter hat man sich ein elektronisches System der alten Konsumgenossenschaften-Rabattmarken vorzustellen, die es in England auch einmal gegen hat. Beim Einkaufen zieht die Frau an der Kasse die Karte dann durch einen Scanner, worauf dem Kunden ein bestimmter Prozentsatz vom Einkaufsbetrag in Form von Punkten gutgeschrieben wird. Hat der Kunde eine bestimmte Anzahl von Punkten erreicht, werden diese in einen festen Geldbetrag umgerechnet, und der Kunde kann dafür mit der Karte kostenlos bei Tesco einkaufen. Das hört sich selbstverständlich, ja primitiv an, aber Tesco war die erste Supermarktkette, die eine solche Bonuskarte flächendeckend einsetzte. Der Erfolg war durchschlagend. In zehn Jahren ließ Tesco seine beiden stärksten britischen Konkurrenten weit hinter sich, expandierte nach Mittelosteuropa, in die Türkei, nach Thailand, Japan und China und betreibt heute etwa 6.000 Märkte auf der ganzen Welt. Inzwischen beschäftigt die Tesco-Gruppe mehr als doppelt so viele Mitarbeiter wie die Metro AG, macht 20 Prozent mehr Umsatz und schreibt fast den fünffachen Gewinn – und das in einer Industrie, die seit Jahrzehnten als renditeschwach und innovationsunfähig gilt. So kann man sich täuschen.

Tesco ist eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, wie es bislang nur wenige gegeben hat. Und der Erfolg liegt in zehn einfachen Wörtern, die jeder kennt. Richtig verstanden und ernst genommen jedoch, trennen sie die Welt der Superstars von der der Mittelmäßigkeit.

 

Vom East End bis ans Ende der Welt

Der britische Tesco-Konzern ist nach Wal-Mart (USA) und Carrefour (Frankreich) sowie vor Metro (Deutschland) die drittgrößte Supermarktkette der Welt. Das erste Geschäft wurde 1919 im Londoner East End eröffnet, das Vereinigte Königreich ist mit fast 3.000 Märkten das Hauptstandbein. Das größte Wachstum gab es in Asien: Thailand hat knapp 1.100 Tesco-Läden, Südkorea über 450, China und Japan jeweils über 120. Schon Jahre vor der EU-Erweiterung wurde Richtung Mitteleuropa expandiert: Polen zählt bereits über 400 Tesco-Märkte, die Tschechei 320, Ungarn 210 und die Slowakei 120. In den USA gibt es bislang nur etwa 180 Tesco-Märkte.

Terry Leahy: Management in Ten Words. Random House Business Books, London 2012, gebunden, 320 Seiten, 25 US-Dollar

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