Pankraz,
N. Machiavelli und das Prinzip Macht

Macht geht vor Kunst. Das zeigen wieder einmal die diversen Gedenktag-Tabellen, die für das neue Jahr 2013 angeboten werden. An sich hätte man erwarten dürfen, daß an erster Stelle die 200. Geburtstage der Musikgenies Richard Wagner und Guiseppe Verdi genannt würden, aber nichts da, weit davor rangiert das Datum „Vor 200 Jahren begannen die antinapoleonischen Befreiungskriege“. Und an erster Stelle steht überall: „Vor 500 Jahren erschien Machiavellis Buch ‘Il principe’ (Der Fürst) – Geburtsstunde der Politologie!“

Dabei kann von „erscheinen“ im Hinblick auf den „principe“ im Jahre 1513 überhaupt nicht die Rede sein. Das Buch kam in gedruckter Form und allgemein zugänglich erstmals 1532, also postum heraus; Machiavelli war bereits 1527 verstorben. Vorher hatte es lediglich ein Manuskript gegeben, das der Autor den in Florenz regierenden Medicis gewidmet und zugesandt hatte, um gut Wetter für sich zu machen und wieder in den diplomatischen Dienst der Stadt aufgenommen zu werden.

Das Buch gefiel den Medicis allerdings nicht, und Machiavelli verblieb im Exil, in das er nach dem Sturz der Republik hatte gehen müssen. Er wurde erst 1521, nach Machtantritt des „liberalen“ Giovanni de’ Medici (dem späteren Papst Leo X.), halbwegs rehabilitiert und durfte zurückkehren. Das Idealbild des „principe“, das er in seinem Werk aufgerichtet hatte, bezog sich ja auch nicht auf irgendeinen Medici, sondern auf den schönen, eiskalten Cesare Borgia, Herzog von Valentino, der die Politik damals wohl am skrupellosesten handhabte – und genau deshalb von Machiavelli gepriesen wurde.

Von Haus aus war Machiavelli kein Monarchist, sondern Republikaner, Bewunderer des alten Athen und der altrömischen Senatorenrepublik. Sein politisches Ziel war die Beendigung der ewigen Kriege zwischen den italienischen Städten und Miniherzogtümern und die gemeinsame Abwehr auswärtiger Angriffe. Dieses Ziel, so meinte er, sei aber nur erreichbar, indem man Prinzipien und Methoden befolge, die jenseits aller Moral und aller theologischen Einreden lägen sowie jenseits aller Illusionen und persönlichen Vorlieben. Kurz gesagt: indem iman wie Cesare Borgia operiere.

In der Politik, so die Quintessenz von „Il principe“, heiligt der (gute) Zweck jedes (auch das allergemeinste) Mittel, Mord und Meuchelmord in jederlei Form, Lüge, Täuschung, Treulosigkeit, Versklavung und Ausbeutung ohne Ende. Als „Bibel des Bösen“ ist das Buch denn auch jahrhundertelang wahrgenommen und verdammt worden, zuerst von religiösen, später auch von säkularen, „aufklärerischen“ Autoritäten. Der Zorn auf Machiavelli und der Eifer, ihn zu widerlegen und die Politik mit der Moral wieder zu versöhnen, war allgemein. Papst Paul IV. setzte „Il principe“ 1557 auf den Index.

1576 erschien (von dem Franzosen Innocent Gentillet) der erste „Antimachiavell“, der eine ganze literarisch-polemische Tradition begründete, welche bis zu Friedrich dem Großen von Preußen und dessen berühmter Streitschrift reichte. Gleichzeitig verbreitete sich unter den europäischen Geistesgrößen aber auch eine gegenteilige Ansicht, die zunehmend Boden gewann. „Der Mann hat ja recht“, hieß es immer öfter, „in realer Politik haben Moral, Theologie und alle möglichen Gutgefühle nichts zu suchen, sie ist ein Feld eigenen Gesetzes, das für alle Regierungsformen gilt, Monarchie wie Republik, Diktatur wie Volksherrschaft.“

Typisches Zitat von Hannah Arendt: „Machiavelli hat als erster die Heraufkunft oder die Wiederkehr eines rein weltlichen Bereichs antizipiert, dessen Prinzipien und Verhaltensregeln sich von den Geboten der Kirche emanzipierten und dessen moralische Wertsetzungen von keiner Transzendenz mehr gegründet und begründet sein würden. Dies ist der eigentliche Sinn seiner vielfach mißverstandenen Lehre, daß es in der Politik darum gehe, zu lernen, ‘nicht gut zu sein’, nämlich nicht im Sinne christlicher Moralvorstellungen zu handeln.“

Gegen solche Sichtweisen, findet Pankraz, werden freilich einige Einwände fällig. Denn politische Herrschaft war für Machiavelli keineswegs eine Sache „an sich“, die es um ihrer selbst willen zu analysieren galt; vielmehr sah er sie als notwendiges Moment einer durch Herkunft und Tradition verbundenen Menschengemeinschaft (Polis, res publica, Staat), welche sich ständig in der Spannung zwischen Aufstieg und Verfall befand, zwischen „virtù“ und bloßer „fortuna“, wie er formulierte.

„Virtù“ war Tugend und Durchsetzungskraft in einem, war der Wille des einzelnen oder der Senatorenschaft, alles für die Stabilität und Blüte der Polis zu tun. Und ihr Brennpunkt lag im herausgehobenen einzelnen, dem „uomo virtuoso“ (wir würden heute sagen: dem Politiker), dem folglich die Rolle eines „principe“ zustand. Der „uomo virtuoso“ wußte über die Wankelmütigkeit und Verführbarkeit der Menschennatur Bescheid, er wußte zum Beispiel, daß sie unbequemen, aber notwendigen Entscheidungen ausweicht und daß also jeder gute Herrscher solche Entscheidungen schnell und energisch fällen und durchsetzen muß.

Heutige Politiker sollten durchaus von „virtù“ im Stile Machiavellis beseelt sein, von echtem Gemeinsinn, gebändigtem Machtbewußtsein und präzisem Entscheidungsmut. Sie dürfen sich keine Illusionen über die Natur des Menschen machen, dürfen sich nicht von Phrasen einnebeln lassen und noch weniger von Schmeichlern und anderen „Freunden“. Was sie aber auf keinen Fall dürfen, ist, den Draht nach oben zu verlieren, zur „Transzendenz“, wie Arendt es nennt.

Die zentralen Moralgebote, die uns einverseelt sind und von denen alle Religionen wissen, gelten für jeden Menschen und für Politiker ganz besonders. Guter Zweck heiligt die Mittel? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Das schlechte Mittel entheiligt den Zweck. Politiker sollten nicht dauernd ölig über die Moralgebote schwafeln, sie müssen aber in jedem Fall nach ihnen handeln. Anders ist gute Herrschaft gar nicht möglich.

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