© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

CD: A. Dvorak
Poetische Klaviermalerei
Sebastian Hennig

Antonin Dvoraks „Poetische Stimmungsbilder“ op. 85 sind dessen umfangreichster Zyklus für Klavier und entstanden 1889 vor seinem Amerika-Aufenthalt. Einige der Stücke dauern fast sechs Minuten und sind von einer überzeugenden inneren Geschlossenheit. Sie können geradezu als sinfonische Dichtungen für Klavier aufgefaßt werden. Ebendarum befürchtete der Komponist, „daß wahrscheinlich wenige Pianisten soviel Mut haben werden, sie alle nacheinander zu spielen, (…) aber nur dann kann sich der Hörer die richtige Vorstellung machen, was ich etwa dachte“.

Claudia Schellenberger ist dieser Forderung gerecht geworden. Sie bekennt sich mit ihrer Interpretation zu den mährischen Wurzeln ihrer Familie mütterlicherseits und zelebriert genußvoll die Farbigkeit und das volkstümlich Verspielte der Musik. Ihre Darbietung der Stimmungsbilder ist beides, stimmungsvoll und bilderreich. Über den Charakter der musikalischen Miniaturen hat sie sich Gedanken gemacht und merkt im Verhältnis zu typischen Klaviermeistern wie Chopin und Schumann eine „orchestrale Grundstimmung“ an.

Es gibt mit „Frühlingslied“ und „Bauernballade“ pastorale Stücke. „Am Heldengrabe“ und „Am heiligen Berg“ vertreten die Eroica. „Koboldstanz“, „Bacchanal“ und „Furiant“ entfalten ein Satyrspiel. Bei aller Schwermut wie in „Nächtlicher Weg“ und „Klagendes Gedenken“ hat die Musik immer eine unbelastete Lebensfreudigkeit. Dvoraks Temperament überstürmt die Klaviatur und zwingt das Instrument, zu seinen Empfindungen zu tanzen, zu singen und zu marschieren. Schellenberger erwähnt des Komponisten „nicht wirklich pianistischen Kompositionsstil“.

Zu jedem der dreizehn Stücke hat sie eine kurze Beschreibung verfaßt, in der die Absicht der Tonmalerei den angewendeten Mitteln gegenübergestellt wird. Dabei nimmt sie die Titelangaben des Komponisten sehr ernst. Für sie gibt es keine Tiefenschichten und Subtexte, die sich nicht ganz natürlich durch die Musik und ihr poetisches Programm etablieren.

Dvoraks musikalischen Einfällen wird durch diese Art des Klavierspiels eine farbige Fülle verliehen, die jede Instrumentierung überflüssig werden läßt. Es erinnert an die Hausmusikfunktion solcher Stücke in der Zeit vor der Klangkonservierung. Sie klingen wie Klavierauszüge von nicht geschriebenen Opern. Großzügige Dezimgriffe, Tremoli, Doppelterzen und Doppeloktaven bewirken gewaltige Klangeindrücke.

Das verbindet diese Stimmungsbilder mit dem wohl bekanntesten Klavierzyklus der romantischen slawischen Musik, Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“. Ihr kraftvolles und unkonventionelles Wesen hat beide Meister auf ähnliche Weise zum volltönenden Eigensinn geführt.

Herrlich, daß nun hier mit Claudia Schellenberger eine Pianistin ein Werk aufgreift, nicht allein um zu brillieren, sondern weil sie sich selbst davon angesprochen, dazu aufgerufen fühlt. Das ist der ganzen Aufnahme anzumerken. Wie Mussorgskys „Bilder“ enden auch Dvoraks „Stimmungsbilder“ in heroisch-gewaltigen Dimensionen. Auf das Heldengrab folgt der Heilige Berg. Der Svatá Hora ist ein zentrales Motiv der tschechischen Nationalmythologie.

Antonin Dvorak, Poetische Stimmungsblider op. 85, Klavier: Claudia Schellenberger CAvi-Music (Harmonia Mundi) www.avi-music.de

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