© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Leserbriefe lieber ernst nehmen
Selbstkritik: Auf einer Tagung werfen sich Journalisten gegenseitig schwache Recherche und eine oft zu unkritische Haltung vor
Petra Knoll

Der Tip hat Klaus Wowereit in seiner Neujahrsausgabe zum „peinlichsten Berliner“ ernannt. Jahrelang hat das zu DuMont-Schauberg (Berliner Zeitung) gehörige Stadtmagazin dem Regierenden die Treue gehalten. Jetzt ist Schluß. Der Flughafenskandal (siehe Seite 6) wird zum Imageschaden für das Stadtoberhaupt.

Dabei haben es viele Hauptstadtjournalisten zu lange versäumt, sich mit dem Prestigeprojekt zu beschäftigen. Und nicht nur in Berlin. Zu oft begleiten Journalisten Großprojekte zu unkritisch. Zu diesem Ergebnis kam eine Tagung des Netzwerks Recherche in München im November. So viel journalistische Selbstkritik war selten: Laut Wolfgang Wiedlich vom Bonner General-Anzeiger schwärmte seine Zeitung vom geplanten World-Congress-Center so intensiv, daß die Richter des Landgerichts Bonn die Journalisten als „Hofberichterstatter“ bezeichneten.

Ein ehemaliger Mitarbeiter von den Stuttgarter Nachrichten meinte, seine Zeitung „war besoffen von der Idee Stuttgart 21 – kritische Berichte gab es keine.“ Oft ignorieren Redakteure die Fakten. Höchst informative Leserbriefe werden zwar abgedruckt, aber nicht für weitere Recherchen ausgewertet. Lokalredaktionen erkennen oft nicht die Brisanz der Leserbriefe, meinte Wolfgang Messner von der Stuttgarter Zeitung.

Viele Medien sähen sich als Teil der Elite. So ähnlich sah es Joachim Braun vom Nordbayerischen Kurier in Bayreuth. Journalisten seien oft zu bequem geworden, würden die Parolen der Politiker nachbeten und die Sachverhalte nicht verstehen.

Arno Luik vom Stern zitierte eine Mail eines RBB-Mitarbeiters, in der dieser Kollegen auf den Berliner Großflughafen einschwört. Erst recht spät hatte der RBB das Thema aufgegriffen.

Beim Berliner Großflughafen sei es nicht nur ein Versagen der Lokalmedien, sondern auch aller Hauptstadtjournalisten, kommentierte Uwe Ritzer aus dem Publikum heraus. Alle Leitmedien wie Spiegel und Stern seien in Berlin mit Büros vertreten. „Partylöwe Wowereit ist der größte Blender der deutschen Politik“, so der SZ-Redakteur.

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