© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Gender Mainstreaming und Anthropologie
Die Negation der Gattung
Rainer Gebhardt

Egal, was wir tun: Am Ende holt uns der Körper ein. Der Wunsch, diesem Schicksal zu entgehen, hat wunderbare metaphysische Systeme hervorgebracht und virtuose technische Apparaturen. Daneben gab es freilich immer die ganz pragmatische Lösung: sich fortpflanzen und in seinen Nachkommen weiterleben. Was nicht mehr und nicht weniger voraussetzt als einen Mann und eine Frau, zwei biologisch unterschiedliche, sehr getrennte und in ihrer gegensätzlichen Einheit dann doch vollkommene Identitäten.

Diese Lösung scheint nicht mehr der Königsweg der Gattung zu sein, seit Staatsfeminismus und Gender Mainstreaming zuerst den Mann und dann das biologische Geschlecht als Haupthindernis auf dem Weg ins Menschheitsglück ausgemacht haben. Vor allem die Familie mit ihren unkontrollierbaren Leidenschaften, ihren unpolitischen Hierarchien und biologischem Kreditwesen gilt als Hort der Unterdrückung. Und da das Glück nicht machbar ist, solange der Mensch im Käfig der Familie, sein Bewußtsein im Gehäuse seiner bipolaren Natur gefangen ist, müssen beide befreit werden. Am radikalsten hat dieses Befreiungsprogramm Alice Schwarzer formuliert: „Wir müssen dem Führer keine Kinder mehr schenken!“ Die Absage gilt Frauen und Männern, die am klassischen Rollenverständnis festhalten. Als Imperativ beschreibt sie die ideologische Stoßrichtung im staatsfeministischen Diskurs: die Familie als totalitäre Praxis, Väter als aggressive Volltrottel und Mütter als Glucken, die dem Leviathan ihre Kinder opfern.

Wer sich hier auf Diskussionen einläßt, begibt sich auf das gespenstische Niveau einer Theorie, in der Männlichkeit und Weiblichkeit hinderliche Persönlichkeitsprothesen sind, überflüssige Kulturkrücken, die man wegwerfen kann. Welche Möglichkeiten das eröffnet, zelebrierte zu Lebzeiten die Humanpuppe Michael Jackson. An ihm ließ sich die erstaunliche Metamorphose eines Mannes in ein Neutrum beobachten. Alles an Jackson war Design, war der künstlich erbrachte Beweis der Antinatur und des Antimännlichen. Daß sich sein Bedürfnis, „ganz er selbst zu sein“, nur in einem Neverland ewiger Kindheit erfüllen ließ, bezeichnete den regressiven Charakter dieser geschlechtsneutralen Menschwerdung.

„It looks like freedom, but it smells like death“, könnte man mit Leonard Cohen sagen, es sieht aus wie Freiheit, aber es riecht nach Tod. Wenn das Leben des Popstars den Zeitgeist dennoch faszinierte, dann deshalb, weil es in seiner Abweichung suggerierte, der Mensch könne biologisch völlig umgekrempelt werden. Denn schließlich haben wir die Freiheit nicht errungen, um uns weiterhin biologischen Determinanten zu unterwerfen oder die kulturellen Masken einer patriarchalischen Gesellschaft zu tragen. Genau an diesem Punkt überlagern sich der Machbarkeitswahn der Moderne und die Utopie der Genderfetischisten: Es ist der Alptraum des Narziß, der eines Morgens im Bett erwacht und neben sich sein Spiegelbild erblickt.

In diesem tristen Flachbau ist wenig Raum für Mann und Frau, noch weniger für Vater und Mutter. Statt ihrer versorgen unbestimmte „Elter 1“ und „Elter 2“ geschlechtsneutrale Homunkuli. Und diese lehrt Genderpädagogik das Glück der Identitätslosigkeit: Wo Ich war, soll Es sein, könnte man in Paraphrasierung Freuds diese primitivistische Umkehrung der Verhältnisse nennen. Letztlich eine totalitäre Praxis, weil mit der Eliminierung naturgegebener Unterschiede des Menschen auch die Attribute der Menschlichkeit überflüssig werden. Wenn das radikal Andere im Anderen nicht existiert, gibt es keinen Grund, ihn anzuerkennen; es gibt nichts, was mich davor zurückhält, seine Grenze zu überschreiten und mich seiner zu bemächtigen. Doch paßt der so „entgrenzte Mensch“ ganz gut in eine Ökonomie mit grenzenlosen Globalisierungs-, Rationalisierungs- und Flexibilisierungsansprüchen. Auch sie braucht weder den alten Adam noch seine Familie. Gebraucht wird der Glücks­automat mit staatlicher Bedienungsanleitung. Und die liegt insofern bereits vor, als der Staat Ehe und Familie nicht länger in der menschlichen Natur legitimiert sieht, sondern in der Anerkennung durch ihn.

Wer heute eine Familie gründet, muß also nicht nur die Überzeugung aufgeben, die Natur habe mit Mann und Frau die menschlichen Angelegenheiten irgendwie genial eingerichtet, er muß auch die Hoffnung fahren lassen, mit der Familie einen privaten Eigenbereich schaffen zu können, in dem er vor den Zugriffen durch den Staat und vor Ansprüchen fremder Sippen geschützt wäre.

Das Gegenteil ist der Fall: Die völlige Verrechtlichung sozialer Bindungen (Karl Albrecht Schachtschneider) gestattet es dem Staat, bis in die intimsten Winkel hineinzuregieren. Groteskerweise verschwindet damit das, was geschützt werden soll. Denn Ehepartner bekunden mit der Heirat nicht nur ihre Liebe und Treue zueinander, sondern sie sichern sich mit einem Wust von Gesetzen gleichzeitig gegeneinander und gegen das ab, was sie sich gerade versprechen. Zwei Liebende also in der Hand des Staates, in der Pose vereinzelter Rechtssubjekte, denen der Rausch zugleich zum Kater wird, das Abenteuer zugleich zum Unfall, der Gewinn zum Verlust und der Anfang zum Ende. In dieser lächerlichen Promiskuität sind die unkontrollierbaren Bedürfnisse und unberechenbaren Leidenschaften aus dem „Spiel der Geschlechter“ eliminiert. Minimiert ist damit auch der Einsatz, der dieses „Spiel“ für die Beteiligten zu einer ernsten Angelegenheit macht. Jeder muß jederzeit aussteigen können.

Wenn also der Staat Dispens von allem erteilt, was bindet, und Titel gibt auf alles, was Bindungen auflöst, warum dann das Wagnis von Zeugung, Geburt und Erziehung noch auf sich nehmen? Investments in die eigene Subjektivität versprechen da mehr und leichteren Gewinn.

Wer dennoch ganz konservativ vom ungegenderten Glück mit Vater, Mutter, Kindern träumt, gar von einem Dasein als Hausfrau, muß Gründe vorbringen und sich rechtfertigen. Oder eben: sich überhaupt nicht rechtfertigen, weil nichts rechtfertigungsunbedürftiger ist, als eine Frau oder ein Mann zu sein und eine Familie zu gründen. Also auf Feminismus und Genderdiktatur pfeifen und einfach machen. Frauen, die das wollen, gibt es. Sabine Rückert hat sich in der Zeit vom 31. Oktober 2012 als Frau geoutet, die genau das will. Ihr Plädoyer für Familie, Hausfrau und Kinder ist so unbeschwert, daß es sich beinahe anhört wie die prosaische Version der Arie Papagenos. Contra gab es vor allem von Männern. Sie lehnen die Rolle als Versorger ab. Manche begründen das im Standardsprech des Feminismus und faseln von Selbstverwirklichung. Andere haben einfach „keinen Bock“, möchten im infantilen Stand sozialer Unschuld verharren. Und nicht wenige fürchten sich vor der Abzocke nach einer möglichen Scheidung. Fazit: Papageno will nicht mehr. Was ist passiert?

Kurzer Rückblick: Das größte Problem in der feministischen Politik war immer der Mann. Genauer: der heterosexuelle Mann. Seit 50 Jahren spielt der Feminismus deshalb erfolgreich auf der Klaviatur des patriarchalisch überlieferten und andauernden Elends. Es ist notwendig, daß dieses Elend weiter existiert, denn es ist die Prämisse, aus der sich die politische Praxis des Feminismus ableitet: Viktimisierung der Frau und Kulpisierung des Mannes. Und nun droht das „Problem Mann“ uns damit zu verschwinden: „Ciao! Ich emanzipiere mich dann mal!“ Doch da wir bei der Paarung trotz Gleichstellungsbeauftragten immer noch Primaten sind (wie Birgit Kelle an dieser Stelle schrieb, JF 48/12), fürchten nun selbst Feministinnen, die Männer könnten sich wie einst die Frauen von ihrem Bauch nun von ihren Testikeln emanzipieren. Das wäre dann das Ende der HERRlichkeit. Auch für die Frauen.

Doch was wie eine Krise erscheint, sehen Genderpolitikerinnen als Chance. Endlich kann die männliche Rolle in einem geschlechtsneutralen Familienmodell neu besetzt werden. Die Soziologin Eva Illouz sieht in der Homo-Ehe mit Kindern bereits das Zukunftsmodell für die Menschheit (Emma, September 2012). Soziologisch wäre das der Schritt von der vaterlosen Familie in die elternlose Globalgesellschaft. Anthropologisch bedeutet es die Negation der Gattung. Auch für dieses Szenario ist der Boden genderpolitisch gut aufgelockert. Dank Gleichstellungsgesetz kommen Mädchen nun mit Prokura zur Quotenfrau auf die Welt. Jungen haben die Chance, endlich das zu tun, was sie angeblich schon immer tun wollten – den Hammer fallen lassen und heulen. Oder, wie es sich die Femokratie wünscht: weiblicher werden. Das gelingt nur mit einer Pädagogik, welcher der Mann bereits als Kind für behandlungsbedürftig gilt. Die „Symptome“, an denen laboriert wird, sind evolutionsbiologisch gesehen exzellente Jägerqualitäten und wurden vor zwei Generationen von Frauen noch geschätzt. Heute werden sie therapiert, als wären es Hemmungsmißbildungen. Aus Bewegungsdrang wurde Unruhe, aus Rauflust Aggressionsbereitschaft, aus Umgebungsaufmerksamkeit Ablenkungsbereitschaft und aus Erlebnishunger wurde Konzentrationsschwäche.

Das sind keine guten Aussichten für die Gattung. Schon gar nicht für die Fortpflanzungslust des Mannes. Bestand dessen Privatdrama im Spiel der Geschlechter bisher lediglich in dem Risiko, durch die Frau abgewiesen zu werden, wird es in der Genderpolitik zum juristischen Endspiel um die Macht: Nun wird der Mann auch öffentlich und institutionell zurückgewiesen.

Die gewaltsame Komponente dieser Zurückweisung dürften heutige junge Männer bereits als Kinder erfahren haben, als feministische Pädagoginnen begannen, das „biologische Programm Mann“ qua Gehirnwäsche zu überschreiben. Drei Kostproben: „die Anerkennung der Mädchen kann nur auf Kosten der kleinen Buben geschehen“ (Marianne Grabrucker in ihrem Buch „Typisch Mädchen“,1985). „Wenn wir wirklich wollen, daß unsere Töchter es einmal leichter haben, müssen wir es unseren Söhnen schwerer machen“ (1986 in Emma). Und weil Macht erst vollkommen ist, wenn sie willkürlich ausgeübt wird, forderte Luise Pusch auf der Kindergärtnerinnensynode am 24. Juni 1991 in Winterthur, „Buben sollten Wunden zugefügt werden, wenn sie sich frauenfeindlich verhalten. Diese Verletzungen heilen sowieso wieder zu schnell.“

Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind Jungen deshalb an der Leine zu führen. Und immer mehr Jungen werden leinenführig nur durch Verabreichung von Ritalin. Die feministische Farce wird zur Tragödie des Jungen: Er scheitert an seiner eigenen Natur. Damit beginnt sein Abstieg zum unbrauchbaren Schmerzensmann. Doch während enttäuschte Frauen klagen, das sei nicht der Stoff, aus dem Männer sind, sieht die Hardcore-Fraktion der Matriarchatsforscherinnen schon ihr Ideal heraufdämmern: den Weiberich.

P.S.: Nebenan ist ein Spielplatz. Und weil die Sonne scheint, ist hier mächtig was los. Geschätzte 70 Prozent der Kinder sind Türken, Albaner, Russen, Kosovaren, Bosnier. Irgendwer hat mal gesagt, Kinderkriegen sei der alltägliche Heroismus des Menschen, eine fröhliche, einfache, kraftvolle und die einzig mögliche Entscheidung gegen den Tod. Doch wenn man sich das Treiben so anschaut, sieht
es fast so aus, als hätten wir Deutschen ein Blind Date mit dem
Sensenmann.

 

Rainer Gebhardt, Jahrgang 1950, studierte Philosophie in Jena. Nach freier Mitarbeit in verschiedenen Verlagen war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Goethe-Nationalmuseum in Weimar. 1983 erfolgte die Aberkennung der Staatsbürgerschaft und Ausreise aus der DDR. Seitdem ist er als Texter für Werbeagenturen, Kommunikationsberater für Großunternehmen und als freier Autor tätig. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Deutschland als Schicksal („Die Flagge nicht ohne Not einziehen“, JF 21/10).

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