© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

„Ich widerspreche entschieden!“
Er sei ein Exzentriker und habe sein Amt ins Chaos geführt – kaum etwas, was man Helmut Roewer, ehemals Chef des Verfassungsschutz Thüringen, nicht vorwirft. Vor allem: die Entstehung der „Zwickauer Terrorzelle“ nicht verhindert zu haben. Nun kommt er selbst zu Wort.
Moritz Schwarz / Felix Krautkrämer

Herr Roewer, sind Sie ein Bohemien?

Roewer: Nun, ich lebe gerne. Auch habe ich manch eine Anleihe in Italien gemacht. Die Leute dort arbeiten, um zu leben, und nicht umgekehrt, wie manch einer bei uns.

Die Medien stellen Sie als Exzentriker dar.

Roewer: Wenn man einen leitenden Beamten mit einem blödianischen Duckmäuser gleichsetzt, dann bin ich einer.

Sie hätten Kollegen gemütlich mit entblößten Füßen auf dem Tisch empfangen, seien mit dem Fahrrad durch die Amtsräume gefahren oder hätten dort am Abend bei Kerzenlicht mit Käse, Wein und Weib gefeiert.

Roewer: Die Quelle ist ein von mir aus dem Dienst entfernter früherer Referatsleiter. Ich habe ihn wegen seiner Falschaussagen vor dem Untersuchungsausschuß angezeigt.

Daß Sie bei Übergabe Ihrer Ernennung zum Verfassungsschutzchef betrunken waren, haben Sie allerdings selbst ausgesagt.

Roewer: Merkwürdige Interpretation. Ich gab am späten Abend meines letzten Abordnungstages 1994 in Erfurt meinen Ausstand in einem Gartenlokal, mein Dienst in Thüringen war zu Ende. Da ist einer der Lokalheroen auf die Idee gekommen, mich im letzten Moment zum Präsidenten zu ernennen. Am nächsten Morgen wäre ich weg gewesen.

Der Thüringer Verfassungsschutz sei unter Ihnen „zum Tollhaus verkommen“, Sie hätten das Amt „zugrunde gerichtet“, schreiben etliche Medien.

Roewer: Komisch, daß das in den vielen Jahren, die ich die Behörde geführt habe, niemandem auffiel, und in den einschlägigen Sicherheitskreisen zwei Jahrzehnte lang das Gegenteil für richtig gehalten wurde. Im übrigen: Als ich die Behörde übernahm, war da nicht viel, was man hätte zugrunde richten können.

Warum berichten die Medien dann so?

Roewer: Ich weiß es nicht. Ich kann nur feststellen, es gibt offenbar eine fast „natürliche“ Feindschaft der Presse gegenüber den Nachrichtendiensten.

Warum?

Roewer: Offenbar glauben viele Journalisten, sich profilieren zu können, wenn sie über die Dienste herziehen. Vermutlich glauben sie, daß es wie beim „Tatort“-Kommissar zugehen müsste, wo ein primitiv strukturierter Fall von zwei greisen Schauspielern bewältigt wird. Würden sie sich aber statt dessen mit den Fakten beschäftigten, müßten sie wie im Fall „Nationalsozialistischer Untergrund“ zu ganz anderen Schlüssen kommen.

Nämlich?

Roewer: Daß es zunächst um gar keinen klaren Fall geht, sondern eine Flut von vagen, meist nicht zusammenpassenden Informationen. Und sodann: daß es die von mir geleitete Behörde war, die die Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen, mutmaßlichen Mördertrio des späteren NSU maßgeblich vorangetrieben hat. Das sage ich auch deshalb, weil mir bei meiner Zeugenvernehmung durch die Bundesanwaltschaft bestätigt wurde, daß man ohne den Fundus aus meiner Zeit heute kaum gegen diese Leute vorgehen könnte.

Noch mal: Wie kommen die Medien dann zu diesem vernichtenden Urteil über Sie?

Roewer: Es handelt sich um einen Alibi-Kriegsschauplatz. Ich streite nicht ab, daß der Fall NSU alles andere als ein Ruhmesblatt für die Sicherheitsbehörden ist. Aber wenn man herausfinden will, warum es nicht gelang, die Entwicklung der Jenaer Neonazis Böhnhardt und Mundlos zu mutmaßlichen Mördern zu verhindern, dann muß man sich differenziert mit der Arbeit der Behörden auseinandersetzen. Und nicht vorverurteilen, um einen Sündenbock zu finden oder Verschwörungstheorien spinnen, etwa die Ämter hätten wissend zugesehen oder steckten gar mit dem NSU unter einer Decke.

Nun haben Sie mit Ihrem Buch „Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutzchef im Osten Deutschlands“ reagiert.

Roewer: Ich wollte allen, die sich für die Hintergründe interessieren, ermöglichen zu lesen, was ich wirklich zu sagen habe.

Inwiefern?

Roewer: Mein Eindruck ist, daß viele Journalisten sich gar nicht für das interessieren, was ich zur Sache mitzuteilen habe, sondern dafür, Bestätigungen für ein Vorurteil zu finden, das sie sich von meiner Person gebildet haben.

Allerdings muß man einräumen, daß sich in Ihrem Buch zum Fall NSU nichts nennenswert Neues findet.

Roewer: Da widerspreche ich Ihnen entschieden. Wenn Sie genau lesen, was ich etwa über unsere Aufklärungsmethoden gegenüber dem Bombenbauertrio und das geradezu bleierne Vorwärtskommen geschrieben habe und auch über das kuriose Ende der Jagd, dann müßten Sie eigentlich feststellen, daß das so noch nirgendwo sonst gestanden hat.

Immerhin liefern Sie eine nachvollziehbare, wenn auch spekulative Erklärung, warum die Polizei beim Ausheben der Bombenwerkstatt 1998 die drei nicht verhaftete – immerhin die beste und letzte Chance, danach tauchten sie ab in den Untergrund.

Roewer: Zunächst: Wir hatten der Polizei die entscheidenden Hinweise geliefert, und damit hatte mein Amt seinen Teil getan. Der Zugriff war Sache der Polizei. Die Beamten hatten von der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluß erhalten, waren aber wohl belehrt worden, daß die Sache für einen Haftbefehl nicht ausreichen würde. Ich vermute, da hat es im Kopf der Polizisten klick gemacht: Durchsuchen ja, aber keine Festnahme! Eine falsche Weichenstellung, die dann auch die sich ändernde Rechtslage während der Durchsuchung, als die Bombenwerkstatt gefunden wurde, unglücklicherweise überlagert hat. So konnte Böhnhardt sich einfach ins Auto setzen und die anderen warnen. Natürlich erscheint das heute vielen aus der Rückschau fast unerklärlich.

Immer wieder resultiert aus solchen Pannen der Vorwurf, Polizei und Ihr Amt seien „auf dem rechten Auge blind“ gewesen.

Roewer: Der ist barer Unsinn. Aber das Problem ist, daß man dem Verdacht praktisch nicht entgehen kann: Medien und Öffentlichkeit erwarten von den Behörden, daß sie rechtsextreme Umtriebe – Versammlungen, Konzerte etc. – möglichst unterbinden. Dazu muß die Polizei wissen, was die Szene vorhat. Diese Informationen erwartet sie vom Verfassungsschutz. Dazu muß dieser in die Szene eindringen, das geht aber nur, wenn er Informanten dort Geld gibt, damit sie ihre Kumpel verraten. Tut man das nicht, heißt es, der Dienst sei untätig, ja „auf dem rechten Auge blind“. Tut man es, heißt es, der Verfassungsschutz finanziere den Rechtsextremismus. Was man auch tut, irgendeiner findet es anstößig.

Verbittert Sie das?

Roewer: Für mich ist das Kapitel abgeschlossen, aber ich kann mir gut vorstellen, daß es viele der aktiven Verfassungsschutzbeamten verbittert, denn wir erleben eine beispiellose Demontage der Behörden durch die Medien und, viel schlimmer noch, durch die Politik. Auch beim Verfassungsschutz arbeiten Menschen und die fühlen sich jämmerlich vorgeführt, und zwar für eine Arbeit, zu der sie gesetzlich verpflichtet sind.

Wie geht das aus?

Roewer: Das weiß ich nicht.

Andererseits kann man die Behörden auch nicht freisprechen.

Roewer: Es gibt vermutlich auch Behördenversagen, das sagte ich schon. Aber vielen Medien geht es eben nicht um Aufklärung, sondern um Demontage.

Nicht nur die Medien, auch die Politik führt nach Ihrer Ansicht die Behörden vor. Den NSU-Untersuchungsausschuß des Landtages in Thüringen haben Sie einen „stalinistischen Schauprozeß“ genannt.

Roewer: Diese Aussage bezog sich auf die beiden Sitzungen, zu denen ich geladen war und wo ich erleben mußte, daß im Mittelpunkt des Interesses nicht das stand, was ich zur Sache zu sagen habe, sondern andere, abwegige Fragen.

Zum Beispiel?

Roewer: Zum Beispiel, wer mich 1994 von Bonn nach Thüringen geholt hat. Eine Frage übrigens, die ich nicht beantworten kann. Was bitte hat das mit dem Fall NSU und seiner Vorgeschichte zu tun? Und warum wird das gefragt? Weil man einen Sündenbock konstruieren will!

Der Fall NSU enthält eine solche Fülle von Ungereimtheiten und Widersprüchen, daß mancher Beobachter zweifelt, ob die uns bislang präsentierte Version überhaupt stimmt. Halten Sie das für vorstellbar?

Roewer: Ich will das bisherige Bild weder bestätigen noch bezweifeln, dafür fehlen mir detaillierte Erkenntnisse. Nur eine Groteske am Rande: Als ich zur Vorbereitung meiner Befragungen um die Möglichkeit bat, die von mir selbst produzierten Behördenakten noch einmal lesen zu können, wurde mir das „aus Geheimhaltungsgründen“ verweigert.

In den Medien gilt der Fall NSU inzwischen als moralische Begründung für ein Verbot der NPD. Ist das zulässig?

Roewer: Auch um Ihnen diese Frage zu beantworten, stehe ich nicht mehr genug im Stoff. Allerdings habe ich schon in meiner Dienstzeit zu den klaren Befürwortern eines NPD-Verbots gehört.

Warum?

Roewer: Weil wir in Thüringen beobachten konnten, wie die intelligenteren der gewalttätigen Neonazis aus den Kameradschaften dazu übergingen, in die Partei einzudringen. Damit schufen sie sich ein legales Dach, unter dessen Schutz sie quasilegal agierten. Dieses sollte ihnen genommen werden.

In Ihre Amstzeit fällt nicht nur der Beginn des NSU, sondern auch der mutmaßlich linksextreme Brandanschlag auf die Druckerei dieser Zeitung im Dezember 1994 im thüringischen Weimar.

Roewer: Bedauerlicherweise blieb diese Straftat unaufgeklärt, obwohl sich eine Vielzahl von Spuren aufdrängte.

Warum gelang es nicht, die Täter zu finden?

Roewer: Einerseits zeigten sich ernste Zweifel an der Tatortarbeit der Polizei, die wiederum zeigte mit dem Finger auf mein Amt, von dem sie die Täter auf dem Tablett serviert zu bekommen hoffte.

Hätte man die Täter denn kriegen können, wenn man nur wirklich gewollt hätte?

Roewer: Es mag unbefriedigend sein, aber das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen. Immerhin dachten wir über einen Plan nach, den Tätern eine Falle zu stellen. Aber es wurde nichts daraus.

Warum nicht?

Roewer: Es fehlte an geeignetem Personal, um die Sache durchzuziehen. Es gab auch keine tragfähige Verbindung zur Zeitung selbst.

Wie sah der Plan aus?

Roewer: Die Idee war, in der einschlägigen linken Szene durchsickern zu lassen, wo Ihre Zeitung anschließend gedruckt wurde. Voraussetzung war aber, daß wir in der Lage sein würden, den nächsten Anschlag zu verhindern. Diese Voraussetzung lag nicht vor! Selbstkritisch muß ich sagen, die Sache ist quasi systematisch eingeschlafen; irgendwann war sie vom Tisch.

Nach unseren Informationen drängte der Verfassungsschutz NRW, der diese Zeitung bis 2005 beobachtete, darauf, auch andere Landesämter dafür zu gewinnen. Warum haben Sie das damals nicht getan?

Roewer: Als ich 1994 ins Amt kam, war Ihre Zeitung für uns keine wahrnehmbare Größe. Wirklich mit der Frage konfrontiert wurde ich dann auf einer Verfassungsschutz-Amtsleitertagung. Einige dort hielten Ihre Zeitung für extremistisch, andere einfach für konservativ. Ich habe mir dann einen eigenen Eindruck verschafft. Aber das, was ich dort zu lesen bekam, war nach meiner Ansicht vom Standpunkt eines Verfassungsschützers aus nicht übermäßig aufregend. Einige Amtsleiter wandten gegen das Ansinnen aus NRW ein, daß mit der Beobachtung in unzulässiger Weise in das Grundrecht der Pressefreiheit eingegriffen werde – und so hat es das Bundesverfassungsgericht 2005 dann ja auch tatsächlich entschieden.

 

Dr. Helmut Roewer, war von 1994 bis 2000 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen. In diese Zeit und Roewers Amtsbereich fällt die Entstehung der mutmaßlichen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die aus den Reihen des „Thüringer Heimatschutzes“ kamen. Helmut Roewer, geboren 1950 in Verona, studierte Geschichte, VWL und Jura und war Ministerialrat im Bundesinnenministerium, bevor man ihn als Verfassungsschutzchef nach Erfurt berief. 2000 wurde er im Streit entlassen, der Vorwurf der Untreue endete vor Gericht. Eine Geldstrafe akzeptierte Roewer „nicht als Schuldgeständnis, sondern um Ruhe zu haben“. Heute lebt er als Schriftsteller in Weimar und Italien. Ende 2012 erschien sein neues Buch „Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutzchef im Osten Deutschlands“ (Ares Verlag).

www.helmut-roewer.de

Foto: Auftritt Helmut Roewers vor dem Untersuchungsausschuß des thüringischen Landtags am 9. Juli 2012: „Vielen Medien geht es nicht um Aufklärung, sondern nur um Demontage“

 

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