© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Unter Reformdruck
NSU: Angesichts von Ermittlungspannen und Aktenvernichtungen wird an einem Umbau des Verfassungsschutzes gearbeitet
Marcus Schmidt

Heinz Fromm, Claudia Schmid, Reinhard Boss, Thomas Sippel, Volker Limburg – diese stattliche Liste der im vergangenen Jahr zurückgetretenen Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden von Berlin, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt macht die tiefe Krise des deutschen Inlandsgeheimdienstes auf einen Blick augenfällig.

Immer tiefer sind die Verfassungsschutzämter in den vergangenen Monaten in den Strudel der von diversen Untersuchungsausschüssen aufgedeckten Pannen im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Mordserie geraten. Ständig neue Berichte über Aktenvernichtungen haben das Ansehen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Geheimdienste schwer beschädigt. Fieberhaft wird daher an einer Reform der Geheimdienste gearbeitet, auch um den Maximalforderungen nach einer Auflösung der Dienste den Wind aus den Segeln zu nehmen. Von einem „Philosophiewechsel“, den der Verfassungsschutz brauche, ist dabei häufig die Rede.

Beim Verfassungsschutz haben die Anschuldigungen deutliche Spuren hinterlassen. Die Mitarbeiter seien zutiefst verunsichert und fühlen sich als Deppen der Nation, ist immer wieder zu hören.

Über allem steht der oft nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochene Verdacht, der Verfassungsschutz könnte weit tiefer in die NSU-Morde verstrickt sein, oder zumindest mehr gewußt haben als bislang zugegeben wird. Die bis heute teilweise nicht ganz aufgeklärten Aktenvernichtungen haben nicht dazu beigetragen, solche Behauptungen überzeugend zu widerlegen. Mahner wie der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der vor einem „teilweise unqualifizierten Verfassungsschutz-Bashing“ warnt, finden daher derzeit wenig Gehör.

Vor diesem Hintergrund wird nun allerorten mehr Transparenz versprochen. Allen voran geht dabei Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU), der den NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages im vergangenen Jahr zum Entsetzen seiner Länderkollegen mit ungeschwärzten Geheimdienst-Akten belieferte. Denn die wichtigste Baustelle beim Verfassungsschutz ist in den Augen der Verantwortlichen neben einer besseren Öffentlichkeitsarbeit die Verbesserung des Informationsflusses zwischen den einzelnen Verfassungsschutzämtern sowie mit anderen Sicherheitsbehörden. Immer wieder hat sich bei den NSU-Ermittlungen gezeigt, daß wertvolle Informationen des Geheimdienstes einfach versickert sind. Dennoch will derzeit niemand ernsthaft am Trennungsgebot rütteln. Die Abschaffung der im Grundgesetz festgeschriebenen Aufgabentrennung zwischen Geheimdienst und Polizei sei „politisch nicht durchsetzbar und auch nicht wünschenswert“, sagt Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Indes ist man sich einig, daß diese Abgrenzung den Informationsaustausch künftig nicht mehr behindern darf. Heute könnten Informationen im Einzelfall weitergegeben werden, in Zukunft müsse dies geschehen, gab Schünemann als Ziel vor.

Ebenfalls nicht zur Disposition steht für die Parteien der vielfach kritisierte Einsatz von V-Leuten. „Um Informationen aus extremistischen und terroristischen Organisationen zu erlangen, können wir nicht auf den Einsatz von V-Personen verzichten“, heißt es in einem Eckpunktepapier der SPD-Fraktion zur Verfassungsschutzreform. Allerdings müsse ihr Einsatz künftig auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden und der Einsatz der Quellen zwischen den Diensten besser koordiniert werden.

Zudem gibt es Überlegungen, die parlamentarischen Kontrollgremien zur Überwachung der Geheimdienste auch in die Kontrolle der V-Leute einzubinden. Dabei geraten diese Gremien mittlerweile selbst verstärkt in die Kritik. Für Rainer Wendt ist eine „Spur Unehrlichkeit“ im Spiel, wenn jetzt in den Untersuchungsausschüssen teilweise dieselben Abgeordneten, die auch den parlamentarischen Kontrollgremien angehörten, den Verfassungsschützern schlaue Fragen stellten. „Die Parlamentarier sollten sich an die eigene Nase fassen“, rät Wendt.

Daß alle jetzt ins Auge gefaßten Reformpläne keine Garantie dafür sind, daß der Verfassungsschutz künftig fehlerfrei arbeiten wird, zeigt gerade der Rücktritt der Berliner Verfassungschutzchefin Claudia Schmid. Ihr Amt gilt als Paradebeispiel einer modern geführten Behörde und Schmid war zeitweise sogar als Nachfolgerin Fromms im Gespräch. Unter ihrer Führung wurde der Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen gesucht und viel Energie in die Öffentlichkeitsarbeit gesteckt, um das „dünne Eis des Vertrauens“ (Schmid) belastbarer zu machen. So tagt beispielsweise der Verfassungsschutzausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses öffentlich. „Die Bürger müssen auf das Augenmaß des Verfassungsschutzes vertrauen können“, sagte Schmid noch im vergangenen Oktober – wenige Wochen bevor sie über Aktenvernichtungen in ihrer Behörde im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie stürzte.

Kritiker sehen in den diskutierten Reformen eh bloße Kosmetik, die die Grundprobleme nur verdeckt. „Geheimdienst heißt Geheimdienst, weil er im Geheimen arbeitet“, sagte die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak dem Neuen Deutschland. Daher seien diese Sicherheitsbehörden „nicht wirklich zu kontrollieren“. Stattdessen gehörten Geheimdienste generell abgeschafft, weil sie einer Demokratie wesensfremd seien.

Ähnlich sieht es der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, der nicht glaubt, daß der Geheimdienst reformierbar sei. „Wir brauchen kein Verfassungsschutzamt in dieser Form. Das muß aufgelöst werden“, sagte er Ende vergangenen Jahres dem Fernsehsender Phoenix. Statt die Verfassung will Kolat künftig die Bürger schützen, mit einem „Bürgerschutzamt“.

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