© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

McAllister braucht das FDP-Wunder
Niedersachsen: Kurz vor der Landtagswahl droht der CDU in Hannover als stärkste Partei der Gang in die Opposition
Christian Vollradt

Am 20. Januar sind wir die Sieger, wir sind die stärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur SPD“, ruft Nieder-sachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) seinen 5.000 Anhängern entgegen, die ihm beim Wahlkampfauftakt am vergangenen Samstag in der Braunschweiger Volkswagenhalle einen begeisterten Empfang bereiten. Daß die Aussicht auf einen Wahlsieg so sicher gar nicht ist, räumt der Spitzenkandidat später indirekt ein, als er betont, es werde ein knappes Rennen – und zur verstärkten Mobilisierung der eigenen Wählerklientel auffordert.

Er selbst, so verspricht McAllister, werde bis zur Schließung der Wahllokale „jeden Tag, jede Stunde, jede Minute für die CDU kämpfen und werben. Und zwar um jede Erst- und Zweitstimme, und die Zweitstimme ist die entscheidende.“ Also nichts mit Leihstimmenkampagne zugunsten der FDP, wie es gerüchteweise zuvor geheißen hatte. Er sei sich sicher, daß die Freien Demokraten den Sprung in den Niedersächsischen Landtag wieder schaffen werden, und zwar „aus eigener Kraft“.

Genau deren Abschneiden dürfte zum Zünglein an der Waage werden. Denn die Union führt zwar laut Umfragen mit 40 Prozent komfortabel vor der SPD (34), allerdings kommen die Grünen derzeit auf einen Wert von 13 Prozent, während die FDP nur bei vier Prozent steht – und damit unterhalb der Fünfprozenthürde. Genauso wie die derzeit noch im Landtag vertretene Linkspartei sowie die Piraten (jeweils drei Prozent). Treten diese Vorhersagen ein, säßen im nächsten Landtag in Hannover nur noch drei Fraktionen, und Rot-Grün hätte die Mehrheit.

Gerade deswegen ist es nicht unwahrscheinlich, daß doch mancher Sympathisant der Union sein Kreuz am übernächsten Sonntag aus taktischen Gründen bei den Liberalen machen wird – ungeachtet der Streitereien über die Führungsschwäche von Parteichef Philipp Rösler. Für den Wahlforscher Jürgen Falter zumindest steht fest, daß die FDP noch gute Chancen auf den Einzug ins Leineschloß hat, da die Umfragewerte nicht die tatsächliche Zustimmung für die Partei widerspiegeln: „Die Menschen bekennen sich nicht so leicht zur FDP, weil man sich zur Zeit als FDP-Anhänger verteidigen muß“, sagte der Mainzer Politikwissenschaftler der Nachrichtenagentur dpa. Andererseits wüßten viele CDU-Wähler, „daß sie keine Chance haben, eine rot-grüne Mehrheit zu verhindern, wenn die FDP nicht im Landtag ist“.

Je nach politischem Standort wird den Niedersachsen der Wunsch nach einem Regierungswechsel entweder attestiert oder eben abgesprochen. Fast 60 Prozent der Bewohner zwischen Ems und Elbe, Nordsee und Eichsfeld sind mit ihrer Regierung zufrieden oder sogar sehr. Ministerpräsident McAllister hat sowohl hinsichtlich der Bekanntheit als auch der Beliebtheit die Nase vorn vor seinem sozialdemokratischen Herausforderer Stefan Weil. Hannovers Oberbürgermeister ist außerhalb der Landeshauptstadt kaum bekannt und nicht gerade als Stimmungsmacher verschrien. Hinzu kommt, daß den Sozialdemokraten gerade manch eine Äußerung ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück die Stimmung verhagelt. Dennoch bewerten 52 Prozent der von Infratest dimap zum Jahreswechsel befragten Bürger eine rot-grüne Koalition besser (52 Prozent) als die aktuelle schwarz-gelbe (32 Prozent).

Mittlerweile haben McAllister und sein CDU-Generalsekretär Ulf Thiele jeglichen schwarz-grünen Gedankenspielen eine deutliche Absage erteilt. Dies ist offenbar auch eine Reaktion auf entsprechende Signale der selbstbewußten Grünen, die ein zweistelliges Ergebnis anpeilen und schon auf Ministerposten in „Schlüsselressorts“ schielen. Ihr starker Mann ist der Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel. Er ist in der Ökobewegung verwurzelt (und wohnt in einem „Bioenergiedorf“), hat als Abgeordneter des Wahlkreises Göttingen jedoch in der Vergangenheit keine Berührungsängste mit genuin linksextremen (Antifa-) Gruppen gehabt. Bundesweite Aufmerksamkeit zog er auf sich, als er im Hannoveraner Landtag besonders beharrlich in Sachen „Wulff-Affäre“ bohrte.

Apropos Christian Wulff: Name und Person des ehemaligen Bundespräsidenten, der als McAllisters Vorgänger (und Förderer) acht Jahre die Regierung Niedersachsens geführt hatte, hat die Union in diesem Wahlkampf vollständig aus dem kollektiven Parteigedächtnis gestrichen. Über den nun auch von seiner Frau verlassenen Ex-Politiker wurde beim Wahlkampfauftakt in Braunschweig kein Wort verloren, selbst wenn es um die Bilanz der CDU-Landesregierungen ging, selbst wenn es um die Würdigung der Minister ging, die allesamt von Christian Wulff ins Amt geholt wurden.

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