© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Streiter gegen die Neocons
USA: Mit der Nominierung des Republikaners Chuck Hagel setzt Präsident Obama Zeichen Richtung Nahost
Patrick j. Buchanan

Washington hat sich von seiner schlimmsten Seite gezeigt, seit Chuck Hagel vor zirka einem Monat für das Amt des Verteidigungsministers ins Gespräch gebracht wurde.

Wer ist dieser Chuck Hagel? Er kam in North Platte/Nebraska zur Welt, war als Gruppenführer im Vietnamkrieg eingesetzt, wo er zweifach verwundet wurde, arbeitete dann 1980 für Ronald Reagans Wahlkampfteam, wurde zweimal in den US-Senat gewählt und ist aktuell Vorsitzender der Denkfabrik Atlantic Council und Kovorsitzender des dem Präsidialamt unterstehenden Foreign Intelligence Advisory Board.

Bill Kristol freilich beschrieb ihn jüngst im Weekly Standard als Mann des „Narrensaums“ und Befürworter einer „Beschwichtigungspolitik im Umgang mit dem Iran“, dessen „Feindschaft gegenüber Israel“ seit einem Jahrzehnt dokumentiert sei. Und all jenen, bei denen die Botschaft womöglich noch nicht deutlich genug angekommen war, half Daniel Halper in seinem Blog für die gleiche Publikation auf die Sprünge, indem er einen „führenden republikanischen Berater im Senat“ zitierte, der gedroht habe: „Gebt uns Hagel, und wir werden dafür sorgen, daß ganz Amerika weiß, daß er Antisemit ist.“

Bret Stephens vom Wall Street Journal spann den Faden weiter: „Vorurteile (…) haben ein olfaktorisches Element“, und Hagel „verströmt einen ausgemacht strengen Geruch“. Soll heißen, Hagel stinkt nach Antisemitismus. Zur Untermauerung dieser Vorwürfe berufen sich Hagels Gegner mit Vorliebe auf dessen eigene Aussagen. Erstens verlautbarte er gegenüber dem Publizisten Aaron David Miller, die „jüdische Lobby schüchtere viele Menschen“ im Kongreß ein. Zweitens drängte er, die USA sollten Gespräche mit Hamas, der Hisbollah und dem Iran führen. Drittens sagte er vor einigen Jahren: „Ein Militärschlag gegen den Iran ist keine gangbare, denkbare, verantwortungsbewußte Option.“

Hagel hat seither eingestanden, daß er sich im Ton vergriffen habe, als er von einer „jüdischen Lobby“ sprach. Die proisraelische Lobby hingegen ist Gegenstand zahlreicher Bücher und Artikel. Die proisraelischen Resolutionen des American Israel Public Affairs Committee werden im Kongreß routinemäßig abgesegnet. Hagels Problem liegt darin, diese heiligen Schriften nicht mit gebührender Ehrfurcht behandelt zu haben. „Ich bin ein US-Senator, kein israelischer Senator“, sagte er Miller. „Ich unterstütze Israel. Aber mein vorrangiges Interesse gilt dem Eid, den ich auf die Verfassung der USA geschworen habe. Nicht auf einen Präsidenten. Nicht auf eine Partei. Nicht auf Israel. Das tue ich erst, wenn ich mich um einen Sitz im israelischen Senat bewerbe.“

Mit anderen Worten, Hagel stellt die nationalen Interessen der USA voran. Und manchmal sind diese Interessen nicht mit denen der israelischen Regierung zu vereinbaren. 1957 wies Präsident Eisenhower den israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion an, seine Armee aus dem Sinai abzuziehen. Hätte ihn dies als Kandidaten für das Amt des Verteidigungsministers disqualifiziert, weil es zeigen würde, daß es „Ike“, wie Kristol sagen würde, nicht „ernst meint mit der Unterstützung Israels“?

Wie sollte sich ein US-Senator oder -Verteidigungsminister verhalten, wenn er der Meinung ist, daß das Vorgehen der Israelis – etwa die Zweiteilung des Westjordanlands durch neue Siedlungen – geeignet ist, sämtliche Chancen auf einen palästinensischen Staat zu sabotieren und eine neue Intifada herbeizuführen? Sollte er die Interessen der USA wahren oder sicherstellen, daß zwischen ihm und dem israelischen Premier „kein Tageslicht“ zu sehen ist?

Warum haben wir im übrigen Angst vor Gesprächen mit Hamas, Hisbollah und dem Iran? Harry Truman scheute sich nicht, mit Stalin Gespräche zu führen und Wjatscheslaw Molotow die Leviten zu lesen. Eisenhower lud Nikita Chruschtschow zu einer USA-Reise ein, nachdem er drei Jahre zuvor sowjetische Panzer durch Budapest hatte rollen lassen. Richard Nixon reiste nach China und stieß mit Mao Tse-tung an, der zwanzig Jahre zuvor US-Soldaten in Korea getötet und Kriegsgefangene einer Gehirnwäsche unterzogen hatte und zum Zeitpunkt des denkwürdigen Treffens seine wahnwitzige Kulturrevolution durchführte und Waffen nach Hanoi sandte. Israel führte Verhandlungen mit der Hisbollah, um die sterblichen Überreste des Luftwaffenoffiziers Ron Arad zurückzuerhalten, und ließ sich auf einen Gefangenenaustausch mit Hamas ein: 1.000 palästinensische Gefangene gegen Oberfeldwebel Gilad Shalit. Warum sollten die USA nicht genauso mit ihnen reden dürfen?

Und wenn Hagels Überzeugung, daß ein Krieg mit dem Iran keine „verantwortungsbewußte Option“ sei, ihn disqualifiziert, was ist dann von der folgenden Aussage von Robert Gates zu halten, der dieses Amt von 2006 bis 2011 unter George W. Bush und Barack Obama bekleidete: „Jeder zukünftige Verteidigungsminister, der dem Präsidenten rät, amerikanische Bodentruppen nach Asien oder in den Mittleren Osten oder nach Afrika zu entsenden, sollte ‘sich auf seinen Geisteszustand’ untersuchen lassen, wie General Douglas MacArthur es so feinsinnig ausdrückte.“

Wenn Hagel tatsächlich Antisemit wäre, würden ihn dann so viele jüdische Kolumnisten und Publizisten unterstützen? Wenn er wirklich dem „Narrensaum“ angehörte, würden nationale Sicherheitsberater der Präsidenten Ford, Carter, Reagan, George Bush und Obama seine Ernennung befürworten?

Die Feindseligkeit von „Neocons“ wie Kristol gegenüber Hagel wurzelt in der Befürchtung, daß er seine Position in Obamas innerem Kreis als Fürsprecher zugunsten von Verhandlungen mit dem Iran und gegen einen Präventivkrieg oder Präventivschlag nutzen würde. Obama hat ihren Protesten jedoch kein Gehör geschenkt und den Republikaner Hagel für das Amt des Verteidigungsministers nominiert.

An Benjamin Netanjahus Wiederwahl als israelischer Ministerpräsident Ende dieses Monats besteht kein Zweifel. Seine nächste Regierung dürfte noch kriegerischer ausfallen als die letzte. Und Netanjahus höchste Priorität – ebenso wie die seiner Verbündeten im Lager der US-Neocons – ist ein Krieg der USA gegen den Iran noch in diesem Jahr. Wenn Obama einen solchen Krieg verhindern will, muß er sich gegen die Kriegspartei durchsetzen.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

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