© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Denken ist ein einsames Geschäft
Kino: Margarethe von Trotta bringt die politische Theoretikerin Hannah Arendt auf die Leinwand
Thorsten Hinz

Die Regisseurin Margarethe von Trotta bleibt ihrem Lebensthema treu. Nach den Ensslin-Schwestern, Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen hat sie mit Hannah Arendt wieder ein exemplarisches Frauenleben verfilmt. Arendt ist eine am deutschen Idealismus und Alexis de Tocqueville geschulte Jahrhundertdenkerin. Ihr wichtigstes Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, ein Strukturvergleich des Nationalsozialismus und Stalinismus, die sie beide unter dem Begriff „Totalitarismus“ subsumierte, erschien 1951. Trotz mancher Irrtümer, Fehlschlüsse und Anachronismen zählt das Buch zu den Klassikern der politischen Theorie und bleibt unverzichtbar, um die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu verstehen.

Arendt wurde 1906 in Hannover geboren, wuchs in Königsberg auf und studierte bei Martin Heidegger – mit dem sie ein Liebesverhältnis verband – und Karl Jaspers. 1933 emigrierte die Jüdin nach Frankreich, wo sie im Mai 1940 als „feindliche Ausländerin“ interniert wurde. 1941 gelang ihr die rettende Ausreise nach Amerika. Unter großen Mühen baute sie sich dort eine Existenz als Hochschullehrerin auf. Sie starb 1975 in New York.

Ein Leben voller äußerer Dramatik also, dessen Essenz jedoch in Arendts Denkleistungen liegt. Läßt sich ein gelebtes Denken überhaupt kinogerecht in Szene setzen? Trottas Film konzentriert sich auf den Prozeß gegen Adolf Eichmann, den Organisator der Judendeportationen, der 1961 in Jerusalem stattfand. Arendt verfolgte ihn vor Ort und berichtete darüber in einer Artikelserie für die Zeitschrift The New Yorker. Unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem“ sorgte der Bericht weltweit für Aufsehen und zornigen Widerspruch.

Arendt erlebte Adolf Eichmann als farblosen Buchhalter, was sie zu der markanten Formulierung „Banalität des Bösen“ veranlaßte. Eichmann bestand darauf, lediglich die Transporte in die KZs organisiert zu haben. Was davor und danach geschah, habe jenseits seiner Zuständigkeit gelegen und ihn deshalb nicht interessiert. Für Arendt war er der Extremfall eines Bürokraten in der arbeitsteiligen Gesellschaft, der das Denken, das Mit-Denken verlernt hatte, das für Arendt unlösbar mit der Fixierung auf das menschliche Sittengesetz verbunden war. Sein zweckrationales Handeln fügte sich daher widerspruchslos in einem mörderischen Zusammenhang ein. Der Film zeigt eine Analytikerin, die sich den allgegenwärtigen Empörungs- und Betroffenheitsritualen nicht nur verweigert, sondern sie gleichfalls zum Gegenstand der Analyse macht. Die Konflikte, die sich daran entzünden, bilden die Fabel des Films.

Die Überlebenden wollten – psychologisch verständlich – in Eichmann ein Monster sehen und fühlten sich durch Arendts Versachlichung seiner Person erniedrigt. Offener Haß schlug ihr schließlich entgegen, weil sie auch die Rolle der Judenräte thematisierte, denen Eichmann die Zusammenstellung der Transporte übertragen hatte. Arendt sah darin eine zentrale These aus ihrem Totalitarimus-Buch zugespitzt und bestätigt: Die Unterworfenen werden durch ihre Unterdrücker – hier: durch ihre Mörder – zu Kollaborateuren ihrer Unterwerfung gemacht. Arendt wurde vorgehalten, die Toten zu Mitschuldigen an ihrer Ermordung gemacht zu haben. Stapelweise trafen Haßbriefe bei ihr ein, sie wurde beschimpft und sogar als „Nazi-Hure“ tituliert. Freundschaften zerbrachen, eine soziale Kältezone breitete sich um sie aus. Jüdische Organisationen orchestrierten eine Pressekampagne gegen sie, der Mossad versuchte sie einzuschüchtern und zum Rückzug ihres Buches zu veranlassen. Man legte ihr nahe, den Hochschuldienst zu quittieren. Arendt wich nicht zurück. Sie fand bestätigt, was sie als junge Studentin bei Martin Heidegger gelernt hatte: Denken ist ein einsames Geschäft!

Das sind die stärksten Momente des Films, in denen es Trotta gelingt, innere und äußere Dramatik miteinander zu verknüpfen. Die Hauptrolle ist – wie stets in den Trotta-Filmen – mit der großartigen Barbara Sukowa besetzt, die sich Gestik und Sprechweise der kettenrauchenden Arendt samt ihres deutsch akzentuierten Englischs angeeignet hat. Obwohl Arendts Stimme eine größere Schärfe besaß, gelingt es Sukowa, ihr Charisma nachvollziehbar zu machen. Axel Milberg als ihr Ehemann Heinrich Blücher – ein Militärhistoriker – kann ebenfalls überzeugen. Die anderen Personen wie der Zionist und väterliche Freund Kurt Blumenfeld (Michael Degen) bleiben vergleichsweise blaß. Das liegt weniger an den Schauspielern als an der Dramaturgie. Die Rückblenden lassen kein biographisches Panorama entstehen, sondern wirken oft wie zufällig hingetupft und erschöpfen sich in Andeutungen, die ohne Kenntnis von Arendts Leben und Werk nur schwer entschlüsselt werden können.

Ein radikales Leben wie das von Hannah Arendt läßt sich mit konventionellen Mitteln nur begrenzt erfassen. Ein Beispiel: Im Presseraum des Eichmann-Prozesses verfolgt Arendt/Sukowa am Schwarzweiß-Bildschirm den Auftritt des Angeklagten. Diese optisch abgesetzten Original-Sequenzen führen aber längst ein zeitgeschichtliches Eigenleben. Statt sich in die Filmhandlung zu integrieren, bilden sie ein Zwischenmedium, von dem die Titelfigur genauso weit entfernt ist wie der Zuschauer im Kino.

Dadurch tritt ein ungewollter Verfremdungseffekt ein: Es ist nicht mehr Hannah Arendt, die auf der Leinwand agiert, sondern Barbara Sukowa, die sich hochprofessionell bemüht, auf ihrem Gesicht Arendts Denkbewegungen und Emotionen ablesbar zu machen. Der Zuschauer, statt von ihrer Mimik ergriffen zu werden, durchschaut sie als Profession. Überzeugender wäre es gewesen, die Verhandlungsszenen nachzuspielen und Arendt/Sukowa einen Platz im Gerichtssaal zuzuweisen, um zwischen dem Massenmörder und seiner klügsten Chronistin einen unmittelbaren, sinnlichen Kontakt herzustellen. Das allerdings hätte einen finanziellen Aufwand erfordert, der in Deutschland die Möglichkeiten selbst einer anerkannten Regisseurin übersteigt.

Trotz dieser Einschränkungen ist der Film sehenswert. Er zeigt die Umrisse einer Persönlichkeit, die im heutigen Universitäts- und Medienbetrieb undenkbar wäre.

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