© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Schritte gegen das Vergessen
DDR: Bericht zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vorgelegt
Ekkehard Schultz

Auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende des SED-Regimes in Mitteldeutschland ist die Aufarbeitung der zweiten Diktatur auf deutschem Boden noch lange nicht abgeschlossen. Das zeigt der in der vergangenen Woche von der Bundesregierung vorgelegte „Bericht zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Im Mittelpunkt dieses rund 250 Seiten starken Papiers aus dem Haus von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) steht ein Fazit der bisherigen Arbeit.

Der Bericht zollt dabei unter anderem der Tätigkeit der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes großes Lob. Generell sei die Bedeutung der Länder für die Aufarbeitung von fast 45 Jahren kommunistischer Diktatur in SBZ und DDR außerordentlich hoch. Denn bei ihnen liege die Zuständigkeit für den Schulunterricht und die universitäre Forschung sowie für die Rehabilitierungsgesetze, das Vermögensrecht und die strafrechtliche Aufarbeitung. Zudem sei auch die Gedenkstättenförderung in erster Linie eine Angelegenheit der Länder.

Auch die Tätigkeit der Opferverbände wird im Bericht lobend erwähnt, vor allem im Zusammenhang mit der Zeitzeugenarbeit. So sei der Austausch mit einem persönlich Betroffenen, der im Idealfall am authentischen Ort erfolgen solle, im Regelfall weit einprägsamer als jeder Film, jedes Buch oder eine Unterrichtseinheit, da die Begegnung einer abstrakten Geschichte ein konkretes Gesicht verleihe.

Kritischer wird in dem Bericht die juristische Aufarbeitung der SED-Diktatur beschrieben, die von vielen Opfern als weitestgehend gescheitert angesehen wird. Bei der „Verfolgung der Verantwortlichen“ hätten die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte vor der schwierigen Aufgabe gestanden, ein in 40 Jahren entstandenes staatliches Unrecht mit den Mitteln des Rechts aufzuarbeiten. Dabei hätten sich Schwierigkeiten insbesondere daraus ergeben, daß das Strafrecht der Bundesrepublik auf die Bewältigung staatlichen Handelns in der DDR nicht zugeschnitten gewesen sei. So habe das Strafrecht nicht das kommunistische System als Ganzes aburteilen können, sondern nur „einzelne Menschen, die für gravierendes Unrecht individuell verantwortlich“ waren. Dennoch sei in mehr als 1.000 Fällen Anklage erhoben worden; wegen der Tötungsdelikte an der innerdeutschen Grenze, Körperverletzungen und Freiheitsberaubung im DDR-Strafvollzug, aber auch wegen Rechtsbeugung oder Wirtschaftsdelikten. Jeder Prozeß habe, so die Autoren, „einen wichtigen Schritt gegen das Vergessen“ bedeutet.

Bei der Frage nach sozialen Hilfen und Entschädigungen für die Opfer der SED-Diktatur wird sowohl auf die einmaligen Zahlungen als auch auf die längerfristigen Unterstützungen verwiesen, wie etwa die Opferpension, die für sozial bedürftige Verfolgte seit 2007 gewährt wird. Herausgestellt werden in dem Bericht ebenso die Bemühungen der Rehabilitationseinrichtungen. Allerdings werden die konkreten Schwierigkeiten vieler Betroffener, ihre Rechte auch tatsächlich vor Ort durchzusetzen, insbesondere bei haftbedingten dauerhaften Gesundheitsschäden, dabei nur am Rande erwähnt.

Deutlich kritisiert wird dagegen im Fazit des Berichtes, daß die DDR-Geschichte in Westdeutschland noch oft als etwas Fremdes wahrgenommen werde. Dabei sei sie ein Teil der gesamtdeutschen Geschichte und ihre Aufarbeitung damit eine gesamtdeutsche Aufgabe und kein Regionalthema der östlichen Länder. Besonders erfreulich sei daher das Engagement einzelner westdeutscher Länder bei der Entwicklung wichtiger Gedenk-orte an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Genannt werden etwa das Grenzlandmuseum Eichsfeld, das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth oder die Stiftung Point Alpha.

In diesem Zusammenhang hob der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für die Aufarbeitung des SED-Unrechts, Patrick Kurth, hervor, daß „die Verharmlosung, mitunter sogar Verklärung des Lebens unter der SED-Diktatur und das ausgeprägte Nichtwissen insbesondere junger Menschen über die DDR und die dort herrschenden Verhältnisse“ Grund zu Besorgnis gäbe. Denn dieser Trend schwäche die zentrale Bedeutung der Werte, für die die Menschen in der DDR im Herbst 1989 mutig und friedlich demonstrierten, sagte Kurth. Generell sei die Verantwortung der alten Bundesrepublik für die Diktatur stärker zu hinterfragen. Auch die Überprüfung der Angestellten des öffentlichen Dienstes nach einer früheren MfS-Mitgliedschaft sei in den westdeutschen Bundesländern noch ausbaufähig.

Die SPD verwies darauf, daß das Papier eine wichtige Frage ausklammern würde. So werde die Zukunft der Stasiunterlagenbehörde gezielt „ausgeklammert“, so der Sprecher der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Fraktion, Siegmund Ehrmann, und der zuständige Berichterstatter Wolfgang Thierse. In der 2008 vom Bundestag beschlossenen Gedenkstättenkonzeption des Bundes habe sich die Regierung zwar dazu verpflichtet, eine Expertenkommission einzusetzen, die die Entwicklung der Aufgaben, die der Behörde gesetzlich zugewiesen sind, prüfen sollte. Dies sei jedoch bislang noch nicht erfolgt. Statt dessen sei in den vergangenen Wochen und Monaten erkennbar, daß die Koalition dem Behördenleiter Roland Jahn freien Lauf lasse und mit dem Bundestag nicht abgestimmte Vorschläge öffentlich mache, die „bereits Vorfestlegungen zur Zukunft der Unterlagenbehörde beinhalten“, kritisierte Thierse.

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