© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Parteichef verzweifelt gesucht
Schleswig-Holstein: Die am Boden liegende CDU im Norden hat große Mühe, einen Nachfolger für ihren zurückgetretenen Vorsitzenden Jost de Jager zu finden
Hans-Joachim von Leesen

Drei Tage nach Weihnachten veröffentlichten die Kieler Nachrichten ein umfangreiches Interview mit dem Landesvorsitzenden der schleswig-holsteinischen CDU, Jost de Jager. Auf die Frage: „Was sind Sie heute für die Union?“ antwortete er selbstbewußt: „Die Partei steht hinter mir. Im März werde ich Spitzenkandidat der Nord-Union für die Bundestagswahl.“ Und weiter: „Mein Wunsch, Ministerpräsident zu werden, ist nicht erloschen.“

Damit war es nur 13 Tage später vorbei, als ein blasser CDU-Chef in Kiel vor die eilig zusammengetrommelte Presse trat, um zu eröffnen, er beabsichtige, seinen Posten als Parteichef hinzuwerfen und aus der Politik auszuscheiden. Seine Begründung: Er fühle sich von seiner CDU im Stich gelassen. So erinnerte er daran, daß als Nachfolger des amtsmüden Peter Harry Carstensen ursprünglich nicht er, sondern Christian von Boetticher vorgesehen war. Als dieser wegen einer Beziehung zu einer 16 Jahre alten Facebook-Bekanntschaft seinen tränenreichen Abschied nehmen mußte, fand sich zunächst kein geeigneter Spitzenkandidat. Schließlich ließ sich de Jager, der in Carstensens Kabinett erst Staatssekretär und dann Minister für Wirtschaft und Wissenschaft war, als braver Parteisoldat breitschlagen. Er führte die CDU in die Landtagswahl, bei der für ihn allerdings kein Platz für ein sicheres Direktmandat gefunden worden war, so daß er sich mit dem ersten Platz auf der Landesliste begnügen mußte. Die der CDU zustehenden Abgeordneten aber wurden ausnahmslos direkt gewählt, so daß die Liste nicht zum Zuge kam. Der Landesvorsitzende zog daher nicht ins Parlament ein. Bemühungen, einen anderen Abgeordneten im Interesse der Partei zum Verzicht zu bewegen, blieben ohne Erfolg.

Als de Jager dann wenigstens eine Direktkandidatur für den Bundestag anstrebte, stieß er auf eine Gegenkandidatin, eine ehrenamtliche Bürgermeisterin eines kleinen Ortes im Raum Flensburg-Schleswig. Weder sie noch ein Großteil der CDU-Mitglieder aus ihrem Kreisverband zeigten sich geneigt, zugunsten des Landesvorsitzenden das Feld zu räumen. So ging es in die Kampfabstimmung, zu der de Jager erklärt hatte, er wolle sich auf sie nur einlassen, wenn das Abstimmungsergebnis sehr schnell deutlich werden lasse, „daß eine breite Mehrheit der Mitglieder des Kreisverbandes Schleswig-Flensburg hinter mir stehen“. Das Ergebnis war für ihn enttäuschend: Er bekam gerade fünf Stimmen mehr als seine Konkurrentin aus dem Kreisverband: 312 zu 307.

Als auf dem Parteitag im November turnusgemäß die neue Parteiführung gewählt wurde, bekam er nicht einmal 80 Prozent der Stimmen. Seine Rede wirkte auf die Delegierten wenig überzeugend, sondern eher wie eine Pflichtübung. So las man dann auch tags darauf in der lokalen Presse, der freie Fall der CDU Schleswig-Holstein sei zwar gestoppt, „aber auf einem erbärmlich niedrigen Niveau“.

Nun ist die CDU im hohen Norden ohne Führung. Alle möglichen Namen wurden genannt, doch einer nach dem anderen winkte ab. Es ist offenbar nicht erstrebenswert, an der Spitze der schleswig-holsteinischen CDU zu stehen. Nach heftigem Drängen schloß endlich der Diplomagraringenieur Reimer Böge (61) aus dem Kreis Segeberg, der die CDU seit 1989 im Europaparlament vertritt, nicht aus, daß er sich um die Kandidatur bewerben könnte. Festlegen wollte er sich jedoch nicht. Die Parteiführung lädt nun Interessenten ein, sich bis zum 24. Januar um den Posten zu bewerben.

Das Verfahren erinnert peinlich an jüngste Meldungen, nach denen beide Volksparteien in Schleswig-Holstein, CDU wie auch SPD, die größte Mühe haben, für die Kommunalwahl im Mai ausreichend Kandidaten in den Gemeinden zu finden, so daß bereits in vielen Orten unabhängige Wählergemeinschaften, bestehend aus einer Mischung von CDU- und SPD-Mitgliedern, entstanden sind, um überhaupt eine Wahl möglich werden zu lassen. Offenbar wird es immer unattraktiver, sich in Parteien zu engagieren.

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