© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Im Zweifel für die Meinungsfreiheit
80. Geburtstag: Der Jurist Günter Bertram kämpft seit Jahren unermüdlich gegen Fehlentwicklungen in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung
Eike Erdel

Leidenschaftliche Juristen können häufig noch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben nicht von der für Außenstehende zumeist äußerst trocken wirkenden Materie lassen. Dies gilt auch für den früheren Richter Günter Bertram, der den Lesern dieser Zeitung vor allem durch seine zahlreichen Beiträge zur Meinungsfreiheit ein Begriff ist.

Fachkundig und verständlich kommentiert der Hamburger Jurist immer wieder unter anderem Urteile zur Strafbarkeit von Volksverhetzung. Dabei kann der pensionierte Vorsitzende Richter am Landgericht Hamburg auch aus seiner reichen beruflichen Erfahrung schöpfen. 1961 wurde Bertram Richter am Hamburger Verwaltungsgericht, wechselte aber bereits ein Jahr später ans Landgericht Hamburg, wo er dann bis zu seiner Pensionierung 1998 blieb. Nach nur kurzer Zeit als Zivilrichter wurde bald das Strafrecht seine Domäne. Dabei kam er auch mehrfach mit dem Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuchs in Berührung. 1996 führte er als Vorsitzender das Strafverfahren wegen Volksverhetzung gegen den amerikanischen Staatsbürger Gary Lauck, der sein antisemitisches Hetzblatt NS-Kampfruf in der Bundesrepublik verbreitet hatte. Lauck wurde wegen Volksverhetzung zu vier Jahren Haft verurteilt.

Bertram verkannte nicht, daß die Verurteilung ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung war, allerdings eine Meinung, die aggressiv und mit Verletzungsvorsatz geäußert wurde. Kritisch sieht er aber die Strafbarkeit der Leugnung oder Verharmlosung der Judenvernichtung durch Paragraph 130 Absatz 3 Strafgesetzbuch noch sechzig Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Besonders engagiert äußerte sich Bertram gegen die 2005 durch Paragraph 130 Absatz 4 Strafgesetzbuch erfolgte erneute Ausdehnung der Volksverhetzung, wonach sich seitdem strafbar macht, „wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, daß er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“.

In mehreren Beiträgen – unter anderem auch in der renommierten Neuen Juristischen Wochenschrift – hat er sich mit der verfassungswidrigen Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Neuregelungen des Volksverhetzungsparagraphen auseinandergesetzt und nach der letzten Erweiterung die Hoffnung geäußert, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe werde die Norm für nichtig erklären oder wenigstens so einschränkend verfassungskonform auslegen, daß sie praktisch keine Bedeutung hat. Das Bundesverfassungsgericht enttäuschte jedoch mit seiner Entscheidung vom 4. November 2009 diese Hoffnung und erklärte das Gesetz für verfassungsmäßig. Diese Entscheidung hat Günter Bertram in mehreren Artikeln, unter anderem auch am 27. November 2009 in der JUNGEN FREIHEIT, angegriffen.

Zur JF ist Günter Bertram im Sommer 2002 durch den „Appell für die Pressefreiheit“ gekommen. Mit der Anzeigenkampagne wehrte sich die Zeitung damals gegen die diffamierende Beobachtung durch den nord-rhein-westfälischen Verfassungsschutz. Hierzu schrieb Bertram: „Als Jurist und pensionierter Strafrichter galt mein besonderes Augenmerk der schrecklichen Degradierung der Meinungsfreiheit, wie sie hier öffentlich und ohne allzu großen Widerspruch vorgeführt wurde. Um das wenige zu tun, was ein einzelner vermag, habe ich die JF in der juristischen Publizistik verteidigt und dabei auch den längst fälligen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2005, der die JF vom Index des nord-rhein-westfälischen Verfassungsschutzes gestrichen hat, als ‘Lanze für die Pressefreiheit’ gefeiert. Auch in der JF selbst habe ich dann gelegentlich geschrieben – über erfreuliche oder bedenkliche Gerichtsentscheidungen, die maßlose Ausweitung des Tatbestands ‘Volksverhetzung’, der zur Bemäntelung nahezu jedes Verbots taugt, das sich ‘gegen Rechts’ richtet. Gäbe es die JUNGE FREIHEIT nicht, müßte man sie erfinden: allein der Meinungsfreiheit wegen.“

Die Meinungsfreiheit war und ist dem Hamburger Juristen ein besonderes Anliegen. Es ist zu hoffen, daß Günter Bertram, der an diesem Sonntag seinen 80. Geburtstag begeht, auch weiterhin in seinen Beiträgen Fehlentwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung aufzeigt.

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