© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Bürgerliche in Bewegung
„Demonstration für alle“: Hunderttausende gingen in Paris auf die Straße. Gegen die Homo-Ehe, für die Familie – und Frankreichs Identität
Hinrich Rohbohm

Angenommen, Sie sind gezwungen, Ihr Kind zur Adoption freizugeben und Sie wüßten, es wird in die Obhut eines homosexuellen Paares kommen. Seien Sie ehrlich: Würden Sie das wollen?“ fragt Eric Duval. Die Frage ist für ihn rein rhetorisch. Der großgewachsene Mann mit den kurzen dunklen Haaren lacht. „Ich habe noch niemanden kennengelernt, der darauf ja gesagt hat“, erzählt der 33 Jahre alte Vater von zwei Töchtern.

Duval stammt aus der Bretagne. Mit seiner Frau und den Kindern ist er nach Paris gekommen, um gegen die von der französischen Regierung unter dem Motto „Ehe für alle“ geplante Einführung der Homo-Ehe sowie die Einführung eines Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare zu demonstrieren. Gemeinsam mit Hunderttausenden von Mitstreitern läuft er durch die Straßen von Paris. Hin zum Champ de Mars, dem Marsfeld unter dem Eiffelturm. Vier Demonstrationszüge kommen hier aus verschiedenen Richtungen per Sternmarsch quer durch die französische Innenstadt zusammen.

Eric Duval hat sich Strichmännchen auf die Wangen gemalt. Ein blaues als Symbol für den Mann, ein rosafarbenes für die Frau. In seiner rechten Hand schwenkt er eine blaue Fahne, auf der ebenfalls Strichmännchen abgebildet sind. Vater, Mutter, zwei Kinder. Die Duvals identifizieren sich nicht nur wegen der Anzahl der Strichmännchen mit der Fahne. „Es ist das Symbol für die Familie, dafür kämpfen wir“, sagt der seit sechs Jahren verheiratete Mann. „Wir demonstrieren nicht gegen die Homosexuellen“, versichert ein neben Duval laufender älterer Mann. Der Protest richte sich ausschließlich gegen die Homo-Ehe und ein geplantes Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare.

Deutsche Medien vermelden, lediglich „Zehntausende“ Demonstranten seien erschienen. Doch im Verlauf des vergangenen Sonntagnachmittags wird schnell klar: Es sind Hunderttausende. Staatspräsident François Hollande hat mit seinem Engagement für Homo-Ehe und Homo-Adoptionrecht die Wut des französischen Bürgertums geweckt. Die Organisatoren der „Demonstration für alle“-Bewegung sprechen von 800.000 Teilnehmern. Die Polizei beziffert ihre Anzahl auf 340.000. Es mag in der Natur der Sache liegen, daß Organisatoren derartiger Großveranstaltungen die Teilnehmerzahl großzügiger benennen. Gut möglich auch, daß die Polizei durch Druck von höheren Stellen des Staatsapparates die Zahl nach unten korrigierte, wie manche Organisatoren vermuten. Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo dazwischen liegen.

„Wieviel es nun tatsächlich werden, spielt eigentlich keine Rolle. Wichtig ist nur, daß es mehr als 300.000 werden, das ist unser Ziel“, sagt Laurence. Die 29 Jahre alte Politik-Referentin gehört zum Organisationsteam der „Demonstration für alle“.

Als Schlüssel des Mobilisierungserfolgs sieht sie neben massiven Aufrufen im Internet und der Unterstützung durch bürgerliche Parteien und Kirchen die bewußte Fokussierung auf das Wohl der Familie. „Wir haben beispielsweise auf jegliche religiösen Symbole verzichtet und immer deutlich gemacht, daß es sich nicht um eine rein religiöse Veranstaltung handelt. Außerdem haben wir uns gegenüber Extrempositionen wie etwa der des Front National klar abgegrenzt“, erklärt sie. „Dadurch ist es uns gelungen, daß sich sogar Leute aus dem sozialistischen Lager unseren Forderungen angeschlossen haben.“ Zudem gehörten inzwischen neben den Kirchen auch moslemische, jüdische und buddhistische Gruppen zum Unterstützerkreis.

„Weil wir keine Maximalforderungen stellen, stoßen wir mit unseren Anliegen auch niemanden vor den Kopf“, nennt Laurence einen weiteren Grund für den starken Zuspruch. So gebe es selbst unter Homosexuellen Leute und Gruppen, die sich gegen Homo-Ehe und Homo-Adoptionsrecht aussprechen. „Wir haben immer wieder deutlich gemacht, daß wir nicht homophob sind und daß auch Schwule und Lesben bei uns willkommen sind, wenn sie unser Anliegen unterstützen“, erklärt Laurence.

Einen weiteren Grund für den Erfolg sieht sie in der Person Frigide Barjot. Die 50jährige trage mit ihrer ausgefallenen Auffassung über einen modernen Katholizismus und ihrem unkonventionellen Auftreten maßgeblich zum Gelingen des Projekts bei. Hinter dem Künstlernamen Frigide Barjot verbirgt sich die aus Lyon stammende Humoristin Virginie Tellene, die nicht nur eng mit der französischen Kulturszene verbunden, sondern auch mit Frankreichs bürgerlichen Parteien gut vernetzt ist.

So redigierte die Tochter einer Kunsthochschulprofessorin und eines Klinikdirektors in den achtziger Jahren bereits gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Humoristen Bruno Tellene, die Reden des rechten Altgaullisten und damaligen Innenministers Charles Pasqua. Bruno Tellene arbeitete zuvor auch als Parlamentsassistent für Valéry Giscard d’Estaings liberalkonservative UDF. Sein Vater war einst in hoher Stellung für das Kulturministerium tätig. Bei den Pariser Kommunalwahlen 2008 kandidierte Frigide Barjot für die unabhängige rechtsbürgerliche Diverse Droite (DVD). Ein Jahr später organisierte sie eine Solidaritätskampagne für Papst Benedikt XVI., bei der sie 32.000 Unterschriften gesammelt hatte. „Frigide Barjot ist der Kopf unserer Bewegung“, sagt Laurence. Ihre lockeren humorgespickten Auftritte und ihr schriller Stil sind zwar gewöhnungsbedürftig, kommen in der französischen Bevölkerung aber offensichtlich an.

Auf dem inzwischen restlos überfüllten Marsfeld vor dem Eiffelturm ist von ihr zunächst jedoch nichts zu sehen. Ein Animateur sorgt stattdessen auf einer Bühne für Unterhaltung, feuert die Demonstrationsteilnehmer an, fordert sie bei lauter Techno-Musik dazu auf, die zahlreichen blauen Strichmännchenfahnen zu schwenken.

Lustige Szenen spielen sich ab. Altgediente Bürgermeister mit Schärpe in den Nationalfarben wippen mit den lauten Bässen, Richter in ihren mitgebrachten roten und schwarzen Roben stimmen mit ein. Sogar eine optisch auf Mitte Achtzig zu schätzende Frau mit Krückstock und wedelnder blauer Fahne bewegt rhythmisch ihren Oberkörper zu den hämmernden Rhytmen der ihr sonst wohl eher weniger vertrauten Musikrichtung, an der die zahlreichen jüngeren Demonstrationsteilnehmer sichtlich Gefallen finden. Clowns treten auf der Bühne auf, spielen kleine Sketche, würdigen die geplante Homo-Ehe mit Spott und Ironie. Auf einer Großbildleinwand erscheinen Sequenzen aus dem Film „Das Leben des Brian“, die wohl im übertragenen Sinne Anspielungen auf Argumentationen der Homo-Ehe-Befürworter erzeugen sollen. Tänzerinnen in Glitzerkostümen gleiten geschmeidig über das Podest. Ihre künstlerischen Darbietungen werden dabei immer wieder vom Hauptschlachtruf der Demonstration unterbrochen: „François, la loi on n’en veut pas!“ hallt es über das Marsfeld. François, wir wollen das Gesetz nicht.

Die Protestierenden müssen bis in den späten Nachmittag ausharren, ehe sich Frigide Barjot auf der Bühne zeigt. Und das tut sie einmal mehr spektakulär. Eine Gruppe junger Frauen stürmt plötzlich nach vorn. Dann rennen sie wie ein sich öffnender Reißverschluß auseinander. Frigide Barjot springt mit Brautschleier auf dem Kopf aus der Gruppe hervor, während Konfettiregen auf sie herabrieselt. Lautstarker Jubel, die Atmosphäre gleicht der eines gefüllten Fußballstadions.

Spaß und Erlebnis stehen im Vordergrund der Demonstration, die, flankiert von der Unterstützung aus dem UMP-Umfeld und den Kirchen, zum Erfolg wird. Hart in der Sache, jedoch weniger verbissen, offen auch für potentielle Unterstützer aus vermeintlich anderen gesellschaftlichen Lagern. Das ist das Rezept, mit dem „Demonstration für alle“ an diesem Tag punktet.

Im französischen Fernsehen wird bereits die Frage aufgeworfen, ob sich der unerwartet große Widerstand zu einem neuen, einem bürgerlichen 1968 entwickeln könnte.

Entsprechend genervt geben sich linke Studenten im Pariser Quartier Latin. Neben Kritik an „Ehe für alle“ üben einige auch Kritik an Staatspräsident Hollande. Subtiler hätte er vorgehen müssen, zu schnell und unüberlegt habe er gehandelt. „Er sollte einen Kompromiß aushandeln. Die Homo-Ehe durchsetzen und das Adoptionsrecht auf später verschieben“, meint ein 27 Jahre alter Linguistiker. Wenn das politische Klima wieder günstiger sei, könnten Adoptionsrecht und das Recht auf künstliche Befruchtung wieder auf die Agenda gesetzt werden. „Aber dann bitte diplomatischer und geräuschloser“, ergänzt sein Freund, ein Lateinamerikanistikstudent.

Beide sind heterosexuell, halten die Ablehnung der Homo-Ehe für rückwärtsgewandt und diskriminierend. Aber Veränderungen benötigten Zeit, müßten in kleinen Schritten erfolgen. Die Frage von Eric Duval können jedenfalls auch sie nicht mit einem klaren Ja beantworten. „Wir haben ja keine Kinder“, weichen beide etwas verlegen aus.

 

„Ehe für alle“

Mit ihrem Anfang November vorgestellten Gesetzentwurf zur Einführung der „Ehe für alle“ hat die sozialistische Regierung ein Wahlversprechen von Präsident François Hollande umgesetzt. Demnach sollen künftig Homosexuellen Eheschließungen, Adoptionen sowie künstliche Befruchtung ermöglicht werden. Damit würde eine faktische Gleichstellung mit der (zivilen) Ehe erreicht. Bereits seit 1999 gibt es – ebenfalls auf Initiative der Sozialisten – in Frankreich den sogenannten „zivilen Solidaritätspakt“ (Pacs), der allen (hetero- oder homosexuellen) unverheirateten Paaren einen Rechtsstatus sowie Steuervorteile verleiht. Er wird allerdings nicht vor einem Standesbeamten, sondern (als Vertrag) vor einem Amtsgericht geschlossen. Homosexuellenverbänden ging dies jedoch nicht weit genug. Die „Ehe für alle“ wird ab dem 27. Januar in der Nationalversammlung beraten.

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