© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

„Wos brauch ma dös“
Österreich: Die Volksbefragung über die Wehrpflicht spaltet die Nation
Reinhard Liesing

Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres, oder sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“ Mit der Beantwortung dieser Frage sollen die Österreicher am 20. Januar über die künftige Organisationsform des Bundesheeres entscheiden. Die Volksbefragung ist die erste, die seit Wiedererlangen der Selbständigkeit der Republik 1955 in ganz Österreich stattfindet. Volksbefragungen in einzelnen Bundesländern hatte es dagegen schon gegeben.

Wie immer das Ergebnis sein wird, es gibt im Gegensatz zum Volksentscheid keine Verbindlichkeit, es umzusetzen. Gleichwohl haben sich die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP verpflichtet, sich daran zu halten. Im Falle einer Zustimmung zum Berufsheer würden vom Jahr 2014 an keine Wehrpflichtigen mehr einberufen.

Zur Volksbefragung kam es, weil sich die beiden Regierungsparteien nicht über die Neuordnung der Streitkräfte und über deren zukunftstauglichen Zuschnitt einigen konnten.

Für die Abschaffung des sechsmonatigen Wehrdienstes tritt die SPÖ ein. Ein Modell, das Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) errechnen ließ, sieht für ein Berufsheer 8.500 Berufssoldaten, 7.000 Zeitsoldaten und 9.300 Milizsoldaten (rasch einzuberufende Reservisten) vor. Die wesentlichen Änderungen zum jetzigen System sind eine geringere Zahl an Soldaten und daß für Katastropheneinsätze hauptsächlich Reservisten vorgesehen sind.

Die ÖVP tritt für die Beibehaltung des derzeitigen Systems mit 16.000 Berufs- und Zeitsoldaten, 11.000 Grundwehrdienern und 26.000 Milizsoldaten ein und verweist dabei auf die „negativen Entwicklungen“ in Deutschland. Hier würde es an „allen Ecken und Enden an Freiwilligen fehlen“ und entgegen allen „schönfärbenden Beteuerungen“ seien im Nachbarland „Verbesserungen nicht absehbar“.

Die Volkspartei will den Wehrdienst so organisiert sehen, daß künftig weniger Rekruten als kochende, fahrende, putzende, kellnernde „Systemerhalter“ – ein Hauptargument gegen die Wehrpflicht – eingesetzt werden. Ein ausgereiftes Konzept dafür hat sie aber nicht. Ihr ursprüngliches Modell eines „Österreich-Dienstes“, bei dem zwischen Wehrdienst (plus einem Monat Milizübungen) und Katastrophendienst von jeweils fünf Monaten sowie einem neun Monate währenden Zivildienst gewählt werden hätte sollen, wurde nach Kritik von Fachleuten wieder verworfen.

Die Oppositionsparteien sind in der Frage genauso gespalten wie die Regierung. Die Freiheitlichen (FPÖ) treten für die Beibehaltung der Wehrpflicht ein. Die Grünen („Chillen statt drillen“) sind für ein Berufsheer, sehen dafür aber lediglich 5.000 primär katastrophenschützerisch tätige „Soldat(inn)en“ vor. Das einst von der FPÖ abgespaltene, vom tödlich verunglückten Jörg Haider gegründete und nunmehr um den Wiedereinzug in den österreichischen Nationalrat bangende Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) tritt zwar auch für ein Berufsheer ein, rief aber zum Boykott der Volksabstimmung auf. Auch das vom austro-kanadischen Milliardär Frank Stronach rekrutierte „Team Stronach“ spricht sich für ein Berufsheer aus.

Ein Befürworter der Wehrpflicht ist das Staatsoberhaupt als Oberbefehlshaber des Bundesheeres: Bundespräsident Heinz Fischer, der im bestehenden Heer ein „bewährtes Mischsystem von Grundwehrdienern, Zeit-, Berufs- und Milizsoldaten“ sieht, das „in professioneller Weise seine verfassungsmäßigen Aufgaben für Österreich erfüllt“, sich aber für eine Reform der Armee ausspricht, weicht damit gänzlich von der Linie der SPÖ ab. Dasselbe gilt für die Regierungs­chefin des Bundeslandes Salzburg. Gabi Burgstaller, die sich damit wieder einmal gegen Beschlüsse der Bundes-SPÖ stellt, hat bekundet, „für die Wehrpflicht zu stimmen“. Der steirische Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) kritisiert indes, daß „ein so sensibles Thema letztlich der Bevölkerung hingespielt“ werde und äußert, wie Burgstaller, Skepsis bezüglich einer Systemumstellung.

Just die Skepsis gegenüber System­umstellungen ist, wie manches in Österreich, wo man gerne fragt „Wos brauch ma dös?“, tatsächlich mit Fragezeichen zu versehen. Da ist zum einen der Kostenfaktor. Zwar hat Darabos errechnen lassen, daß ein Berufsheer nicht mehr kosten würde als das jetzige System. Diese Berechnungen waren jedoch von Anfang an umstritten. Generalstabschef Edmund Entacher, Einsatzchef Christian Segur-Cabanac und der erst kürzlich ausgeschiedene Streitkräftekommandant Günter Höfler sind einhellig der Meinung, daß ein Berufsheer mit dem gleichen Leistungsumfang mehr kosten würde als die bestehende Wehrpflichtigenarmee. Sodann verlangt das „Darabos-Modell“ den Abbau von 7.500 Berufssoldaten und 2.100 beamteten Zivilbediensteten, was einige Jahre dauern und keine Kostenverringerung nach sich ziehen würde. Zugleich müssen jährlich 2.550 neue Soldaten rekrutiert werden.

Mit dem Wegfall der Wehrpflicht entfiele auch der Zivildienst, weshalb die SPÖ ein „freiwilliges, bezahltes Sozialjahr“ befürwortet. Die 13.000 Zivildiener sollen durch 8.000 Freiwillige im Sozialjahr ersetzt werden. Die Kosten dafür werden mit 211 Millionen Euro beziffert, das sind rund 70 Millionen Euro mehr als der Zivildienst kostet. Für Sozialjahr und Berufsheer sind zusammen 10.000 Freiwillige jährlich vonnöten. Sie zu bekommen, setzt eine höhere Zahl an Interessenten voraus, denn nicht jeder dürfte geeignet sein.

Der Blick zum deutschen Nachbarn zeigt: Die Bundeswehr nimmt nur jeden zweiten bis dritten Bewerber. Wenn das auch für das Sozialjahr gilt, so sind in Österreich für beide Systeme bis zu 30.000 Bewerber pro Jahr zu locken. Gegenwärtig stehen jährlich rund 36.000 taugliche Achtzehnjährige für Wehrpflicht und Zivildienst zur Verfügung.

Alle Meinungsumfragen sehen derzeit das ÖVP-Modell – Beibehalten eines reformierten Wehrdienstes – mit ungefähr 52 Prozent Zustimmung vorn; gegen 48 Prozent für das Berufsheer-Modell der SPÖ. Angesichts der von Demoskopen vorausgesagten geringen Beteiligung von lediglich 30 Prozent der Wahlberechtigten konzentrierten sich beide Parteien in den Tagen vor der Abstimmung auf die Mobilisierung ihrer potentiellen Anhängerschaft, während die Oppositionsparteien eher lustlos agierten und den Eindruck vermittelten, als hätten sie sich auf der Zuschauertribüne verschanzt.

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