© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Das Ende einer heroischen Odyssee der Befreiung
Venezuela: Der krebskranke Präsident Hugo Chávez kämpft um sein Leben / Mißwirtschaft und ausufernde Kriminalität / Kuba sorgt sich um seine Öllieferungen
Michael Ludwig

Das ist kein Besuch, um Kommentare abzugeben und Interviews zu führen, sondern einer der Solidarität und der Begleitung eines Freundes, der meinem Land so sehr geholfen hat, als niemand ihm helfen wollte“, erklärte die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner nach einem Besuch bei Hugo Chávez, der seit Dezember auf der Intensivstation eines Krankenhauses in der kubanischen Hauptstadt Havanna liegt. Sie brachte dem venezolanischen Amtskollegen eine Bibel mit. Ein Geschenk, das ihn auf das Schlimmste, den Tod, vorbereiten soll?

Nach Angaben der spanischen Zeitung ABC üben die Behörden Venezuelas und Kubas gewaltigen Druck aus, um keine weiteren Informationen über den Gesundheitszustand des Präsidenten an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Dennoch sickerten Einzelheiten durch, so etwa die Aussage des Hausarztes der Familie Chávez, Salvador Navarrete. Seinen Angaben nach leidet der 58jährige an einem Sarkom, einer bösartigen und sehr selten vorkommenden Krebserkrankung. Sie geht vom Stützgewebe aus und bildet Metastasen in den Blutgefäßen. Bei Chávez, so der Mediziner, liege der Krankheitsherd in der Hüftgegend, er habe höchstens noch zwei Jahre zu leben.

Navarrete stellte seine Diagnose Ende 2011, bekam dann, als er sie in der mexikanischen Zeitung Milenio zum besten gab, Besuch von der Polizei – und setzte sich ins Ausland ab. Wie auch immer es um Chávez’ Gesundheit bestellt sein mag, eines steht fest: seine Landleute müssen damit rechnen, daß der Kampf des Ex-Oberstleutnants ums Überleben zu Ende geht. „Jeder Realist weiß, daß unser Freund, Kamerad und Revolutionär Hugo Chávez an das Ende seiner heroischen Odyssee der Befreiung gekommen ist“, so sein früherer Berater, der deutsche Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich. So weit wollte Vizepräsident Nicolás Maduro nicht gehen, räumte aber ein, daß der Zustand „komplex“ und „heikel“ sei.

Aber wie soll es nun weitergehen? Ganze Industriezweige liegen brach, weil sie verstaatlicht wurden und Devisen für Ersatzteile fehlen. Die Korruption hat gewaltige Ausmaße angenommen, die Kriminalität ist allgegenwärtig. Einer UN-Statistik zufolge kamen 2011 auf 100.000 Einwohner 45 Fälle von Mord und Totschlag. Am folgenschwersten ist aber der desolate Zustand der Erdölindustrie. Seit Chávez’ Amtsantritt 1999 ist die Förderung infolge von Inkompetenz und Schlendrian um ein Fünftel gesunken. Im August vergangenen Jahres ging die größte Raffinerie des Landes in Flammen auf, 42 Menschen kamen dabei ums Leben.

Nach Ansicht von Fachleuten konnte Chávez seine Sozialprogramme, die ihm die Unterstützung weiter Teile der ärmeren Bevölkerungsschichten sicherten, nur deshalb aufrechterhalten werden, weil sich die Ölpreise in diesem Zeitraum fast verzehnfacht haben. Nun aber herrscht in der Staatskasse Ebbe. Chávez wurde dennoch bei der Wahl im Oktober 2012 mit 54 Prozent im Amt bestätigt. Sollte er gesunden und seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen können, werden ihm – oder seinem durch Neuwahlen bestellten Nachfolger – überfällige Wirtschaftsreformen nicht erspart bleiben. Eine massive Abwertung der Landeswährung, des Bolívar, um etwa die Hälfte scheint unumgänglich, ebenso Preiserhöhungen bei Waren des Grundbedarfs, die bislang vom Staat subventioniert wurden.

Außenpolitisch würde der Tod des Comandante ebenfalls erhebliche Wellen schlagen, vor allem in Kuba. Das kommunistische Einparteienregime der Castro-Brüder ist auf die 90.000 Barrel Öl, die jeden Tag zu Vorzugsbedingungen aus Venezuela geliefert werden, angewiesen. Ohne sie würden auf der Karibikinsel die Lichter ausgehen.

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