© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Lockerungsübungen
Der Perfektion nicht gewachsen
Karl Heinzen

Wer nach Gründen für die niedrige Geburtenrate in Deutschland sucht, sollte den Blick nicht nur auf angeblich zu kärgliche finanzielle Unterstützungsleistungen für Familien oder eingeschränkte Kinderbetreuungsmöglichkeiten richten, sondern gerade auch kulturelle Faktoren unter die Lupe nehmen. Diese Auffassung vertritt Norbert Schneider, der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, in einem Interview mit der FAZ und hat sogleich ein Beispiel parat: Die Deutschen seien durch einen hohen Grad an Perfektionismus gekennzeichnet, von dem sie auch in der Erziehung etwaiger Kinder nicht lassen können: „Dadurch werden die Hürden für gelingende Elternschaft immer höher“, und immer mehr Menschen befürchten, dieser Verantwortung nicht gewachsen zu sein.

Was Schneider beklagt, ist jedoch das Erfolgsrezept unserer Wirtschaftsordnung. Ihre Überlegenheit rührt daher, daß sie für alle Anreize schafft, unablässig nach Optimierung zu streben, ihre Vision ist die Mobilisierung aller Ressourcen zur Gewinnmaximierung. Diesem hohen Anspruch kann als Beschäftigter nur gerecht werden, wer sich ganz und gar der Erwerbstätigkeit verschreibt und in ihr beständig nach Verbesserung seiner Leistung strebt. Freizeit ist letztlich nur noch legitim, solange sie dem Menschen zur Regenerierung seiner Arbeitskraft dient.

In diesem Prozeß der Selbstoptimierung und Dauermobilisierung seiner Bewohner ist Deutschland weit vorangeschritten. Daher wird auch Elternschaft bei uns anders interpretiert als anderswo. Wer diesem immer seltener werdenden Hobby frönt, hat darauf zu achten, daß sein Nachwuchs nicht versagt, damit keine Rückschlüsse auf seine eigene Führungskompetenz gezogen werden. Zudem sind ausreichende Investitionen in die Ausbildung der Kinder zu tätigen, damit die elterlichen Leistungen möglichst früh enden und später vielleicht sogar Rückflüsse erfolgen.

Die Gesellschaft kann Familie als Freizeitbeschäftigung tolerieren, so wie sie ja auch Extremsportarten und so manchen Rauschmittelkonsum in Maßen duldet. Wo Frauen allerdings ihr Hobby zum Beruf machen wollen oder die Familie Leistungsfähigkeit und Mobilität einschränkt, muß Einhalt geboten werden. Elternschaft darf kein Vorwand sein, daß Menschen ihre eigentlichen Pflichten vernachlässigen.

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