© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Typen für die Machtworte
Matthias Stiehler beklagt die „Väterlosigkeit“
Ellen Kositza

Der Psychologe Matthias Stiehler sieht unsere Gesellschaft von Väterlosigkeit bedroht. Dabei beklagt er nicht Zeugungsunwilligkeit oder fehlendes Engagement heutiger Väter. Nein, für sein Empfinden sei der Begriff der Väterlichkeit diskrediert und es gelte, diesen neu auszufüllen. Durch seine Mitwirkung beim „Männergesundheitsbericht“ und sein Buch „Der Männerversteher“ (2010) hat sich Stiehler einige Meriten erworben. Die Riege der Männerbewegten lobt Stiehlers Werke, dergleichen die weibliche Leserschaft. Letztere sieht es mit Wohlgefallen, daß nun auch das andere Geschlecht kritische Nabelschau betreibt.

Der vielgepriesene Neue Vater, so wolle es das moderne Rollenverständnis, lasse sich komplett aus mütterlichen Eigenschaften zusammenpuzzeln, sagt Stiehler: Umsorgen und Tolerieren stünden dabei im Mittelpunkt. Auch außerfamiliär agierten der Staat und seine Institutionen (Schule, Sozialarbeit, Strafrecht, „Schuldenpolitik“) heute mütterlich; nachgiebig und wärmend. Wo Grenzen gesetzt würden, Fürsorge beschränkt, ein „Machtwort“ gesprochen werde, sprich: sich väterliches Verhalten anbahne, dort sei der Vorwurf der „Inhumanität“ nicht weit.

Im ersten Teil seines Buches schildert Stiehler, warum wir uns aufgrund fehlender Väterlichkeit in einer Krise befinden. Den zweiten Teil widmet er „Merkmalen von Väterlichkeit“. Wie sollte sich diese günstigerweise auswirken, wenn der Vater nicht als Kumpel, Spielkamerad oder als „Mutter ohne Brust“ reüssieren soll? Daß es eigenständige Aufgaben seien, die der Mann wahrnehmen soll, liege an biologischen Grundlagen, schreibt Stiehler – natürlich artig betonend, daß Prinzipien der Mütter- und Väterlichkeit „nicht geschlechtsspezifisch“ zu verstehen seien.

Die Rolle des Mannes in der Vater-Mutter-Kind-Triangulierung arbeitet Stiehler markant heraus. Der Vater stehe für das Nicht-Selbstverständliche, fördere Eigenständigkeit und sei derjenige, der „Zumutungen“ verschafft, der Anstrengung und Frustration als Teile des Lebens lehrt, der Konsequenz und Hierarchien vermittelt. Stiehler argumentiert sprachlich nicht immer brillant, in seinen Anekdoten schweift er manchmal ab oder legt Engführungen nahe. Dennoch bietet er eine gelungene Einführung in die Problematik.

Matthias Stiehler: Väterlos. Eine Gesellschaft in der Krise. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012, gebunden, 192 Seiten, 19,99 Euro

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